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Regierungen unter Druck

5. Oktober 2008

Die dramatische Zuspitzung der Finanzkrise zwingt Europas Regierungen zum entschiedenen Eingreifen. Nicht nur in Berlin, auch in anderen Hauptstädten Europas, arbeiten Regierungen an Hilfen für angeschlagene Banken.

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Foto: Rainer Jensen dpa/lbn +++(c) dpa - Report+++
Merkel: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind"Bild: picture-alliance /dpa

Die Bundesregierung rang am Sonntag (05.10.2008) unter enormem Zeitdruck um eine Rettung des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate (HRE). Dessen Zusammenbruch könnte das gesamte Finanzsystem erschüttern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte deshalb erstmals eine Komplettgarantie für private Spareinlagen in Aussicht, um die Bürger zu beruhigen: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind." Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) betonte: "Ich möchte unterstreichen, dass (...) wir dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren."

Wie es in Regierungskreisen hieß, würde damit über die bisherigen Sicherungssysteme hinaus eine Staatsgarantie für private Spareinlagen in ganz Deutschland greifen. In den vergangenen Tagen hatten bereits Irland und Griechenland die Einlagen der Sparer bei den großen Banken in unbegrenzter Höhe garantiert. Merkel hatte sich am Vortag noch unzufrieden über den Alleingang der Iren geäußert, die mit ihrer Vollgarantie die Briten zu Maßnahmen gegen eine Kapitalflucht nach Irland gezwungen hatten.

Milliarden-Lücke

Merkel zeigte sich fest entschlossen, die Zukunft von HRE zu sichern, um eine Schieflage des gesamten Finanzsystems zu verhindern. In Berlin liefen deshalb Verhandlungen mit der Finanzbranche über ein neues Rettungspaket. Der vor einer Woche ausgehandelte 35 Milliarden Euro schwere Rettungsplan für die HRE war am Samstag geplatzt. Steinbrück sprach von einem weiteren "Liquiditätsloch in ungeahnter Milliardenhöhe".

Der "Welt am Sonntag" zufolge hatte die Deutsche Bank bei einer Prüfung festgestellt, dass die HRE bis Jahresende 50 Milliarden Euro zusätzliche Liquidität brauche und bis Ende kommenden Jahres 70 bis 100 Milliarden Euro. In Branchenkreisen wurde die erste Zahl als "nicht ganz falsch" bezeichnet, während die 100 Milliarden zu hoch gegriffen seien. Offizielle Angaben zur Höhe des zusätzlichen Geldbedarfs gab es nicht.

Nach der ersten Einigung sollte die Bankenbranche der HRE zunächst einen Kredit von 15 Milliarden Euro gewähren und die Bundesbank weitere 20 Milliarden Euro. Dies reichte offensichtlich nicht aus.

Unionsfraktionschef Volker Kauder kündigte nach der Koalitionsrunde im Kanzleramt an, der Bund werde seine Bürgschaftszusagen für die HRE nicht erhöhen. Es bleibe bei der Bürgschaftszusage des Bundes im Umfang von 26,5 Milliarden Euro. "Darüber hinaus ist vom Bund nichts zu erwarten."

(AP Photo/Bundesregierung / Bergmann, pool)
Merkel, Sarkozy und Brown (v. l.) sowie Berlusconi (nicht im Bild) wollten sich bei ihrem Mini-Gipfel nicht zu einem Hilfsfonds entschließenBild: AP

Krisengipfel: Getrennte Wege

Ein Krisengipfel europäischer Spitzenpolitiker in Paris brachte kein gemeinsames Vorgehen gegen die Finanzkrise. Die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien betonten allerdings, das europäische Bankensystem vor dem Zusammenbruch schützen zu wollen. Die Idee eines EU-Fonds von 300 Milliarden Euro zur Stützung der Banken scheiterte schon vor dem Gipfel an deutschem Widerstand. Wie von Deutschland gewünscht, soll jedes Land seine Banken mit seinen eigenen Mitteln schützen.

Diskussionen gab es eine um "flexiblere" Anwendung des Euro- Stabilitätspaktes, womit ein Absturz in die Rezession verhindern werden soll. Der Stabilitätspakt sieht eine Begrenzung der Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor. Die Anwendung der Regel müsse "die besonderen Umstände widerspiegeln", hieß es. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy zog daraus den Schluss, die Schuldenregeln seien "flexibel". Der Chef der Eurogruppe der Finanzminister, Jean-Claude Juncker, forderte die wortgetreue Anwendung des Paktes.

Problemfall Fortis

Nach den Niederlanden erwägt auch die belgische Regierung, die Aktivitäten des Finanzkonzerns Fortis in ihrem Land zu verstaatlichen. Die Regierung sucht zwar noch nach einem Käufer für den belgischen Teil von Fortis. Laut Medienberichten ist aber für den Notfall auch eine Verstaatlichung möglich. Die Regierung der Niederlande hatte bereits die Fortis-Aktivitäten in ihrem Land übernommen. Der Immobilienfinanzierer Dexia, der vor einigen Tagen eine Milliarden-Kapitalspritze von Belgien, Frankreich und Luxemburg bekommen hatte, geriet am Wochenende offenbar noch tiefer in den Abwärtssog der Krise. Genaue Zahlen sind jedoch noch unbekannt.

US-Rettungspaket

Nahezu in den Hintergrund geriet unter diesen Umständen die Entwicklung in den USA, wo die Finanzmarktkrise ihren Anfang nahm. Dort hatte am Freitag nach zähen Verhandlungen das Abgeordnetenhaus im zweiten Anlauf das 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket für die Finanzbranche gebilligt. Präsident George W. Bush unterzeichnete es sofort. Kern des Plans ist, dass der Staat den Banken faule Kreditpapiere abkauft. Die Behörden arbeiteten mit Hochdruck an der konkreten Umsetzung. Allerdings warnten Politiker und Experten vor Erwartungen auf eine rasche Genesung der Wirtschaft. Zudem gab es viel Kritik an den gleichfalls verabschiedeten Steuergeschenken in Milliardenhöhe. (mas)

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