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Mr. Euro will nach Brüssel

Christoph Hasselbach15. Mai 2014

Europa-Politik? Da kennt sich Jean-Claude Juncker so gut aus wie kein anderer Spitzenkandidat. Er ist erfahren und politisch gemäßigt. Doch das ist keine Garantie dafür, dass er EU-Kommissionspräsident wird.

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Juncker hebt die Hand zum Gruß (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Fast 20 Jahre war er luxemburgischer Ministerpräsident, hat an unzähligen EU-Ratssitzungen teilgenommen. Acht Jahre war er Präsident der Eurogruppe, und zwar in der Zeit, als die Gemeinschaftswährung, vielleicht sogar die EU insgesamt, ihre schwerste Krise erlebte. Juncker wird seitdem oft Mr. Euro genannt. Er selbst sagt heute unbescheiden: "Der Euro und die Europäische Union waren in Gefahr. Im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten habe ich alles getan, um die Katastrophe zu verhindern."

Die unmittelbare Krise mag vorbei sein, die Krisenfolgen sind aber geblieben. Die Arbeitslosigkeit, besonders unter Jugendlichen, sieht Juncker zur Zeit als die wohl schwerste Bürde des Kontinents. Es sei Europas "vornehmste Aufgabe, jungen Arbeitslosen, die Gefahr laufen, zu einer verlorenen Generation zu werden, Hoffnung und Perspektive zu geben."

Er sagt das eine und das Gegenteil davon in einer Antwort

Sozialpolitik schreibt der Christdemokrat groß. Er geißelt Spekulanten und überzogene Managergehälter. Einfache Arbeitnehmer und ihre Rechte nimmt er in Schutz. Aber stehen für diese Haltung nicht eher die Sozialisten? Es waren immerhin die konservativen und christdemokratischen Regierungen in Europa, die den schmerzhaften Konsolidierungskurs durchgesetzt haben, darunter Jean-Claude Juncker. Und hätte er die Sparpolitik nicht mitgetragen, wäre er nicht EVP-Spitzenkandidat geworden. Das hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon verhindert.

Juncker legt die Hand um den Hals des früheren spanischen Finanzministers (Foto: Reuters)
Juncker hat zuweilen skurrilen HumorBild: Reuters

Wofür also steht Jean-Claude Juncker? Er sei politisch sehr schwer zu fassen, findet Pia Oppel, Redakteurin beim öffentlich-rechtlichen luxemburgischen Rundfunksender 100,7. "Er bringt es fertig, das eine und das komplette Gegenteil und auch noch die Position in der Mitte in eine Antwort zu packen", so die Journalistin gegenüber der Deutschen Welle. Gerne garniert Juncker seine Sätze dann noch mit einer trocken-witzigen Bemerkung, und das wahlweise auf französisch, deutsch oder englisch.

Brüssel soll sich weniger einmischen

Junckers Kritiker mögen seine inhaltliche Vagheit für eine Schwäche halten. Sein großer Gegenspieler, der bisherige Parlamentspräsident Martin Schulz von den Sozialisten positioniert sich da eindeutiger, als klar linker Kandidat. Aber wer Kommissionspräsident werden will, muss es in gewisser Weise allen recht machen in Europa. Das scheint Juncker auch verinnerlicht zu haben, vor allem seit der Krise: "Wir müssen neue Mauern, neue Demarkationslinien in Europa vermeiden. Ich bin allergisch gegen Aufteilung in Nord und Süd, in Groß und Klein, in Stark und Schwach. Ich möchte Brücken bauen, zusammenführen, Konsensmaschine in Europa werden."

Und auch das hat Juncker gelernt: Die Bürger haben die Nase voll von Brüsseler Regulierungen an den falschen Stellen wie beim Verbot von Glüh- und der Normierung von Tafelbirnen: "Zuviel Europa im Kleinen tötet Europa im Großen." Auch wer dem überzeugten Europäer Träume vom europäischen Superstaat andichtet, liegt falsch, so die luxemburgische Journalistin Pia Oppelt: "Er ist gegen eine komplette Integration der EU bis zu einem Punkt, wo die Nationalstaaten verschwinden. Anders als unsere Kommissarin, die luxemburgische EU-Justizkommissarin Viviane Reding: Sie spricht sich immer für die 'Vereinigten Staaten Europas' aus. Da vertritt Jean-Claude Juncker eher den status quo."

In Debatten wirkt der Kandidat müde

Kein Zweifel, Juncker hat vieles, was ein Kommissionspräsident braucht: Er ist erfahren, polyglott, politisch gemäßigt, zumindest als Kompromisskandidat vermittelbar bei vielen Regierungen. Doch er hat auch deutliche Schwächen. In den bisherigen Wahlkampfdebatten wirkte Juncker bisher ziemlich lustlos und müde. Und bekannt ist er im europäischen Maßstab auch nur innerhalb der EU-Zirkel. Außerdem gilt er - zurecht - vollkommen als Teil des Brüsseler Systems, eines Systems, gegen das im Moment fast überall in Europa extreme und europafeindliche Parteien Sturm laufen. Michel Barnier, EU-Binnenmarktkommissar und vor Junckers Nominierung zum EVP-Spitzenkandidaten dessen innerparteilicher Rivale, hat denn auch vor der Wahl gewarnt: "Dieser Kampf gegen die Sozialisten und Martin Schulz wird nicht einfach. Wir haben es aber auch mit dem Gegner Populismus von rechts und links zu tun." Auch dieser Kampf wird noch schwierig genug.

Juncker debattiert mit der Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Keller (Foto: DW)
Erfahrung gegen Frische: Juncker und die Grünen-Spitzenkandidaten Franziska KellerBild: DW/B. Riegert

Und dann hat Juncker noch ein weiteres klitzekleines Problem: Selbst wenn seine Parteienfamilie EVP nach der Wahl die stärkste Kraft im Parlament wird, hätte er den Kommissionsvorsitz noch nicht in der Tasche. Denn die Staats- und Regierungschefs müssen zwar das Wahlergebnis berücksichtigen, wenn sie den nächsten Kommissionspräsidenten vorschlagen. Sie könnten aber auch eine ganz andere Person nominieren. Juncker hat bereits gewarnt, in dem Fall geriete die europäische Demokratie in eine Krise, weil die Wähler sich dann verraten fühlten. Aber er hat dabei wohl auch an seine eigene Karriere gedacht.