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Mut zur Gelassenheit

Cornelia Rabitz 16. September 2002

Bislang hat es die Union vermieden, die Zuwanderungsfrage ins Zentrum des Wahlkampfs zu rücken. Doch dies könnte sich knapp eine Woche vor Wahl ändern. Denn bei den Unionsparteien deutet sich ein Strategiewechsel an.

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Je näher der Wahltag rückt und je unsicherer der einst sicher geglaubte Sieg der CDU/CSU wird, desto intensiver suchen die nervös gewordenen Strategen um Kanzlerkandidat Edmund Stoiber nach einem Rettungsanker in letzter Not. Sie glauben, ihn im Thema Zuwanderungspolitik gefunden zu haben.

Und so tischen Unionspolitiker denn einmal mehr alle Argumente auf, die - zuletzt von Bundesinnenminister Otto Schily - längst widerlegt sind. Rotgrün wolle mehr Zuwanderung nach Deutschland, wird behauptet, Arbeitsmarkt und Sozialsysteme würden mit Hilfe des neuen Zuwanderungsgesetzes überflutet, das Einfallstor für Rechtsmißbrauch weit geöffnet, die Integration sträflich vernachlässigt - und dergleichen Unterstellungen mehr. Auch durch Wiederholung werden die Argumente von CDU und CSU nicht besser.

Die Union stellt sich außerhalb eines längst und nach vielen Wirrungen erzielten gesellschaftlichen Konsenses, sie vergisst dabei, dass es nicht nur Sozialdemokraten und Grüne waren, die dem neuen Zuwanderungsgesetz zugestimmt haben, sondern auch Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Wissenschaft sowie Städte und Gemeinden.

Dies bedeutet keineswegs, dass im Wahlkampf strittige Themen ausgeklammert bleiben sollten - im Gegenteil! Die Bevölkerung hat ein Recht darauf zu erfahren, was die Parteien zur Lösung der Probleme in Deutschland vorschlagen. Das gilt selbstverständlich auch für die Zuwanderungspolitik. Man fragt sich nur, warum die Union und ihre Kanzlerkandidat Stoiber dies bislang nicht getan haben. Ihr Wahlkampf ist regelrecht weichgespült gewesen, der Kandidat ohne Biss blieb in zentralen Fragen eigene Konzepte und Visionen, aber auch die politische Offensive schuldig.

Jetzt, da das Reservoir an Unionsanhängern möglicherweise ausgeschöpft ist und man sich mit stagnierenden Umfragewerten konfrontiert sieht, möchte man mit einem emotionalen Thema punkten. Wo aber wollen CDU und CSU noch Stimmen und Bündnispartner gewinnen? Die Liberalen haben längst abgewinkt und gehen auf Distanz. Die Bevölkerung hat vermutlich andere Sorgen. Was dagegen statt Mobilisierung entsteht ist ein wenig öffentliche Aufregung.

SPD und Grüne tun gut daran, den Vorstoß der politischen Konkurrenz ins Leere laufen zu lassen. Stellungnahmen des Bundeskanzlers, aber auch des Bundesinnenministers legen dies nahe. Man setzt auf Gelassenheit. Bleibt zu hoffen, dass sich auch andere daran halten. Über die Zuwanderungspolitik kann man dann nach dem Wahltag wieder diskutieren.