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PolitikNahost

War Benjamin Netanjahu in Saudi-Arabien?

Kersten Knipp | Imane Mellouk
23. November 2020

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu soll zu einem Blitzbesuch in der saudischen Stadt Neom gewesen sein. Doch Saudi-Arabien dementiert die Nachricht. Sollte das Treffen stattgefunden haben, wäre das historisch.

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Bildkombo Israel Ministerpräsident Netanjahu und saudischer Kronprinz Mohammed bin Salman
Israel Ministerpräsident Netanjahu (links) und der saudische Kronprinz Mohammed bin SalmanBild: Maya Alleruzzo/Bandar AL-JALOUD/AFP

Reiste er oder reiste er nicht? Am Montag hatte die israelische Zeitung "Haaretz" über eine geheime Reise von Premier Benjamin Netanjahu in die saudische Stadt Neom berichtet. Dort habe er offenbar ein knapp zweistündiges Gespräch mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) und US-Außenminister Mike Pompeo geführt, dann sei er kurz nach Mitternacht zurück nach Israel geflogen.

Nun dementierte die saudische Staatsführung dieses Gespräch. "So ein Treffen gab es nicht", schrieb der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan auf Twitter. "Die einzig anwesenden Regierungsvertreter waren amerikanisch und saudi-arabisch."

Netanjahu selbst wollte sich zu den Berichten über die angebliche Reise nicht äußern. 

Kampf um Führungspositionen 

Sollte das Gespräch aber tatsächlich stattgefunden haben, gäbe es dafür gute Gründe. Denn sowohl die israelischen wie auch die saudischen Politiker schauen derzeit aufmerksam nach Washington. Der Zeitpunkt des Treffens könnte womöglich weniger mit der arabisch-israelischen Annäherung als mit der derzeitigen US-amerikanischen Innenpolitik zu tun haben, vermutet Johannes Becke, Inhaber des Ben-Gurion-Lehrstuhl für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. 

Die letzten Wochen der Trump-Administration seien geprägt vom Kampf um zukünftige Führungspositionen in der republikanischen Partei. Der Abschiedsbesuch von Mike Pompeo - selbst ein Evangelikaler - im Nahen Osten habe eine Reihe von Symbolhandlungen für die evangelikale Stammwählerschaft in den USA enthalten: "Der Besuch einer Siedlung in den besetzten Gebieten, der Besuch eines Museums zur Geschichte des christlichen Zionismus in Jerusalem - und jetzt ein israelischer Staatsbesuch in Saudi-Arabien", so Becke.

Saudi-Arabien | US Außenminister Mike Pompeo in Neom
US-Außenminister Mike Pompeo in Neom - Symbolbesuch für die Stammwähler? Bild: Patrick Semansky/AFP/Getty Images

Der israelischen wie der saudischen Regierung sei gleichermaßen klar, dass der künftige US-Präsident Joe Biden mit Blick auf den Iran den von Donald Trump eingeschlagenen Kurs nicht fortsetzen werde, sagt Gil Murciano, der bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik auch zu den israelisch-arabischen Beziehungen forscht. Allerdings habe die Trump-Administration nachdrücklich auf die Annäherung zwischen Israel und einigen arabischen Staaten hingearbeitet. Diesem Zweck dürfte wohl auch der gestrige Besuch dienen, wenn er stattgefunden hat.

Es tut sich etwas in der saudischen Außenpolitik 

Solte Netanjahu in Neom gewesen sein, dann wäre er am selben Tag erfolgt, an dem der von Saudi-Arabien ausgerichtete G-20-Gipfel zu Ende ging. Den konnte das Königreich als Erfolg verbuchen: Die per Videoschalte verbundenen Staats- und Regierungschefs waren sich einig, die Weltwirtschaft anzukurbeln und im Kampf gegen das Coronavirus solidarisch vorzugehen, konkret: ärmeren Ländern Mittel für die Beschaffung der Impfstoffe zukommen zu lassen. Der Gipfel, schreibt die saudische Zeitung "Al Riad", habe der Welt die "humanitären Werte" des Königreichs gezeigt. Als da seien: "Toleranz, Solidarität, Gerechtigkeit und Rechte für die gesamte Menschheit, Frauenrechte."

Virtueller G20-Gipfel | Deutschland
Der virtuelle G20-Gipfel: Bundeskanzlerin Merkel im Dialog mit König Salman, den Gastgeber der Konferenz Bild: Guido Bergmann/picture alliance

Das dürfte im Westen nicht jeder wörtlich nehmen. Denn  Dennoch ist in die saudische Innen- und Außenpolitik Bewegung gekommen. Der Grund liegt auf der Hand: Das Königreich versucht sein Verhältnis zur westlichen Staatenwelt zu verbessern. Es steht wegen des Exports eines fundamentalistischen Islams in der Kritik. Die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi wie auch der wesentlich von Saudi-Arabien vorangetriebene Krieg im Jemen haben den Ruf des Königreichs zusätzlich leiden lassen.

Der Wille zur Annäherung

Hinzu kommen Veränderungen vor Ort. Das Revolutionsjahr 2011 habe zunächst vor allem die arabischen Republiken geschwächt, sagt Wissenschaftler Becke. Jetzt bekämen die arabischen Monarchien die Folgen zu spüren. Zwischen den Golf-Monarchien herrscht bereits ein "monarchischer Frieden", und auch in ihrer Außenpolitik zeigten sich die arabischen Monarchien pragmatischer - nicht zuletzt im Umgang mit Israel. "Gerade angesichts der religiösen Bedeutung von Saudi-Arabien wäre eine saudisch-israelische Annäherung auch ein Durchbruch für die jüdisch-muslimischen Beziehungen - mit positiven Auswirkungen, die bis nach Europa reichen könnten."    

Tatsächlich könnte das Gespräch von Sonntag - so es denn stattgefunden hat - aus der Perspektive Saudi-Arabiens weitere Gesten des guten Willens einleiten, nimmt Murciano an. Schon die im September besiegelte Normalisierung zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain auf der einen und Israel auf der anderen Seite war ein Tabubruch. "Aber für Saudi-Arabien ist die Herausforderung noch viel größer. Denn das Königreich hat in der arabischen Welt nicht nur eine wirtschaftlich und politische, sondern auch symbolisch herausragende Bedeutung, denn dort befinden sich mit Mekka und Medina ja zentrale Stätten des Islam." So verstanden, ist die Annäherung an Israel ein Indikator für die Wucht der Veränderungen in der Region.

Herausforderung Iran

Zudem dürfte es in dem Gespräch - wiederum unter dem Vorbehalt, dass es überhaupt stattgefunden hat - auch um den Umgang mit dem Iran gegangen sein. Dieser stellt durch die Präsenz seiner Truppen in Syrien, seinem Einfluss im Irak wie auch durch die enge Zusammenarbeit mit der libanesischen Hisbollah für die meisten arabischen Golfstaaten wie auch Israel eine erhebliche Bedrohung dar. Auch teilen alle Staaten die Sorge vor einer atomaren Bedrohung durch den Iran.

Iran Ayatollah Ali Khamenei
Der iranische Religionsführer Ayatollah Chamenei: Sorge vor atomarer Bedrohung Bild: picture-alliance/abaca/Salampix

"Ich nehme zwar nicht an, dass Präsident Trump noch einen offenen Krieg gegen den Iran führen wird", sagt Analyst Murciano. "Aber die beiden könnten durchaus über das Vorgehen der Trump-Administration gegenüber dem Iran in den kommenden zwei Monaten gesprochen haben." 

Die Vermutung scheint insofern plausibel, als der Iran der Internationalen Atomenergiebehörde keine befriedigende Erklärung für den Fund von Uranteilchen in einer nicht als Atomstandort deklarierten Anlage liefern konnte. Damit erhärtet sich die Vermutung, der Iran treibe sein Atomprogramm weiter voran.

Ähnlich sieht es auch der in London lebende Politologe Muhammad Kawas. Ein Militärschlag gegen den Iran sei eher unwahrscheinlich. "Denn der würde dem Iran nur nützen, denn dann könnte er sich der Welt als Opfer darstellen."

Israelisch-palästinensischer Konflikt

Noch ein weiterer Konflikt könnte langfristig von der saudisch-israelischen Annäherung betroffen sein: der zwischen Israelis und Palästinensern. Denn Netanjahu konnte regionale Zusammenarbeit fördern, ohne sich gezwungen zu sehen, sich mit den Besatzung der palästinensischen Gebiete auseinanderzusetzen und den Forderungen der Palästinenser.  

Israelische Siedlung im Westbank
Israelische Siedlung im Westjordanland: Die Palästinenser fürchten ein Verharren Bild: Hazem Bader/AFP

Dagegen senden die Palästinenser auch ihrerseits wieder Signale der Verhandlungsbereitschaft, nachdem sie sich angesichts einiger Entscheidungen der Trump-Administration - Anerkennung von ganz Jerusalem als israelischer Hauptstadt oder auch die Erklärung des US-Präsidenten, die 1967 besetzten Golan-Höhen seien ein Teil Israels - aus allen Gesprächen zurückgezogen hatten.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika