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Politik

Langzeitherrscher Nasarbajew tritt zurück

Roman Goncharenko
19. März 2019

Nursultan Nasarbajew war länger an der Macht als jeder andere postsowjetische Staatschef. Nun trat der kasachische Präsident zurück - ein Präzedenzfall, der nicht ganz überraschend ist.

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Nursultan Nasarbajew
Nursultan NasarbajewBild: Reuters/S. Zhumatov

Eine kurzfristig angekündigte Fernsehansprache und ein seit fast 30 Jahren aufgebautes Machtsystem geht zu Ende. Der Präsident Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, verkündete am Dienstag überraschend seinen Rücktritt, ohne Begründung. "Ich habe mich entschieden, mein Amt als Präsident niederzulegen", sagte der 78-jährige Herrscher der ehemaligen Sowjetrepublik in Zentralasien. Interimspräsident soll Senatspräsident Kasym-Schomart Tokajew werden. Ein Termin für Neuwahlen steht noch nicht fest. Es ist der zweite Fall seit dem Zerfall der UdSSR, dass ein amtierender Präsident eines Nachfolgestaates freiwillig zurücktritt. Doch anders als Russlands Präsident Boris Jelzin 1999 nannte Nasarbajew in seiner Ansprache keinen Nachfolger.

Für Beobachter wie Sebastian Schiek von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) war Nasarbajews Rücktritt nicht ganz überraschend. "Es gab schon länger Gerüchte", sagte Schiek im DW-Gespräch. Außerdem habe es in den vergangenen Jahren neue Gesetze gegeben, die auf einen baldigen Machtwechsel hingedeutet hätten. In einem Gesetz habe man festgelegt, dass ein zurückgetretener Präsident Vorsitzender des Sicherheitsrates bleibe und damit die Kontrolle über die Sicherheitsbehörden behalte, so Schiek. In einem autoritären Staat wie Kasachstan und einem personalisierten System sei es für einen "Präsidenten gefährlich zurückzutreten", so der Experte. Deshalb es sei es für Nasarbajew wichtig, "Machtinstrumente zu behalten, um sich selber zu schützen".

Gründungsvater wider Willen

Nasarbajew war Dauerherrscher unter den postsowjetischen Präsidenten - mehr als ein Vierteljahrhundert stand er an der Staatsspitze. Der 1940 geborene gelernte Metallarbeiter aus einfachen Verhältnissen machte schnell Karriere in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). In den 1980er Jahren wurde Nasarbajew Ministerpräsident und später Parteichef der kasachischen Sowjetrepublik. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 führte er Kasachstan als erster Präsident in die Unabhängigkeit und blieb an der Staatsspitze.

Ein Land mit Öl und Gas und ohne Krieg

Mit seinen 2,7 Millionen Quadratkilometern war Kasachstan in Zentralasien die flächenmäßig zweitgrößte Sowjetrepublik, sieben Mal so groß wie Deutschland. Ein Großteil davon ist jedoch Wüste. Während in vielen anderen früheren Sowjetrepubliken vor und nach dem Zerfall der UdSSR blutige Bürgerkriege herrschten, blieb Kasachstan davon verschont. Manche sehen darin auch einen Verdienst Nasarbajews. Das überwiegend muslimische Land hatte auch keine Probleme mit Islamismus. Kasachstan nutzte den Frieden, um zu einem wichtigen Exporteur von Öl und Gas zu werden.

Personenkult um "Führer der Nation"

Ende der 1990er Jahre verlegte Nasarbajew die kasachische Hauptstadt aus Almaty im Süden nach Astana im Norden. Die neue Hauptstadt wurde dann wie eine Retortenstadt mit spektakulärer, moderner Architektur errichtet. Auch damit sicherte sich Nasarbajew einen Platz in den Geschichtsbüchern seines Landes.

Kasachische Hauptstadt Astana
Kasachische Hauptstadt AstanaBild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

Beobachter und Experten beschreiben das politische System in Kasachstan als Autokratie. Nasarbajew war der alleinige Herrscher, die schwache Opposition hatte keine Chance. Nasarbajew gewann Wahlen mit einer Zustimmung, die in westlichen Demokratien, aber auch in Ländern wie Russland unmöglich scheint. Zuletzt wurde er im März 2015 bei einer vorgezogenen Präsidentenwahl mit 97,7 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Dabei darf ein Präsident laut kasachischer Verfassung nur zweimal gewählt werden. Für Nasarbajew als Staatsgründer wurde eine Ausnahme gemacht.

In den letzten Jahren seiner Präsidentschaft entwickelte sich ein immer stärker ausgeprägter Personenkult um Nasarbajew. Er wurde offiziell zum Jelbasy, was auf kasachisch "Führer der Nation" bedeutet, ausgerufen. Der Titel garantiert dem Präsidenten und seiner Familie unter anderem Schutz vor Strafverfolgung. Dabei galt Nasarbajews Herrschaft lange als gemäßigt. Es gab zunächst keine brutale Unterdrückung der Opposition, keine gewaltsame Niederschlagung der Proteste. 

Risse in der scheinbar sauberen Fassade

Die nach außen scheinbar saubere Fassade Kasachstans bekam 2007 erste Risse, als sich der Präsident und sein Schwiegersohn Rachat Alijew, ein einflussreicher Politiker und Geschäftsmann, zerstritten hatten. Beide warfen sich gegenseitig Korruption vor. Alijew starb im Februar 2015 in Untersuchungshaft in Wien, wo gegen ihn wegen Verdachts auf Mord zweier Banker in Kasachstan und Geldwäsche ermittelt wurde. Angeblich beging Alijew Selbstmord.

2011 wurden die Risse auch in der Gesellschaft sichtbar. In der westkasachischen Stadt Schanaosen wurde ein Streik der Ölarbeiter von der Polizei blutig beendet. Mehr als zehn Menschen starben. Nasarbajew verhängte den Ausnahmezustand. Es dauerte Monate, bis sich die Lage beruhigte. 

Strategische Allianz mit Moskau

Außenpolitisch und wirtschaftlich bemühte sich Nasarbajew um gute Beziehungen - sowohl zu seinem nördlichen Nachbarn Russland, als auch zum Westen. Moskau war jedoch sein engster Verbündeter. Anfang 2015 gründete Kasachstan zusammen mit Russland und Weißrussland die Eurasische Wirtschaftsunion, ein Prestigeprojekt des Kremlchefs Wladimir Putin.

Die enge Bindung an Russland hatte für Kasachstan jedoch auch negative Folgen. Die Wirtschaft wurde von den westlichen Sanktionen gegen Russland, eingeführt wegen der Ukrainekrise, in die Mitleidenschaft gezogen. Ähnlich wie Russland litt Kasachstan auch unter den niedrigen Ölpreisen auf den Weltmärkten.

Pantheon zu Lebzeiten

Ob das hohe Alter und schwindende Kräfte oder schlechte die Wirtschaftslage und wachsender Unmut in der Bevölkerung Nasarbajew zum Rücktritt bewogen haben, sei unklar, meint der SWP-Experte Sebastian Schiek. Ende Februar hatte der Präsident die Regierung entlassen. Schiek nennt es "eine Art Verzweiflungsschlag". Ein klarer Nachfolger für Nasarbajew sei noch nicht in Sicht. Der nächste Präsident dürfte in Kasachstan eine Dezentralisierung einleiten. Mit der Demokratisierung rechnet der Experte doch nicht.