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Nguyen: "Herausforderung für China"

Gabriel Dominguez/HS13. März 2015

Der ASEAN-Staatenbund hat sich bislang aus dem Territorialstreit im Südchinesischen Meer weitgehend herausgehalten. Das könnte sich allmählich ändern, erläutert Phuong Nguyen gegenüber der DW.

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Le Luong Minh ASEAN Generalsekretär (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images/K. Nogi

Ungewöhnlich scharfe Worte zwischen China und dem ASEAN-Staatenbund: ASEAN-Generalsekretär Le Luong Minh (Artikelbild) habe durch seine Kritik an Chinas sogenannter "Neun-Striche-Linie", mit der Peking seine Ansprüche im Südchinesischen Meer untermauern möchte, seine Neutralitätspflicht verletzt, hieß es aus Peking. Die ASEAN werde durch solche "einseitigen Parteinahme" als internationale Regionalorganisation geschwächt. Minh hatte sich bereits vergangenen Mittwoch gegenüber der "Manila Times" geäußert, die Reaktion aus Peking erfolgte erst jetzt, eine Woche danach.

Deutsche Welle: Hat Le Luong Minh für die ASEAN gesprochen, als er Chinas "Neun-Striche-Linie" kritisierte?

Phuong Nguyen Expertin für Südostasien (Foto: CSIS)
Phuong Nguyen: Äußerungen des ASEAN-Generalsekretärs sind diplomatischer BalanceaktBild: CSIS

Minh hat zweierlei gesagt: Dass die Neun-Striche-Linie keinen Anspruchsteller bindet, und dass die ASEAN die Bemühungen der Philippinen unterstützt, ihren Territorialstreit mit China friedlich beizulegen. Seine Aussage in Bezug auf die Neun-Striche-Linie ist nicht neu und entspricht ziemlich genau der Position mehrerer ASEAN-Staaten mit Territorialansprüchen im Südchinesischen Meer.

Als China 2009 seine Seekarte mit der Neun-Striche-Linie den Vereinten Nationen präsentierte, reichten Malaysia und Vietnam gemeinsam ihren Anspruch auf ihren Festlandssockel gemäß der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS) ein, um damit ihren Protest gegen die von China vorgelegte Karte zu bekunden. 2011 legten die Philippinen Protest gegen Chinas Neun-Striche-Linie ein, und zwar bei der UN-Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels.

Schließlich reichten die Philippinen im vergangenen Jahr einen Schriftsatz beim Internationalen Schiedsgerichtshof ein, um die Gültigkeit der Neun-Striche-Linie anzuzweifeln. Vietnam seinerseits hat die Neun-Striche-Linie wiederholt kritisiert.

Sogar Indonesien, das sich nicht als einen Anspruchsteller im Südchinesischen Meer betrachtet, hat gegen die chinesische Karte protestiert, weil sie sich mit indonesischem Territorium überschneide. Indonesien hat China aufgefordert, seine Ansprüche innerhalb der Neun-Striche-Linie zu konkretisieren.

Insofern ist Minhs Aussage mehr als nur eine Einzelmeinung, wie China sagt, aber ich glaube auch nicht, dass er für die ASEAN als Ganzes sprechen wollte.

Karte Südchinesisches Meer Besitzanspruch China( Infografik: DW)
Die blaue Linie entspricht der "Neun-Striche-Linie" ChinasBild: DW

Wie werden sich die Äußerungen des ASEAN-Generalsekretärs auf die Beziehungen zwischen China und dem Staatenbund auswirken?

Seine Einlassungen fordern China in mehreren Hinsichten heraus. Erstens ist Minh sozusagen der Spitzendiplomat der ASEAN, so dass seine Aussagen von vielen als repräsentativ für die Meinung der ASEAN insgesamt oder für die Mehrheit ihrer Mitglieder gelesen werden dürften.

Zweitens hat Minh die Frage der Neun-Striche-Linie in den Kontext des Völkerrechts gestellt, indem er erklärte: "Kein Mitglied der Seerechtskonvention UNCLOS kann diese Linie akzeptieren." Damit bezieht sich Minh auf die Tatsache, dass China seine Neun-Striche-Linie mit historischen anstatt mit (gängigen) völkerrechtlichen Argumenten begründet.

Letzterer Kritikpunkt an der chinesischen Position ist nicht neu, aber je öfter er wiederholt wird, insbesondere auf offizieller Ebene, desto mehr untergräbt er Chinas Reputation und lässt China hinsichtlich dieser Frage als zunehmend isoliert in der Region erscheinen.

Drittens wird durch Minhs Äußerungen die Haltung der ASEAN öffentlich gemacht, dass sie den Antrag der Philippinen auf Einleitung eines Schiedsverfahrens in seinem Territorialstreit mit China unterstützt.

Gleichzeitig bestehen zwischen China und dem ASEAN-Raum sehr robuste wirtschaftliche Beziehungen. Zurzeit ist die ASEAN Chinas drittgrößter Handelspartner, China wiederum steht an Platz eins bei den Handelspartnern der ASEAN. Das Handelsvolumen betrug 2014 knapp 450 Milliarden US-Dollar, China will das bis 2020 mehr als verdoppeln.

Insofern werden die Äußerungen des ASEAN-Generalsekretärs die Beziehungen des Staatenbundes zu China insgesamt wohl nicht beschädigen. Allerdings dürfte sich China Gedanken machen, das sein Vorgehen im Südchinesischen Meer auf lange Sicht zu deutlicheren Stellungnahmen von Seiten der ASEAN führen könnte.

Warum hat die ASEAN bislang nicht deutlicher Stellung im Territorialstreit im Südchinesischen Meer bezogen?

Die Standard-Position der ASEAN war es bislang, die Umsetzung einer gemeinsamen Erklärung von China und der ASEAN aus dem Jahre 2002 zu fordern. Hierbei handelt es sich um die "Declaration of Conduct of Parties in the South China Sea." Außerdem fordert die ASEAN den baldigen Abschluss von Verhandlungen über einen Verhaltenskodex ("code of conduct") im Südchinesischen Meer.

In diesem Rahmen haben die ASEAN und China Mechanismen für regelmäßige Gespräche und Konsultationen entwickelt. Wenn nun die ASEAN eine friedliche Lösung der Territorialkonflikte gemäß dem Völkerrecht fordert, kann sie sich nicht gleichzeitig aus diesen Verfahren verabschieden, wenn sie auch manchen als wirkungslos erscheinen mögen.

Immerhin hat die ASEAN in jüngster Vergangenheit zu einigen Streitfragen Stellung bezogen. So haben 2013 die ASEAN und Japan eine gemeinsame Erklärung abgegeben, wonach sie bei der Gewährleistung des freien Überflugs in der Region zusammenarbeiten wollen. Damit reagierten sie auf eine kurz zuvor von China ausgerufene Luftverteidigungszone über einem zwischen Japan und China umstrittenen Seegebiet im Ostchinesischen Meer.

Auch 2014 hat die ASEAN das Prinzip des freien Überflugs bekräftigt. Schließlich gaben Anfang dieses Jahres die Verteidigungsminister einiger ASEAN-Staaten eine Erklärung ab, in der sie Besorgnis über Aktivitäten zur Anlage künstlicher Inseln äußerten, ohne allerdings China beim Namen zu nennen.

Minhs Äußerungen gegenüber der "Manila Times" sind vor allem im Kontext des Rechtsverfahrens zu sehen, das die Philippinen gegen China angestrengt haben und das von der ASEAN genau beobachtet wird. Hier wird eine Entscheidung gegen Ende des Jahres erwartet. Im übrigen wird die ASEAN sich an den Rahmen der Verhandlungen über einen Code of Conduct halten und sich durch einzelne Mitglieder, je nach deren Ermessen, zu konkreten Fragen äußern.

Phuong Nguyen ist Research Associate am Institut für Südostasien-Studien des Center for Strategic and International Studies (CSIS)in Washington