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Bild macht Politik

6. Januar 2012

Die "Bild" gehört zu den einflussreichsten Tageszeitungen Europas. Durch den Streit zwischen dem höchsten Staatsmann und der Zeitung gerät auch der deutsche Boulevard in die Diskussion.

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Ein Smartphone der Firma BlackBerry zeigt die Schriftzuege 'Mailbox' und 'Geschäftlich' vor dem Logo der "Bild"-Zeitung (Foto: dapd)
"Bild" macht Politik: Die Bildzeitung möchte den Wortlaut der präsidialen Mailboxnachricht herausgeben.Bild: dapd

Längst ist die "Bild"-Zeitung hierzulande zum Synonym für Boulevard geworden, und kaum ein Deutscher kommt derzeit um sie herum. Die einen lesen "Bild". Für andere bleibt der Springer-Titel entweder ein reaktionäres Feindesblatt, das "Gebiss des Bösen", wie es der Publizist Günter Wallraff in den späten Siebzigerjahren ausgedrückt hat, oder aber ein Multiplikator, ein demokratisches Kontrollorgan, gar eine journalistische Kunstform. "Zum Regieren brauche ich nur 'Bild', 'BamS' (Sonntagsausgabe der Bildzeitung, Anm. d. R.) und Glotze", sagte Ex-Kanzler Gerhard Schröder, und der Linksintellektuelle Hans-Magnus Enzensberger formulierte vornehm ironisch: "'Bild' ist ein Gesamtkunstwerk."

"Journalistisches Designbewusstsein"

Typische Bildschlagzeile: 'Gieriger Luxus-Banker - Die Party ist aus' (Foto: Arne Dedert)
Riesige Schlagzeilen als typisches BoulevardelementBild: picture-alliance/dpa

Mit einer Auflage von fast vier Millionen ist "Bild" die deutsche Tageszeitung mit der größten Reichweite. Zu Spitzenzeiten wurden fast sechs Millionen Exemplare täglich gedruckt. "Es ist der Zauber der 'Bild'-Zeitung, dass sie ein hohes Maß an designerischer Reflektiertheit auf ein Niveau bringt, das mit und ohne Hochschulabschluss verständlich ist", analysiert der Berliner Medienexperte Norbert Bolz. "Viele Springer-Redakteure verstehen sich heute als Journalisten-Künstler, die sehr genau wissen, dass sie Designaufgaben zu bewältigen haben."

Gattungstypisch ist auch die großformatige Schlagzeile, die das Thema des Tages spielerisch in eine Zeile presst: "Wir sind Papst" zur Ernennung von Papst Benedikt XVI., "Miss Germany" zur Wahl von Angela Merkel.

Mensch an Mensch

Ein Plakat zeigt den Slogan 'Noch entscheidet Bild, wer wann zurücktritt' (Foto: Klaus Staeck)
Satirisches Plakat zur "Bild"-Kampagne zugunsten von Karl-Theodor zu GuttenbergBild: Klaus Staeck

Geschichten erzählt die Zeitung bildlastig und personalisiert, anhand von Prominenten oder (stilisierten) Opferfiguren. Medienfachmann Bolz sieht darin das zentralste Boulevard-Element erfüllt, eine direkte Ansprache "von Menschen an Menschen, die es unnötig macht zu abstrahieren, Begriffe zu gebrauchen oder Theorien zu benutzen, um die Welt zu erklären – also all das, was anspruchsvollere Kommunikation auszeichnet".

Kritiker werfen der "Bild"-Zeitung gerade dieses Vorgehen vor. Seit Jahrzehnten prangert besonders der Publizist Günter Wallraff Recherchetechniken an, wie er sie in einer frühen Undercover-Reportage selbst dokumentiert hat: Allein sein erstes von drei "Bild"-Büchern "Der Aufmacher – Der Mann, der bei Bild Hans Esser war" brachte der unfreiwilligen Gastredaktion sechs Rügen des Deutschen Presserates ein. "Sorgen muss man sich um diejenigen machen, die nicht zum Telefonhörer greifen können, jene, die keine Anwälte haben, vor denen selbst 'Bild' Respekt hat", meint "Bild"-Kritiker Wallraff heute in Hinblick auf den Anruf von Bundespräsident Wulff bei Chefredakteur Kai Diekmann. "Ich bin in Besitz von Abschiedsbriefen aus den Siebzigerjahren, von Menschen, die sich nach Rufmordgeschichten das Leben genommen haben."

"Rambojournalismus" in den Siebzigerjahren

In der Figur Tötges überhöhte Heinrich Böll einen fiktiven "Bild"-Reporter zur Inkarnation des Bösen ("Die verlorene Ehre der Katharina Blum").

Im binären Weltbild der Sechziger- und Siebzigerjahre war die "Bild"-Zeitung das ärgste Feindbild der außerparlamentarischen Opposition. Die Studentenbewegung warf dem Springer-Konzern – zu dem auch "Welt", "BZ", "Berliner Morgenpost" und "Hamburger Abendblatt“ gehören – vor, das "Establishment" einseitig zu stützen. Springerredakteure wurden als befangen, als "neofaschistisch“ beschimpft.

"Zu meiner Zeit waren 'Bild'-Journalisten Rambos, die den Menschen wie Drückerkolonnen ins Haus fielen. Fotobeschaffung sah oft genug so aus, dass Eltern, deren Kinder bei Sexualverbrechen ermordet worden waren, angedroht wurde, sich Bilder aus dem Leichenschauhaus zu besorgen, wenn sie keines herausgeben", erinnert sich Wallraff. "Heute gibt es in der 'Bild'-Redaktion Journalisten, die sich solchen Methoden widersetzen – nur sind das leider nicht die, die an den Schaltstellen sitzen."

Auch die deutsche Popgruppe "Wir sind Helden" sieht die Vergangenheit nicht als verjährt. In einem offenen Brief weist sie die Anfrage einer Werbeagentur zurück, für die Zeitung auf Plakaten zu posieren: Das Blatt sei kein "augenzwinkernd zu be­trach­ten­des Trash-Kul­turgut und kein Li­festyle-Zitat", heißt es auf der Homepage der Band.

Aus der ausgelasteten Pressestelle des Springer-Konzerns ist in diesen Tagen keine Stellungnahme möglich.

"Bild macht Politik"

Bundespräsident Christian Wulff steht neben Kai Diekmann (Foto: dpa)
Freundschaft mit begrenzter Haltbarkeit: Christian Wulff neben Bild-Chefredakteur Kai DiekmannBild: picture-alliance/dpa

Bei Kollegen anderer Redaktionen steht nach wie vor die Verzahnung mit der Politik in der Kritik. Politiker, so heißt es, stellten nicht selten Bilder und Geschichten zur Verfügung, womöglich gegen eine wohlwollende Berichterstattung – so lange die Freundschaft eben dauere. "Bild macht Politik, Bild begleitet die Politik, nimmt Einfluss auf die Politik", sagt auch Günter Wallraff. "Oft genug gelingt es, manchmal scheitern sie auch, siehe Aufstieg und Fall des von und zu Guttenberg." Über Jahre war der ehemalige CSU-Verteidigungsminister durch freundliche Schlagzeilen aufgebaut worden – noch über den Rücktritt hinaus.

Doch anders als in den Siebziegerjahren habe sich das Boulevardprinzip inzwischen vor der Parteibindung durchgesetzt: "Mit einem Gerhard Schröder kommt die 'Bild' genauso gut oder besser klar als mit einem farblosen CDU-Bundespräsidenten", so Norbert Bolz, denn: "Boulevard heißt Sensation, Skandale, Celebrities – und wenn ein Politiker Celebrity-Status hat, ist es für 'Bild' egal, aus welchem Lager er kommt."

Kampagnenjournalismus, lautet der Vorwurf, den manche auch im Vergewaltigungsprozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann bestätigt sahen: Sie sprechen einer medialen Vorverurteilung.

Heribert Prantl, Politikchef der Süddeutschen Zeitung, sieht im Fall Wulff die Grenze zur Kampagne noch nicht als überschritten an: “Natürlich dürfte kein Journalist ins Privathaus eines Bundespräsidenten eindringen und dort Fotos machen, so weit geht das öffentliche Interesse nicht. Aber Fragen nach seinem Privateigentum zu stellen und zu recherchieren, das gehört nun wirklich zum Kern."

Boulevard als Spiegelbild

Günter Wallraff (Foto: DW)
"Bild"-Kritiker Günter WallraffBild: DW/Muñoz Lima

"Bild ist ein Spiegelbild – sicher in vielem ein Zerrspiegelbild und oft ein überdimensionierender Hohlspiegel – von dem, was in der Gesellschaft an Abartigkeit stattfindet", urteilt Wallraff.

Im internationalen Vergleich wirkt die deutsche Diskussion dennoch beinahe brav: In Frankreich war eine frühe Debatte um den Boulevard ausgebrochen, nachdem Paparazzi eine ehemalige Prinzessin in den Tod gehetzt hatten. Die inzwischen eingestellte britische "News of the World" hatte Prominente verwanzt. Und der Schweizer SonntagsBlick hatte seinen letzten (übrigens deutschen) Chefredakteur wegen manipulierter Nacktfotos einer Botschaftergeliebten verloren.

Autorin: Johanna Schmeller
Redaktion: Sabine Faber