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Namenlose Heldinnen des Alltags

10. März 2012

Zum Beispiel: die für ihr Recht eintretende Witwe in Lk 18,1-8. Von Dr. Rita Müller-Fieberg, Bergisch Gladbach

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Dr. Rita Müller Fieberg ist Dozentin für katholische Theologie am Institut für Lehrerfortbildung in Mülheim an der Ruhr
Bild: privat

Wann war Ihnen zum letzten Mal jemand so richtig lästig? Vielleicht der zudringliche Anrufer aus dem Callcenter, der mit Ihnen unbedingt eine Produktbefragung durchführen wollte? Oder ein ständig nörgelnder Kollege auf der Arbeit? Oder Missionare vor der Haustüre? Penetrante Hartnäckigkeit ist in der Regel nicht gerade positiv konnotiert. Und doch gibt es im Lukasevangelium gleich mehrere Gleichnisse, die das Lob der Hartnäckigkeit singen. Eines von ihnen spricht von einem Mann, der mitten in der Nacht seinen Freund aus dem Schlaf reißt, um einen Gast beköstigen zu können. Und in einem weiteren ist von einer Witwe die Rede, die einen Richter so stark bedrängt, dass er ihr schließlich zu ihrem Recht verhilft. Beide Gleichnisse werden bei Lukas dort erzählt, wo es ums Beten geht. Wie schon das Vaterunser eine Aufeinanderfolge von lauter Bitten ist, so wollen auch diese Gleichnisse dazu ermutigen, sich bedingungslos und beharrlich im Gebet an Gott zu wenden. Im Vertrauen darauf, dass er sich für die Bittenden einsetzen wird. Fast könnte man sagen. Die eigentliche Belästigung Gottes wäre es, ihn nicht mit Bitten zu bestürmen!

Ich möchte mit Ihnen ein besonderes Augenmerk auf die bereits erwähnte Gestalt der hartnäckigen Witwe im Lukasevangelium richten. Es gibt in diesem Gleichnis noch eine zweite Hauptfigur, nämlich den Richter, den diese Frau belästigt, ja geradezu bestürmt. Ihm wird kein gutes Zeugnis ausgestellt: Direkt zweimal in diesem kurzen Text – einmal seitens des Erzählers, einmal in seiner Selbstaussage – wird er als ein Mensch gezeichnet, der weder Gott fürchtet noch auf seine Mitmenschen Rücksicht nimmt. Fatal für diejenigen, die von seinem Urteil abhängig sind – da ist der Willkür, dem Eigennutz und der Korruption Tor und Tür geöffnet.

Diesem Richter steht die Witwe des Gleichnisses gegenüber – ein aussichtsloser Fall, möchte man meinen! Zumal die Zuhörer Jesu um die prekäre Situation von Witwen damals wussten: Ohne jeden eigenen Anspruch auf das Erbe des verstorbenen Mannes war deren sozialer Abstieg (und der ihrer Kinder!) oft vorprogrammiert – erst recht, wenn es keine männlichen Verwandten in ihrer eigenen Familie gab, die sich ihrer annehmen konnten. Wer „Witwe“ hörte, musste daher fast zwingend „Schutzlosigkeit“ und „Verelendung“ assoziieren. Und so atmet die offensive Forderung der Witwe „Verschaff mir Recht gegen meinen Feind!“, mit der sie den Richter wieder und wieder angeht, wohl gleichermaßen Verzweiflung und Courage. Man kann nur mutmaßen, um wen es sich bei diesem Feind handelt – vielleicht um die Familie ihres Mannes, die ihr selbst die Auszahlung ihrer eigenen Mitgift als kleines Überlebenspolster verweigert? Wie dem auch sei, den Richter beeindruckt das Leid der Witwe jedenfalls nicht: „Lange wollte er nichts davon wissen“, heißt es im Gleichnis. Die Witwe prallt ab an der Gleichgültigkeit der Justiz gegenüber ihrem Schicksal. Sie erlebt, was viele andere vor und nach ihr ebenfalls erleben: Das Recht scheint mit den Starken und Mächtigen zu sein!

Freilich wählt Jesus einen anderen Ausgang für sein Gleichnis: Überraschend beschließt der Richter schließlich doch noch, der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen – nicht etwa aus hehren religiösen oder ethischen Gründen, sondern schlichtweg deshalb, weil sie keine Ruhe gibt und ihm lästig wird. Er spürt, dass sie nicht aufgeben wird. Und er wirkt beinahe komisch in seiner Furcht vor den Handgreiflichkeiten dieser Frau: „Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht!“ Von einer Frau geschlagen zu werden, das wäre keine gute Publicity gewesen!

Recht zu verschaffen gerade jenen, deren Recht mit Füßen getreten wird: Das beschreibt die Bibel als eine wichtige Wirkweise Gottes. In diesem Gleichnis ist es das Opfer selbst, das aufsteht und durch seine Hartnäckigkeit und Unerschrockenheit neue Realitäten setzt. Uns allen wünsche ich den Mut dieser Witwe, für das Recht einzutreten, wenn wir das nächste Mal denken: „Da lässt sich eh nichts gegen machen.“

Die redaktionelle Verantwortung für die Sendung hat Frau Dr. Silvia Becker.