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Politik

Neue Generation von Terroristen in Griechenland

Jannis Papadimitriou
21. März 2017

Terror-Alarm in Athen: In einem Briefzentrum wurden acht explosive Pakete abgefangen. Sie waren an Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, ESM-Direktor Klaus Regling und internationale Finanzinstitutionen adressiert.

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Griechenland Post Briefkasten in Athen
Bild: Reuters/A. Konstantinidis

Sicherheitsexperten der griechischen Polizei haben die explosiven Briefsendungen am späten Montagabend unschädlich gemacht und in ein Labor zur weiteren Untersuchung gebracht. Diese dürfte längere Zeit in Anspruch nehmen, da die Behörden nach Fingerabdrücken und geeignetem DNA-Material suchten, berichtet der griechische TV-Sender Skai unter Berufung auf die Polizei. Weiter hieß es, die Postsendungen waren "von der gleichen Sorte" wie zwei neulich ins Ausland gelangte Briefbomben: Am vergangenen Mittwoch war in der Poststelle des Bundesfinanzministeriums in Berlin ein verdächtiges Päckchen abgefangen und entschärft worden, am Donnerstag erreichte dann eine ähnliche Postsendung das Büro des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Paris. Eine IWF-Mitarbeiterin wurde beim Öffnen der explosiven Briefsendung verletzt, der französische Präsident François Hollande sprach bereits von einem "Attentat". Absender war nach eigenen Angaben die griechische Terrorgruppe "Verschwörung der Feuerzellen", die seit 2008 mit Brand- und Bombenanschlägen für Schlagzeilen sorgt. 

Eigentlich galt diese Gruppierung als zerschlagen, nachdem in den vergangenen Jahren 60 mutmaßliche Mitglieder und Sympathisanten verhaftet wurden. Doch inzwischen mehren sich wieder die Gewalttaten im Namen der "Feuerzellen": Im Oktober 2016 legte die Gruppe eine Bombe vor dem Haus einer Richterin ab und bezeichnete dies als Auftakt zu ihrem "Nemesis-Plan", benannt nach der Rache-Göttin aus der altgriechischen Mythologie. Am Donnerstag erklärte die Gruppe den Paketbombenanschlag auf das Bundesfinanzministerium zum zweiten Teil des "Nemesis-Plans". Vermutlich hat die Untergrundorganisation mehr vor.

"Wir sollten das Bekennerschreiben abwarten, um Informationen über die Vorgehensweise der Gruppe und potenzielle Anschlagsziele zu erhalten", sagt Mary Bossi, Professorin für Internationale Sicherheit an der Universität Piräus. In Griechenland gebe es eine neue Generation von Terroristen, die durch die Verzweiflung vieler Menschen während der Wirtschaftskrise gestärkt würden. Das sei ein Unterschied zur linksextremistischen Terrororganisation "17. November", die zwischen 1975 und 2000 in Griechenland 23 Menschen ermordete und erst im Jahr 2001 zerschlagen werden konnte. "Die Zielpersonen gehörten einst den sogenannten herrschenden Klassen an. Doch die neuen Untergrundorganisationen behaupten, auch die einfachen Bürger seien nicht unschuldig. Und zwar deshalb, weil sie wählen gehen, untätig bleiben, sich mit dem Staat anfreunden und keinen Aufstand proben", sagt Terrorismus-Expertin Mary Bossi im Gespräch mit der DW.  

Armut Griechenland
Schlange vor einer Suppenküche in Athen: Terroristen profitieren von der Verzweiflung der Menschen, meint Mary Bossi Bild: Reuters/A.Konstantinidis

Abschied vom Marxismus-Leninismus 

Der letzte große Schlag gegen den Terrorismus gelang der griechischen Polizei im September 2014, als sie den mutmaßlichen Top-Terroristen Nikos Maziotis in Athen verhaften konnte. Seine Gruppierung "Revolutionärer Kampf" soll auch an einem Anschlag auf die Residenz des deutschen Botschafters im Jahr 2013 beteiligt gewesen sein. Ungeklärt bleibt noch ein fehlgeschlagener Anschlag in der Athener U-Bahn vor fünf Jahren. Ein aufmerksamer Fahrer entdeckte damals die aktivierte Bombe beim Kontrollgang durch die Waggons und alarmierte gerade noch rechtzeitig die Polizei. Mary Bossi kritisiert, dass sämtliche Medien im In- und Ausland die in Griechenland aktiven Untergrundorganisationen als "linksextremistisch" bezeichnen: "Diese Gruppen haben sich mittlerweile vom Marxismus-Leninismus verabschiedet, sie distanzieren sich sogar ausdrücklich von linken Ideen. Dafür schwören sie dem Anarchismus Treue." Der tatsächliche Einfluss anarchistischer Theoretiker sei allerdings schwer auszumachen: "Frühere Bekennerschreiben lassen eine eher oberflächliche Kenntnis vermuten, als würden diese Menschen den ideologischen Hintergrund des Anarchismus nicht verstehen und lieber dem Populismus verfallen. Schließlich gab es in Griechenland noch nie eine Denkschule des Anarchismus, anders als in Deutschland oder Frankreich."

Die Terrorismus-Expertin weist auch darauf hin, dass die selbsternannten "Stadtguerillas" in Griechenland - zu denen auch die "Feuerzellen" gehören - in engem Kontakt zu Gleichgesinnten in anderen europäischen Ländern sowie Russland und Lateinamerika stehen. Ob sie von ihnen auch technische Expertise bei den jüngsten Paketbombenanschlägen bekommen haben, sei unklar. Möglicherweise finde sich aber im künftigen Bekennerschreiben der eine oder andere Hinweis darauf, vermutet Bossi. Jedenfalls schickten die "Feuerzellen" in einer ersten Stellungnahme nach dem fehlgeschlagenen Zustellversuch in Berlin am Donnerstag "genossenschaftliche Grüße" nach Chile.       

Politiker in Verlegenheit 

In einer ersten Reaktion nach dem Vorfall in Berlin versuchte der griechische Minister für Bürgerschutz, Nikos Toskas, dem Geschehen die Brisanz zu nehmen. Das Paket habe eine sehr geringe Menge an Sprengstoff enthalten, erklärte er im TV-Interview. Aus diesem Grund hätten die griechischen Kontrolleure beim Abschicken und übrigens auch ihre deutschen und französischen Kollegen bei der Ankunft der Postsendung die Gefahrenquelle nicht ausfindig machen können.

Fast grotesk erscheint, dass in der Postsendung nach Berlin ausgerechnet der konservative Politiker Adonis Georgiadis als Absender angeführt wird. Der ehemalige Gesundheitsminister, im Nebenberuf Händler patriotischer Bücher, ist schließlich selbst ein bevorzugtes Ziel mutmaßlicher Extremisten. Immer wieder wird seine Buchhandlung im Athener Norden von Unbekannten zerstört, vermutlich auch deshalb, weil Georgiadis ursprünglich aus der rechtspopulistischen Ecke kommt. Dass der Name von Georgiadis in diesem Fall offensichtlich missbraucht wurde, verurteilt nicht zuletzt die in Athen regierende Linkspartei Syriza.