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Musik hilft - auch Flüchtlingen

Felix Schlagwein21. Juni 2016

Es war eine musikalische Begegnung der besonderen Art: Beim 19. Bonner Schumannfest erlebten Flüchtlinge ein Klassik-Konzert. Entstanden ist ein Nachmittag, der die kulturellen Grenzen vergessen ließ.

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19. Bonner Schumannfest 2016
Bild: Andrea Bewerunge

Täglich spielen Kinder aus den nahegelegenen Flüchtlingsunterkünften auf dem Gelände rund um das Schumannhaus. Ab und zu fliegt ein Ball gegen die Fensterscheibe, Lachen ist zu hören. In dem Gebäude im Bonner Stadtteil Endenich befand sich einst eine psychiatrische Klinik, in der Robert Schumann 1856 starb. Heute beherbergt es einen kleinen Kammermusiksaal und ist Zentrum eines jährlichen Schumannfests. Dessen Leiter Markus Schuck nahm die Nähe zu den Flüchtlingsunterkünften zum Anlass, im Rahmen des 19. Bonner Schumannfests einen Konzertnachmittag mit klassischer Musik zu organisieren und die benachbarten Flüchtlingsfamilien dazu einzuladen. Unter dem Titel "Von fremden Ländern und Menschen" präsentierten die Pianistin Eleni Anastasiadou und die Sopranistin Nina Koufochristou am Samstag (18.06.2016) Werke aus Deutschland, Spanien und ihrer gemeinsamen Heimat Griechenland. Für einige Zuhörer waren es vertraute Klänge, für die meisten der Flüchtlinge eine neue musikalische Erfahrung.

Pianistin Eleni Anastasiadou beim 19. Bonner Schumannfest 2016Foto: © Andrea Bewerunge
Stipendiatin bei LiveMusicNow: Pianistin Eleni AnastasiadouBild: Andrea Bewerunge

Ein außergewöhnliches Konzert

Die Atmosphäre war vor allem aufgrund der zahlreichen Kinder in den Sitzreihen besonders. Auf die Musik reagierten sie sehr unterschiedlich. Einige stützten sich verträumt auf die Stuhllehne des Vordermannes, andere rutschten unruhig hin und her, ein Mädchen schwang die Finger wie Taktstöcke zur Musik. Für Künstlerinnen und Publikum war die Stimmung sehr intim.

Eleni Anastasiadou hat schon viele Konzerte dieser Art gespielt. Sie ist Stipendiatin des Vereins LiveMusicNow Köln, der das Konzert mit initiiert hat. Ziel des Vereins ist es, Musik zu Menschen in schwierigen Lebenslagen zu bringen. Die von ihm geförderten Musikstudenten spielen in Seniorenheimen, Hospizen, Gefängnissen und in den letzten Monaten auch in Flüchtlingsunterkünften.

"Musik ist verbindend und eine Sprache, die für sich selbst spricht", sagte die Vereinsvorsitzende von LiveMusicNow Köln, Ludgera von Eltz-Rübenach. Deshalb sei sie ein universelles Instrument, das sprachliche, kulturelle und soziale Unterschiede überwindet.

Soziales Engagement mit Musik - ein Erbe Menuhins

Der Gründer von LiveMusicNow war der Jahrhundertgeiger Yehudi Menuhin. Er spielte unter anderem für amerikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg sowie für Überlebende von Konzentrationslagern und machte es sich zur Aufgabe, Musik mit sozialem Engagement zu verbinden.

Menuhin war überzeugt, dass ein Musiker erst dann zu voller Reife gelangt, wenn er auch in Grenzsituationen spielen kann. "Diese Erfahrungen sind eine Bereicherung für die Musiker und das Publikum gleichermaßen", sagte von Eltz-Rübenach. Menuhins Konzept trug nachhaltige Früchte: Mittlerweile ist LiveMusicNow in 19 deutschen Städten und in zahlreichen weiteren Ländern Europas vertreten.

Yehudi Menuhin. Foto: (C) Imago/teutopress
Jahrhundertgeiger und Philantrop: Yehudi MenuhinBild: Imago/teutopress

Nicht nur für die Zuschauer war das Konzert eine Besonderheit. Auch die Musikerinnen waren sichtlich ergriffen. "Es ist immer wieder ein neuer Zugang, den man finden muss", erklärte Eleni Anastasiadou. Das mache die Spannung aus und die Veranstaltungen weniger trocken. Auch Nina Koufochristou, die nicht bei LiveMusicNow ist, war von der Intimität der Veranstaltung beeindruckt. "Ich singe viele Konzerte und bin eigentlich routiniert, aber heute war ich sehr aufgeregt", gab die gebürtige Griechin zu.

Musik fürs Herz

Das Publikum reagierte begeistert. Unter den Zuhörern war auch der Syrer Dal Al-Fallah. Geflüchtet aus einer Stadt nahe Damaskus, wohnt er seit eineinhalb Jahren mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Deutschland. Er fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat, konnte mit seiner Familie vor kurzem von der Flüchtlingsunterkunft hinter dem Schumannhaus in eine normale Wohnung umziehen.

Europäische Klassik hörte Al-Fallah heute zum ersten Mal. "Es ist anders als die arabische Musik, aber wenn man sie hört, geht es ins Herz", erklärte er in verbüffend gutem Deutsch. "Die Kulturen sind verschieden, aber wenn man Musik hört, wird alles gleich", fügte er hinzu. Musik aus Syrien lässt ihn manchmal wehmütig in die Vergangenheit blicken. Aber die Trauer währt nicht lange. "Die Zukunft ist das, was zählt, vor allem die meiner Kinder. Deshalb bin ich hier."

Leiter des Schumannfestes Markus Schuck mit Übersetzerin Elissa Semaan beim 19. Bonner Schumannfest 2016. Foto: © Andrea Bewerunge
Leiter des Schumannfestes Markus Schuck mit Übersetzerin Elissa SemaanBild: Andrea Bewerunge

Zum Abschluss bedankte sich Markus Schuck bei Künstlerinnen und Publikum sowie bei einer für diesen Nachmittag besonders wichtigen Person. Während der Veranstaltung hatte seine ehemalige Mitarbeiterin Elissa Semaan alle Wortbeiträge für die arabischsprachigen Gäste übersetzt. Als sie dann noch Schucks Ankündigung weitergab, dass jedes Kind am Ausgang ein "Schumann-Eis" bekomme, war aus der letzten Reihe ein lautes "Shukran" (arabisch: "danke") zu hören.