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mp3 ist tot - es leben die Erben

Rolf Wenkel
16. Mai 2017

Der weltweite de-facto-Standard für komprimierte Musikdateien, von Forschern des Fraunhofer Instituts erfunden, hat ausgedient. Damit geht eine Ära der Musikgeschichte zu Ende.

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Bild: DW

In einer Mitteilung des Fraunhofer-Instituts heißt es nüchtern: "Am 23. April 2017, mit dem Ablauf einiger mp3-Patente, wurde das Lizenzprogramm von Technicolor und dem Fraunhofer IIS beendet. Wir danken allen Lizenznehmern für die gute Zusammenarbeit in den vergangen zwei Jahrzehnten. Sie haben dazu beigetragen, mp3 zum weltweiten de-facto-Standard für Audiocodierung zu machen." Was Fraunhofer damit sagen will: mp3 ist tot, der Audiostandard hat ausgedient. Und damit geht eine deutsche Erfolgsstory zu Ende.

Die Entwicklung von mp3 begann in den späten 80er Jahren am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen (IIS), basierend auf Forschungsergebnissen der Universität Erlangen-Nürnberg. Auch wenn es heute effizientere Audio-Kompressionsverfahren gibt, der Fachmann spricht von Audiocodecs, ist mp3 nach wie vor sehr beliebt bei den Usern. Heutige Medien wie Streaming, Fernsehen oder Radio nutzen jedoch modernere Techniken. Diese bieten erweiterte Einstellungsmöglichkeiten und eine bessere Audioqualität bei viel geringeren Bitraten im Vergleich zum mp3-Format.

"Ein kulturelles Phänomen"

"mp3 ist mehr als eine Technologie, mp3 ist ein kulturelles Phänomen. Und mp3 ist ein Beispiel für erfolgreiche Forschung, Entwicklung und Vermarktung in Deutschland", sagt der Elektroingenieur Heinz Gerhäuser, der als der Erfinder des mp3-Formates gilt. "mp3 hat die Art, wie wir Musik kaufen und hören, verändert. Heute tragen wir unsere gesamte Musiksammlung auf Musikspielern, die nicht größer sind als eine Streichholzschachtel mit uns spazieren. Lieder im mp3-Format spielen immer und überall, kein Gerät, das mp3 nicht unterstützt. Wir kaufen Musik online über das Internet und nicht mehr im Kaufhaus." Sehr zum Ärger der etablierten Musikindustrie, muss man hier ergänzen.

mp3 komprimiert und speichert Musik. Im Vergleich zum Original benötigt eine mp3-Datei nur rund zehn Prozent des Speicherplatzes. So kann Musik schnell über das Internet übertragen und auf mp3-Playern gespeichert werden. Ein moderner mp3-Player speichert je nach Speichergröße zwischen 2000 und 200.000 Minuten Musik, das sind über 130 Tage ununterbrochene Musikwiedergabe. Man könnte also mit dem Auto gut vier Monate lang gemütlich von Alaska bis Feuerland gondeln, ohne ein einziges Musikstück zweimal hören zu müssen.

Die Vögel im Garten sind weg

Wie das Kompressionsverfahren funktioniert, hat Gerhäuser Mitte der 90er Jahre in einem Interview der Deutschen Welle so erklärt: "Stellen Sie sich vor, Sie liegen im Liegestuhl im Garten und hören die Vögel zwitschern. Plötzlich stellt der Nachbar den Rasenmäher an. Die Vögel zwitschern immer noch - aber Sie hören sie nicht mehr. Und was das menschliche Ohr nicht mehr wahrnimmt, kann man aus der Geräuschdatei getrost herausrechnen."

Deutschland gehört, auch dank mp3, zur weltweiten Spitze in der Entwicklung von Audiotechnologien. So wurden Lizenzeinnahmen in Millionenhöhe erwirtschaftet und in neue Forschungsprojekte investiert. Und auch der Staat profitiert über Steuereinnahmen und durch entstandene Arbeitsplätze. Die durch mp3 induzierten Steuereinnahmen summieren sich für Bund und Länder auf jährlich mindestens 300 Millionen Euro. Mindestens 9.000 Arbeitsplätze sind in Deutschland direkt bedingt durch mp3, zum Beispiel im Handel oder bei Herstellern von mp3-Playern.

Heinz Gerhäuser
Heinz Gerhäuser gilt als Erfinder des mp3-FormatsBild: Fraunhofer-Institut

Vorläufer des viralen Marketings

Nach der Etablierung mp3-Standards durch internationale Normungsgremien hatten viele große Unternehmen der Unterhaltungselektronik kein Interesse an dem Format. Denn einerseits glaubte niemand an den Erfolg der mp3-Technologie, andererseits hatten viele Firmen eigene Formate entwickelt. Die Forscher begannen deshalb selbst mit der Vermarktung und konzentrierten sich auf den Markt der Endverbraucher: Sie setzen das Internet gezielt als Marketingplattform ein und boten kostenpflichtige Software zum Download an. Das führte schnell zur massenhaften Verbreitung von mp3. Dieses "virale Marketing" war damals alles andere als alltäglich: Das Internet war noch jung und als Vertriebsweg kaum erschlossen.

Die Probleme waren aber damals schon die gleichen wie heute: Eigentlich sollte die mp3- Kompressionssoftware über das Internet verkauft und so Geld verdient werden. Dieses Geschäftsmodell war jedoch schnell zerstört: Ein australischer Student kaufte die Software mit einer geklauten Kreditkartennummer und machte sie anschließend öffentlich verfügbar. Das Software-Geschäft war für Fraunhofer geplatzt. Dafür verbreitete sich die Software wie ein Lauffeuer im Internet. Gleichzeitig begann auch die rasante Verbreitung von Musik im mp3-Format,  häufig jedoch unter Missachtung der Urheberrechte.

In Deutschland unmöglich?

Warum gab es aber keine deutsche Firma, die den-Erfolg eines mp3-Players wie etwa des iPods von Apple hätte vorwegnehmen können? Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, erklärt sich das so: "Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind für die Innovationskraft einer Volkswirtschaft wichtig. Da kleineren Unternehmen aber in der Regel das Geld fehlt, um die Risiken der Produktentwicklung und Markteinführung tragen zu können, sind sie auf spezialisierte Risikokapitalgesellschaften angewiesen - die in Deutschland unterrepräsentiert sind. Daher gelingt es deutschen Unternehmen zu selten, eine Idee zur Marktreife zu bringen."

Erst als mp3 bereits ein Erfolg war, ist auch Apple auf den fahrenden Zug aufgesprungen und hat sich dank millionenschwerer Marketingbudgets und eines benutzerfreundlichen Produktdesigns zum Marktführer aufgeschwungen. In Deutschland gab und gibt es keine mit Apple vergleichbare Firma, die den Erfolg des US-Computerherstellers hätte vorwegnehmen können. Apple investiert alleine für Werbung pro Jahr mehrere hundert Millionen US-Dollar. Kein deutsches Unternehmen in der Unterhaltungselektronik hätte das leisten können.

Was bedeutet nun das Ende von mp3? Zunächst können Nutzer weiterhin mp3-Dateien anhören oder bearbeiten. Die Experten des Fraunhofer-Instituts raten allerdings dazu, künftig modernere Codes, wie AAC zu verwenden. Die AAC-Dateien sind bei gleicher Qualität rund ein Viertel kleiner als MP3-Dateien. Der iTunes Store von Apple nutzt bereits seit Anfang 2003 das AAC-Format.