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"Neue Eiszeit in Korea"

Esther Felden8. Januar 2016

Zwei Tage nach Nordkoreas viertem Atomtest hat der Süden reagiert: mit Propaganda-Beschallung an der Grenze. Sven Schwersensky von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul über Eskalationspotenzial und Stimmung im Land.

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Ein südkoreanischer Soldat vor einer Lautsprecherwand an der Grenze (Foto: Getty Images/Chung Sung-Jun)
Bild: Getty Images/Chung Sung-Jun

Deutsche Welle: Zwei Tage nach dem jüngsten nordkoreanischen Atomtest hat Südkorea als Reaktion wieder Lautsprecherwände an der gemeinsamen Grenze aufgestellt und mit Propaganda-Beschallungen begonnen. Was bedeutet diese jüngste Entwicklung für die angespannte Lage auf der Halbinsel?

Sven Schwersensky: Das ist natürlich vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die im August 2015 gemacht wurden, zunächst einmal eine Entwicklung, die für alle etwas überraschend kam. (Im Sommer vergangenen Jahres war es beiden Seiten nach dreitägigen Verhandlungen gelungen, eine Vereinbarung zu treffen, um die zu dem Zeitpunkt sehr angespannte Lage auf der Halbinsel zu entschärfen. Auslöser des Konflikts war die Explosion einer Landmine im Grenzgebiet, für die Seoul den Norden verantwortlich machte. Südkorea hatte damals ebenfalls mit Lautsprecherdurchsagen reagiert. Pjöngjang versetzte seine Truppen in Alarmbereitschaft und sprach von einem "offenen Kriegsakt". Anm. d. Red.)

Man hätte vermutet, dass Südkorea erst einmal abwarten würde, was im Rahmen des UN-Sicherheitsrates beschlossen wird und dann eigene Aktionen - möglicherweise in Ergänzung der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates - unternimmt. Dass man jetzt dem Ganzen vorgreift, ist eher verwunderlich.

Welche Gründe könnten innenpolitisch hinter diesem Schritt stecken?

Dieses Thema ist in Südkorea mit dem Begriff "Nordwind vor den Wahlen" verbunden. Die Regierung steht weiterhin unter großem Druck - in verschiedenen sozialen und mittlerweile auch wirtschaftspolitischen Fragen ist der Reformbedarf immer noch sehr groß. Die Demonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform und gegen eine Vereinheitlichung der Geschichtsbücher in den Schulen dauern an. Und vor diesem Hintergrund gibt es die Interpretation, dass außenpolitische Spannungen der Regierung gerade gelegen kommen, um von den innenpolitischen Problemen abzulenken.

Sven Schwersensky von der FES in Seoul (Foto: FES)
Sven Schwersensky leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in SeoulBild: Friedrich Ebert-Stiftung

Andererseits muss man auch sagen: Der Erwartungsdruck in der Bevölkerung ist immens. Die Menschen erwarten von der Regierung, dass sie etwas tut. Das bedeutet allerdings nicht, dass in der Bevölkerung die Sorge vor möglichen nordkoreanischen Aktionen groß war - zumindest vor dem Beschluss, die Lautsprecher wieder einzuschalten. Diese Entscheidung hat dann wieder für mehr Sorgen gesorgt. Vor diesem Hintergrund ist das auch innenpolitisch ein nicht ganz klar nachvollziehbarer Schritt.

Nach den Spannungen vom Sommer standen die Zeichen zuletzt wieder ein bisschen auf Entspannung. Inwieweit zerstören die Ereignisse dieser Woche das Klima zwischen beiden Ländern einmal mehr?

Damit ist die Grundlage der Vereinbarung vom 26. August völlig zunichte gemacht. Alle Beobachter gehen von einer neuen Eiszeit in den Beziehungen aus. Hinzu kommt der auffällige oder zumindest merkwürdige Tod des nordkoreanischen Chefunterhändlers für die Beziehungen zu Südkorea (Kim Yang Gon war Ende 2015 ums Leben gekommen. Nach offiziellen nordkoreanischen Angaben starb er bei einem Autounfall, Anm. d. Red.). Sein Tod muss jetzt vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse vielleicht noch einmal in einem ganz anderen Licht interpretiert werden.

Gibt es in Südkorea denn auch politische Stimmen, die zur Mäßigung aufrufen?

Es gibt politische Stimmen, die zurückhaltend zur Mäßigung aufrufen. Man muss aber natürlich sehen, dass es vor dem Hintergrund der bestehenden nationalen Sicherheitsgesetze in so einer Situation für etablierte Kräfte politisch sehr riskant ist, sich dezidiert für eine andere Richtung einzusetzen. Man muss auch sagen: Letztendlich ist es so, dass Nordkorea mit diesem Atomtest - unabhängig von der Vereinbarung aus dem August - eindeutig internationales Recht gebrochen und auch die militärische Konfrontation deutlich verschärft hat.

Wie hoch ist aus Ihrer Sicht das Eskalationspotenzial der Situation?

Die erste Reaktion Nordkoreas auf die wiederaufgenommenen Lautsprecheranlagen-Sendungen an der Grenze war, dass sie im Gegenzug ihre eigenen Lautsprecher angeschaltet haben. Das ist eine gemäßigte Eskalation - oder ein pari für pari. Man hofft, dass es dabei bleibt und nicht zu weiteren Schritten oder unter Umständen auch wieder zu Schusswechseln kommt, so wie es beispielsweis im August der Fall war.

Weiß man, wie viele Menschen diese Durchsagen, die knapp 25 Kilometer nach Nordkorea schallen, überhaupt hören können?

Primär sind das natürlich die in der Sicherheitszone um die Demilitarisierte Zone angesiedelten Sicherheitskräfte, die davon betroffen sind. Was darüber hinaus die Landbevölkerung mitbekommt, lässt sich schwer einschätzen. Bei den Programmen handelt es sich meines Wissens um Musik- und Nachrichtensendungen, die speziell für nordkoreanische Hörer produziert werden. Es handelt sich nicht um das laufende Programm eines südkoreanischen Radiosenders. Selbst gehört habe ich es aber noch nicht.

Wie erleben Sie persönlich die Stimmung in Südkorea in den Tagen seit dem Atomtest?

Die erste Reaktion war eher eine nach dem Motto: Ach, sowas schon wieder. Da war keine Panik, anders als bei den ersten Atomtests 2006 oder 2009. Damals sind die Menschen in die Geschäfte gerannt und haben Zucker oder Wasser in großen Mengen gekauft und zu Hause gehortet haben. Aber ich denke, dass man sich jetzt vor dem Hintergrund der Erfahrung aus dem August schon gefragt hat, was passieren wird, wenn die südkoreanische Seite die Lautsprecher wieder anschaltet.

Damals war die Eskalation eindeutig, heute ist sie gemäßigter. Es ist bis jetzt auch noch kein Ultimatum ausgesprochen worden. Das könnte aber möglicherweise noch kommen.

Dann stellt sich natürlich die Frage, wie Peking und Washington reagieren. Die Lage ist jetzt verglichen mit August etwas anders. Damals konnte Peking noch eine gewisse Hebelwirkung ausüben. Ich bezweifle, dass das jetzt der Fall sein wird. Allein die Tatsache, dass der Atomtest in Peking vorher nicht bekannt war - was bei den drei vorherigen der Fall war - und die sehr klare mediale Reaktion in Peking zeigen, dass man dort festgestellt hat: Pekings Annäherungskurs der letzten Monate hat wenig Ergebnisse gebracht. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die prominente Präsenz eines chinesischen Vertreters bei den Feierlichkeiten am 10. Oktober zum 70. Gründungsjubiläum der Partei der Arbeit Nordkoreas. Davon hatte man sich erhofft und spekuliert, dass dies ein neuer Auftakt in den Beziehungen sein würde. Ich denke, der Atomtest hat gezeigt, wie hohl solche Spekulationen waren.

Sven Schwersensky ist Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul.