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Nobelpreis geht nach Österreich

Mit frdl. Genehmigung des Munzinger-Archivs7. Oktober 2004

Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek erhält in diesem Jahr den Literatur-Nobelpreis. Das teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit.

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Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek erhält den Literatur-Nobelpreis 2004Bild: dpa Zentralbild

Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag/Steiermark geboren und stammt aus einer slawisch-jüdischen Familie. Ihr Vater, ein promovierter Diplom-Ingenieur und Chemiker, starb 1972 in einer Nervenklinik. Jelinek wuchs in Wien auf.

Schwierige Kindheit

Nach eigenen Angaben wurde sie von ihrer "dämonischen", ungemein leistungsbezogenen Mutter zum Wunderkind "dressiert" und erhielt früh Ballett- und Instrumentalunterricht (Geige und Orgel). Nach dem Abitur an einer Klosterschule studierte sie am Wiener Konservatorium Klavier und Komposition, belegte aber auch Sprachen, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Erste Schreibversuche unternahm Elfriede Jelinek nach einem Nervenzusammenbruch und dem Versuch, der mütterlichen Bevormundung zu entkommen. Noch während des Studiums erschien 1967 ihr erster Gedichtband "Lisas Schatten".

Kontroverse Frau

Elfriede Jelinek zählt zu den meist beachteten und gespielten deutschsprachigen Gegenwartsautoren. Ihr Werk umfasst Lyrik, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher und zeichnet sich nach Kritikermeinung durch messerscharfe Analysen zu den Themen Sexualität, Gewalt und Macht aus. Die Kritikerin und Jelinek-Expertin Sigrid Löffler meinte in der Süddeutschen Zeitung (20.10.1994) einmal: "Nicht umsonst gilt Elfriede Jelinek als die kälteste und erbarmungsloseste Moralistin, die Österreich je gegen sich aufgebracht hat. Seit jeher wütet sie wortmächtig gegen die allgegenwärtigen männlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisse, die weibliche Lust nicht zulassen, und verfolgt die österreichische Provinz in ihrer feschen Niedertracht und faulen Geschichtsvergessenheit à la Waldheim mit gnadenlosem Formulierungshass. Für die Radikalfeministin ist die Geschichte der Frau die Geschichte ihrer Vernichtung." Während sich die österreichische Literaturszene jahrelang bemühte, die Autorin vor allem als Dramatikerin weitgehend zu ignorieren, brachte es J. in der Bundesrepublik früh zu großem Ansehen.

Gesellschaftskritische Romane

Breite Aufmerksamkeit fand sie bereits 1970 mit ihrem Romandebüt "wir sind lockvögel, baby", das die Fachkritik als ein literarisch-experimentelles Spiel mit den Erzähl- und Vorstellungsmustern der Comics und der Trivialliteratur unserer Zeit las. Ihre folgenden Romane "Die Ausgesperrten" (1980) und "Die Klavierspielerin" (1983) kamen nicht nur bei der Kritik, sondern auch beim Lesepublikum gut an. Beide Werke tragen autobiographische Züge und nutzen die Erfahrungen des Sprachspiels zu einem strengen und konzentrierten Erzählton. Sie selbst meinte einmal, "Menschen und subtile Verhaltensweisen interessieren mich nicht", ihre Figuren seien "Prototypen".

Mit ihrer literarischen Arbeit übte die Autorin, die 1974 der Kommunistischen Partei Österreichs beigetreten war, auch scharfe Kritik an der Männer- und an der Klassengesellschaft und zeigte die gesellschaftliche und ökonomische Benachteiligung der Frau sowie deren private Unterdrückung durch den Mann auf. Neugier und öffentlichen Widerspruch erregte u. a. ihr literarischer Text "Lust" (1989), den sie als "Antiporno, allerdings im obszönen Idiom" ankündigte. Als ihr "opus magnum" bezeichnete sie den Anfang 1995 vollendeten Roman "Die Kinder der Toten", den sie selbst als eine "Gespenstergeschichte zur österreichischen Identität" umschrieb, "die auf Tod gegründet ist, im Sinne Canettis - die massenhaften Toten fahren wie Zombies in die Lebenden ein". Der provokant gegen Geschichtsverdrängung und Todesvergessenheit angeschriebene Bestseller wurde von der deutschen Literaturkritik kontrovers diskutiert.

Gesellschaftskritische Stücke

Als Reaktion auf die zunehmende Hetze von Seiten der rechten Boulevardpresse und auch des rechtspopulistischen FPÖ-Politikers Jörg Haider während des von ihm kulturkämpferisch geführten Wahlkampfs verhängte J. im Mai 1996 ein Aufführungsverbot ihrer Stücke in Österreich und ging in die "innere Emigration". Ihr Stück "Stecken Stab und Stangl", das die unaufgeklärten Morde an vier Roma in der österreichischen Ortschaft Oberwart und sprachkritisch die Banalisierung des rechten Terrors in der österreichischen Medienlandschaft thematisiert, war einen Monat zuvor in Hamburg uraufgeführt worden. Als posttraumatische Farce vor dem Hintergrund der Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalitionsregierung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) bewerteten Kritiker Jelineks im April 2003 uraufgeführtes Stück "Das Werk", in dem sich die Dramatikerin zum zweiten Mal dem Ort Kaprun als janusköpfiger Metapher für Österreichs Träume und Traumata widmete.