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MARe: Ein neuer Blick auf die rumänische Kunst

8. Oktober 2018

Das private "Museum für aktuelle Kunst" eröffnet am 9. Oktober in Bukarest. Die Kunstwerke spiegeln die Widersprüche und Umbrüche der Gegenwart und der jüngsten Geschichte Rumäniens.

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Rumänien Museum für aktuelle Kunst in Bukarest
"Non-stop painting" von Nicolae Comanescu, einem der bekanntesten zeitgenössischen rumänischen MalerBild: MARe

"Aktuelle Kunst spielt eine eher geringe Rolle in der rumänischen Gesellschaft", sagt der Kunsthistoriker und Philosoph Erwin Kessler. Das liege an der Selbstgefälligkeit und Inaktivität der bestehenden Institutionen aus der Kunstwelt, die sich entweder in einen "spiritualistischen und kulturalistischen Ästhetizismus" zurückziehen oder sich mit "technokratischem Pseudo-Protest" begnügen. "Beide Lager bleiben aber irrelevant für eine extrem aktive Gesellschaft, die echte Plattformen zur Begegnung und Auseinandersetzung braucht."

Eine solche Plattform soll ein innovatives Museum in Bukarest bieten, das Erwin Kessler als Direktor leitet. Das Museum für aktuelle Kunst (Rumänisch: Muzeul de Arta Recenta, kurz: MARe) ist ab dem 9. Oktober für das Publikum geöffnet. Es ist das erste private Museum in Rumänien seit fast 100 Jahren. Finanziert wird es durch die 2015 gegründete MARe Stiftung, bald sollen auch diverse weitere Partner und Sponsoren dazukommen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sei in Rumänien ein Museum in einem eigens für diesen Zweck erbauten Gebäude untergebracht, betont Erwin Kessler. Es umfasst fünf Ebenen und soll durch ein Labyrinth von Gängen und kleinen Räumen eine intime, persönliche Begegnung mit der Kunst ermöglichen.           

Rumänien Erwin Kessler, Direktor des Museums für aktuelle Kunst in Bukarest
Der rumänische Kunsthistoriker und Philosoph Erwin KesslerBild: privat

Die Erinnerungen an die dunklen Jahre der kommunistischen Diktatur prägen diesen Ort. Hier hatte ursprünglich der Architekt Octav Doicescu 1939 eine Privatvilla entworfen, die später von der kommunistischen Regierung konfisziert und von der Außenministerin Ana Pauker bewohnt wurde. Als Diktator Nicolae Ceausescu an die Macht kam, lag sein Hauptwohnsitz in derselben Straße. Die Architekten von Youssef Tohme Architects and Associates (YTAA) hatten die schwierige Aufgabe, dem neuen Gebäude des MARe-Museums eine eigene Identität zu verleihen, aber auch die Erinnerung an das architektonische Erbe zu bewahren - inklusive den unterirdischen Bunker.

Abkehr vom "sozialistischen Realismus"

Was bedeutet das Konzept "aktuelle Kunst" für das neue Museum? Die Gemälde, Skulpturen, Installationen, Fotos, Konzept- und Videokunst-Werke von über 100 rumänischen Künstlern, die in der MARe-Dauerausstellung zu sehen sind, sind seit der Mitte der 60er-Jahre entstanden. Der Wendepunkt war 1965, "weil damals das kommunistische Regime auf das Dogma des sozialistischen Realismus in der Kultur verzichtete und das neue Konzept der stilistischen Diversität einführte", erläutert Erwin Kessler.

Das Museum zeigt, wie sich die rumänische Kunst Schritt für Schritt erneuerte und vom sowjetischen Kanon des sozialistischen Realismus entfernte. Erste Innovationen in den 60er-Jahren hatten mit dem Wunsch nach einer "Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft, Produktion, Technologie und Innovation" zu tun: Dafür stehen die Werke der Neo-Konstruktivisten und der Vertreter der "konkreten Kunst", von der Gruppe "Sigma" bis zu Diet Sayler, Pavel Ilie oder Stefan Sevastre.

Zur gleichen Zeit rückten nationale Elemente in den Mittelpunkt der Kunst, von alten rumänischen Mythen bis zu dekorativen Motiven aus der volkstümlichen Kunst. Der Maler Ion Tuculescu galt damals als "kultureller Held", der das Werk anderer Künstler stark beeinflusste, erläutert Erwin Kessler. In den 80er-Jahren, dem letzten Jahrzehnt der kommunistischen Diktatur in Rumänien, geprägt von bitterer Armut, wenden sich zentrale Figuren der rumänischen Kunst einer "neuen symbolisch-religiösen Richtung zu, dem Neo-Orthodoxismus". Dieser sei Kessler zufolge der damaligen Propaganda-Sprache des Regimes "gefährlich nahe" gewesen, die eine "kulturelle Überlegenheit der Rumänen in verschiedenen Bereichen behauptete".


Neuorientierung, Rebellion und "Lifestyle-Kunst" 

Rumänien Museum für aktuelle Kunst in Bukarest
Das MARe bietet jedes Jahr auch temporäre Ausstellungen internationaler Künstler Bild: MARe

Für rumänische Künstler seien die 90er-Jahre eine schwierige Zeit der Suche nach neuer Orientierung gewesen, sagt der Direktor des MARe: Denn nach der Wende wurde die Kunstszene nicht mehr staatlich gefördert. Um die Jahrtausendwende entstand in Bukarest die besonders rebellische Gruppe Rostopasca, die Kessler als "neo-dadaistisch und neo-pop" bezeichnet und deren Mitglieder "schnell die einflussreichen Muster ihrer Zeit zersetzten." Um das Jahr 2010 "erlitt die Kunst, zusammen mit der ganzen rumänischen Gesellschaft, den Schock des Konsumismus, der schrittweise das Trauma des Kommunismus ersetzt", so Kessler. Die "Lifestyle-Kunst" der folgenden Jahre sei distanziert und liege zwischen "Kritik und Dekoration, zwischen Street Art und Hochglanz-Magazinen." Die Dauerausstellung des Museums MARe spiegelt diese Entwicklungen, Konflikte und Widersprüche der rumänischen Kunst von 1965 bis heute. 

Obgleich sich MARe hauptsächlich auf rumänische Kunst konzentriert, sollen jedes Jahr Werke von drei international bekannten zeitgenössischen Künstlern ausgestellt werden. Zur Eröffnung zeigt das Museum vom 9. Oktober bis zum 28. Januar 2019 unter dem Titel "MEN" eine Einzelausstellung des kanadischen Künstlers Jeff Wall, international bekannt für seine großformatigen Fotografien.

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Dana Alexandra Scherle Redakteur und Autor der DW Programs for Europe