Nach politischer Haft in Belarus: Ehepaar startet neu
23. September 2024"Den ersten Tag unseres Wiedersehens verbrachten wir natürlich im Kreis unserer Familie, aber mein Mann und ich gingen auch zu zweit durch die Stadt spazieren, um uns zu unterhalten. Wir haben uns immer wieder Briefe geschrieben, dreimal die Woche, aber in der Haft passiert viel, was die Zensur nicht durchlässt", sagt die ehemalige politische Gefangene Polina Polowinko.
Sie und ihr Ehemann Dmitrij Lukscha wurden von Machthaber Alexander Lukaschenko begnadigt und am 3. Juli 2024 gleichzeitig freigelassen. Polowinkos Haft wäre in wenigen Wochen abgelaufen, die von ihrem Mann in einem Jahr. Kurz nach ihrer Freilassung verließ das Paar Belarus. Im Gespräch mit der DW schildert Polowinko, was das Schwierigste während der Haft war, wie die Freilassung verlief und ob es Bedingungen dafür gab.
Was wurde dem Ehepaar vorgeworfen?
"Mir ist klar, dass dieses Regime vor nichts Halt macht und es gefährlich ist, sich in dem Land aufzuhalten", sagt Polowinko. Zusammen mit ihrem Mann, einem Journalisten, hatte sie an den Protesten gegen die gefälschte Präsidentenwahl im Jahr 2020 teilgenommen. Bis 2016 arbeitete Dmitrij Lukscha für die staatliche Rundfunkanstalt von Belarus. Später war er freiberuflicher Korrespondent für den kasachischen Fernsehsender "Khabar 24".
Polowinko erzählt, dass sie oft mit ihrem Mann darüber gesprochen habe, Belarus zu verlassen. Schließlich sei es ihr gelungen, ihn zu überzeugen. Ein IT-Unternehmen, für das Polowinko arbeitete, sollte beim Umzug ins Ausland helfen. Doch dazu kam es nicht, weil ihr Mann Dmitrij Lukscha am 11. März 2022 wegen des Vorwurfs der "Diskreditierung von Belarus" festgenommen wurde. Er habe, so die Ermittler, "eine Reihe von Videos mit falschen Informationen über Belarus gedreht". Seine Frau wurde in dem Verfahren anfangs als Zeugin geführt. Als sie sich weigerte, gegen ihren Mann auszusagen, wurde sie wegen Mittäterschaft zur Verdächtigen erklärt.
Polina Polowinko betont, dass die Behörden keine Beweise gegen sie gehabt hätten. Sie sei nicht im Journalismus tätig gewesen und habe für die Videos ihres Mannes auch kein Geld angenommen. Formaler Grund für ihre Festnahme am 2. Juni 2022 waren Fotos von den Protestmärschen 2020, die beim Ehepaar beschlagnahmt wurden. Der Frau wurde ein "grober Verstoß gegen die öffentliche Ordnung" zur Last gelegt.
Geheime Briefe im Gefängnis
Die Eheleute saßen bis zum Gerichtsprozess in derselben Untersuchungshaft in Minsk, jedoch war ihnen jegliche Kommunikation untereinander untersagt. Nachrichten konnten sie nur über einen Anwalt oder ihre Eltern austauschen. "Dmitrij versuchte, einen Briefwechsel innerhalb des Gefängnisses herzustellen und gab Zettel geheim über andere Personen weiter. Einen solchen Brief von ihm bekam ich erst nach vier Monaten Untersuchungshaft", erinnert sie sich.
Am 2. Dezember 2022 wurden Polowinko und Lukscha verurteilt - sie zu zweieinhalb und er zu vier Jahren Gefängnis. Zudem erhielt das Paar eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 5300 Euro. Sie verbüßten ihre Strafen in verschiedenen Städten. "In den ersten fünf Monaten gab es keinen Briefwechsel mit meinem Mann, obwohl mir dies laut Gesetz zustand. Ich musste lange dafür kämpfen", so Polowinko. Damals habe sie sich in einer schwierigen psychischen Verfassung befunden.
Polowinko zufolge bekommen politische Gefangenen in Belarus sofort einen "speziellen" Umgang seitens des Regimes zu spüren. "Vom ersten Tag an wird man im Gefängnis ausgegrenzt", sagt sie. Dieser Umgang sei in vielerlei Hinsicht deutlich geworden - angefangen beim Verbot, Unterhaltungsveranstaltungen zu besuchen.
Die Frau spricht ungern darüber, was mit politischen Gefangenen in Haft passiert. Denn öffentliche Kritik an der Gefängnisleitung führe immer bei denjenigen, die wegen "Politik" einsitzen, zu verschärften Haftbedingungen und Strafen, unter anderem zum Verbot, Besuch oder Pakete zu erhalten.
Welchen Preis hat die Freilassung?
Polowinko erinnert sich, dass sie bei ihrer Ankunft im Gefängnis gefragt wurde, ob sie bereit sei, ein Begnadigungsgesuch zu schreiben, und fügt hinzu, dass eine Ablehnung sich auf die Haltung der Wärter negativ ausgewirkt hätte. "Ich sagte daher, ich sei dazu bereit, aber in Wirklichkeit habe ich es nicht getan, weil ich wusste, dass dies nicht funktioniert", so die Frau. Viele politische Gefangene hätten Begnadigungsgesuche gestellt, die jedoch aus tausenden formalen Gründen abgelehnt worden seien.
"Die Entscheidung, mich vorzeitig freizulassen, ist nicht auf Bemühungen meinerseits zurückzuführen", betont sie und erzählt, dass sie eines Tages zur Gefängnisleitung gerufen worden sei, wo ihr ein Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft gesagt habe, wenn sie freikommen wolle, müsse sie nur eine vorliegende fertige Begnadigung unterschreiben.
"Das erste, was man sich dann fragt, ist, was der Preis dafür ist. Man fürchtet, dass von einem dafür etwas verlangt wird - gegen jemanden auszusagen, ein Interview zu geben oder irgendetwas anderes", erzählt Polowinko. Der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft habe ihr aber gesagt, eine Gegenleistung werde von ihr nicht erwartet. Und auf die Frage, warum solche Bedingungen ausgerechnet ihr angeboten würden, habe er gesagt, Grund dafür sei "gute Führung" gewesen. Weitere Informationen habe sie von ihm nicht erhalten.
"Ich dachte, dass nur ich freikomme"
Gleichzeitig erlebte auch ihr Mann Dmitrij Lukscha einen solchen Vorgang. "Er selbst hatte keine Papiere im Voraus vorbereitet. Man kam auf ihn zu und und bot ihm an, einen fertigen Text zu unterschreiben", berichtet Polina Polowinko.
Von der Unterzeichnung der Papiere bis zur Freilassung vergingen etwa zwei Wochen. In dieser Zeit durfte niemand von der bevorstehenden vorzeitigen Haftentlassung erfahren. Polowinko vermutet, dass die Behörden fürchteten, es könnten Informationen an die Presse oder an Aktivisten gelangen. "Ich konnte nicht einmal meine Eltern oder Dmitrij in Kenntnis setzen", sagt sie.
Dass auch ihr Mann ein fertiges Begnadigungsgesuch unterschrieben hatte, wusste sie zu dem Zeitpunkt nicht. "Ich dachte, dass nur ich freikomme, weil meinem Mann noch eine längere Haftstrafe bevorstand. Erst als ich meine Mutter in Minsk traf, erfuhr ich, dass auch Dmitrij freigelassen wurde", so die Frau.
Jetzt beginnt das Paar ein neues Leben in Polen. "Ich will nicht sagen, dass wir uns erst wieder aneinander gewöhnen müssen. Aber man entwickelt natürlich einige Ecken und Kanten, wenn man sich an einem solch fürchterlichen Ort wie einem Gefängnis befindet. Wir bemühen uns, über alles zu reden", sagt Polina Polowinko.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk