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Spurlos verschwunden

Ulrike Mast-Kirschning3. Mai 2012

Tausende verschwinden jedes Jahr in Gefängnissen und Folterkellern. Für die Angehörigen ist das ein oft jahrelanger Albtraum. Mehr Prävention steht daher im Mittelpunkt einer UN-Konvention, die jetzt umgesetzt wird.

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Hand die durch ein Gefängnisgitter greift (Archivfoto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Im Dezember 2010 trat die UN-Konvention gegen das Verschwindenlassen in Kraft. Der inzwischen eingerichtete Vertragsausschusses, der die Einhaltung des Menschenrechtsabkommens überwacht, nimmt seine Arbeit jetzt auf.

Die Konvention entstand vor dem Hintergrund der massiven Unrechtserfahrungen während der lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Zwischen 1966 und 1986 verschwanden allein auf  dem südamerikanischen Kontinent 90.000 Menschen, von vielen von ihnen fehlt bis heute jede Spur. Und die Geschichte wiederholt sich: in Syrien sollen seit Beginn der Unruhen im März vergangenen Jahres nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen 3000 Personen in geheimen Gefängnissen verschwunden sein; auch in Libyen werden bis heute mehrere tausend Zivilisten vermisst, die in den Wirren des Endes der Gaddafi-Ära verschwunden sind.

Unmöglichkeit zu trauern

"Es ist nicht nur die Entführung und der Mord, der das Verschwindenlassen zum Verbrechen macht", sagt Rainer Huhle vom Nürnberger Menschenrechtszentrum. "Es ist die Unmöglichkeit der Angehörigen Trauerarbeit zu leisten." Opfer seien nicht nur die verschwundenen Personen, sondern ihr gesamtes Umfeld: Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Gewerkschaftskollegen und Mitglieder der politischen Gruppe. 

Ein Schicksal, mit dem auch der Menschenrechtsexperte Rainer Huhle direkt konfrontiert war. Als Entwicklungshelfer in Peru verlor er seine engste Mitarbeiterin. Sie verschwand 1990 auf dem Weg zum Wahlbüro, um ihre Stimme abzugeben. Heute ist Huhle Mitglied im sogenannten "Treaty Body", dem Vertragsausschuss der UN-Menschenrechtskonvention gegen das Verschwindenlassen.

Frau zeigt auf einer Protestdemonstration das Bild ihres verschwundenen Sohnes in Argentinien (Foto: AP)
Wut und Trauer bei Angehörigen von Verschwundenen in ArgentinienBild: AP

Prävention für die Zukunft

Viele Initiativen in der Organisation Amerikanischer Staaten, in der UN-Menschenrechtskommission und im Europarat zielten bislang auf die Verurteilung und Bestrafung der Täter. Der erste völkerrechtliche Schritt zur universellen Sanktionierung kam 1998 mit der Verabschiedung des "Rom Statuts", dem Gründungsvertrag der Staaten für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag. Seitdem kann das Verschwindenlassen auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet und vom ICC verurteilt werden. Allerdings nur wenn es systematisch und massenhaft begangen wird.

Die 2010 in Kraft getretene Konvention verfolgt jedoch mehr: "Jeder einzelne Fall von 'Verschwindenlassen' ist ein Verbrechen und muss von den Nationalstaaten aufgeklärt und geahndet werden", erläutert Huhle. Die Opfer müssten angemessen entschädigt werden und das Verbrechen deutlich beim Namen genannt werden. Vor allem aber seien die Staaten in der Pflicht, "vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, damit so etwas nicht passieren kann.“ Dazu gehörten nationale Gesetze aber auch eine entsprechende Qualifizierung der Polizei und der Vollzugsbeamten. Zukünftig müssen die Staaten dem Vertragsauschuss berichten, was sie genau tun um besser gegen solche Verbrechen geschützt zu sein.

Aufklärung als Sofortmaßnahme

"Dann gibt es die Möglichkeit, dass wir in Einzelfällen auch direkt intervenieren“, berichtet Menschenrechtsexperte Huhle weiter. Konkret bedeute das, "dass wir als Ausschuss sehr kurzfristig Aufklärung darüber verlangen, was passiert ist." Eine Regelung, die so brisant scheint, dass sie von den Staaten gesondert gezeichnet werden muss. Wie aus Fachkreisen zu hören ist, soll sich die deutsche Bundesregierung inzwischen dazu entschieden haben.

Menschenrechtsexperten begrüßen eine solche Entscheidung, denn im Zuge des Antiterrorkampfes unter US-Präsident Bush hatte auch die Bundesregierung in mehreren Untersuchungsausschüssen zu Entführungen und geheimen CIA-Gefangenenflügen Stellung nehmen müssen.

Menschenrechtsorganisation 'H.I.J.O.S' (Hijos e Hijas por la Identidad y la Justicia contra el Olvido y el Silencio/Söhne und Töchter für die Identität und Gerechtigkeit gegen das Vergessen und die Stille) fordern in Buenos Aires die Bestrafung der Täter (Archivfoto: Francesco La Pia)
Proteste in Buenos Aires: Demonstranten fordern die Bestrafung der TäterBild: Francesco La Pia

Weder Großbritannien noch Kanada noch Australien und Neuseeland haben die Konvention bisher auch nur unterschrieben. Der Zusammenhang mit den Gefangenflügen liegt aus Expertensicht nahe. Die Staaten wollten wohlmöglich vermeiden, jemals derartige geheimdienstlichen Aktivitäten  untersuchen lassen zu müssen, heißt es.

Staaten müssen berichten

Dennoch: Mit Deutschland haben 32 Staaten die UN-Konvention gegen des Verschwindenlassen bis Mai 2012 ratifiziert. Tunesien und Irak sind als einzige der arabischen Länder dabei. "Von weiteren 60 Staaten erwarten wir demnächst die Ratifizierung", so Vertragsausschussmitglied Rainer Huhle.

Rainer Huhle und Mitglieder vom Ausschuss gegen gewaltsames Verschwinden lassen (Foto: Privat)
Vertragsausschuss arbeitet für die Einhaltung der Konvention "Gegen das Verschwindenlassen"Bild: privat

Dass sich auch die Opfer an den Ausschuss der "Konvention gegen das Verschwindenlassen“ wenden können, hat für Huhle eine besondere Bedeutung. Mit vielen habe er im Laufe der Jahre gesprochen und erlebt, welche zerstörerische Wirkung dieses Verbrechen auf jeden Einzelnen und ihre jeweilige Gemeinschaft habe. "Ich bin sehr glücklich, dass die Konvention jetzt zustande gekommen ist.“ Im Herbst werden die ersten Länderberichte den Ausschuss erreichen und das zähe diplomatische Geschäft zur praktischen Umsetzung der Konvention wird beginnen.