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Moskau erlaubt Trauermarsch für Nemzow

28. Februar 2015

Nach dem Attentat auf Kremlgegner Nemzow hat die Stadtverwaltung von Moskau eine Trauerkundgebung der Opposition im Zentrum der russischen Hauptstadt genehmigt. Die Polizei spricht von einem minutiös geplanten Mord.

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Nemzow 2012 auf einer Demonstration gegen Präsident Putin vor dem Kreml (Foto:dpa)
Bild: dpa

Nach Gesprächen mit Oppositionsvertretern genehmigten die Moskauer Behörden für diesen Sonntag einen Gedenkmarsch mit bis zu 50.000 Menschen für Boris Nemzow im Zentrum der russischen Hauptstadt. Die Initiative für die Trauerkundgebung sei von dem Oppositionsführer und früheren Regierungschef Michail Kasjanow ausgegangen, teilte die Stadtverwaltung mit.

Kassjanow hatte zuvor erklärt, dass die Opposition nach dem Mord an Nemzow auf die für Sonntag genehmigte Demonstration gegen die Ukraine-Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin verzichten werde. Der Trauermarsch wird auch über die Bolschoi-Moskworezki-Brücke in Sichtweite des Kreml gehen, auf der Nemzow am Freitagabend auf offener Straße mit vier Schüssen in den Rücken ermordet worden war.

Die russischen Ermittlungsbehörden gehen nach dem Attentat verschiedenen Spuren nach. Die Tat sei sorgfältig geplant gewesen, sagte der Sprecher des Ermittlungskomitees, Wladimir Markin. Der oder die Attentäter hätten aus einem Auto heraus auf Nemzow gefeuert, der mit einer "weiblichen Begleitung" zu seiner nahe gelegenen Wohnung gehen wollte.

Trauernde Moskauer bringen Blumen zur Stelle des Mordes (Foto: Oleg Matsnev)
Trauernde Moskauer bringen Blumen zur Stelle des MordesBild: Oleg Matsnev

Ermittlungen laufen

Das Paar befand in diesem Moment auf der Bolschoi-Moskworezki-Brücke. Es sei "offensichtlich", dass die "Organisatoren und Ausführenden des Verbrechens" wussten, welchen Weg Nemzow nehmen würde, hieß es in der Erklärung des Ermittlungskomitees weiter. Nach Angaben von Markin werden nun die Aufnahmen der Videoüberwachung gesichtet sowie die Telefonverbindungen im Umfeld des Tatorts rekonstruiert. Nemzows Begleiterin und weitere Zeugen des Mordes seien bereits vernommen worden, teilte Markin mit. Nach Fensehberichten haben die Ermittler möglicherweise das Tatfahrzeug gefunden.

Polizei: Mehrere Spuren

Die Ermittler gingen in erster Linie von einem politischen Auftragsmord an dem 55-jährigen Oppositionspolitiker aus, teilte Markin mit. Die Täter könnten demnach das Ziel gehabt haben, die Lage in Russland zu destabilisieren. Verfolgt werde aber auch eine islamistisch-extremistische Spur. Nemzow soll Drohungen erhalten haben, weil er sich nach dem Terroranschlag auf das Pariser Satiremagazin "Charlie Hebdo" mit den ermordeten Journalisten solidarisch gezeigt habe, so Markin weiter.

Aber auch eine mögliche ukrainische Spur sei Gegenstand der Ermittlungen. Nemzow galt als Unterstützer der prowestlichen Führung in Kiew. Demnach halten es die Fahnder für möglich, dass außer Kontrolle geratene Kräfte in der Ukraine, die Russland schaden wollten, für den Auftragsmord verantwortlich seien. Markin sagte, dass nicht zuletzt die geschäftlichen Kontakte des früheren Vize-Regierungschefs und Energieministers untersucht würden.

Polizei am Tatort in Moskau (Foto: DW/Y. Vishnevets)
Polizei am Tatort in MoskauBild: DW/Y. Vishnevets

Putin verurteilt Anschlag

Die These vom Auftragsmord vertrat in einer ersten Reaktion auf das Attentat auch Kremlchef Putin. Präsidentensprecher Dmitri Peskow erklärte, das "brutale Attentat" sei eine "große Provokation". Nach Kremlangaben beauftragte Putin die leitenden Mitarbeiter der obersten Ermittlungsbehörde, des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FSB, die Ermittlungen persönlich in die Hand zu nehmen.

In einem Beileidstelegramm an Nemzows Mutter versicherte Putin, es werde alles getan, "damit die Organisatoren und Täter dieses hässlichen und zynischen Mordes ihrer verdienten Strafe zugeführt werden". Der Präsident würdigte Nemzow als einen aufrichtigen Politiker. "Boris Nemzow hat seine Spur in der Geschichte Russlands hinterlassen, in der Politik und im gesellschaftlichen Leben. Ihm fiel es zu, auf bedeutenden Posten in einer schwierigen Übergangszeit für unser Land zu arbeiten. Er hat immer direkt und ehrlich seine Position vertreten und seinen Standpunkt verteidigt", heißt es in dem Telegramm.

Liberaler Reformer

Der studierte Physiker Nemzow betrat kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion die politische Bühne. 1990 wurde er zum Abgeordneten gewählt, mit gerade einmal 32 Jahren übernahm Nemzow das Amt des Gouverneurs in der zentralrussischen Region Nischni Nowgorod. 1997 holte ihn der damalige Präsident Boris Jelzin nach Moskau. Nemzow übernahm für die kommenden eineinhalb Jahre das Amt des Vize-Ministerpräsidenten. Er gilt als einer der Architekten der liberalen Wirtschaftsreformen und wurde sogar als möglicher Nachfolger Jelzins gehandelt, der sich schließlich aber für Putin entschied. Nemzow unterstützte den späteren Kreml-Chef zunächst, bevor er zu einem seiner ärgsten Widersacher wurde.

Im August 1998 schied Nemzow aus der Regierung aus. Als Fraktionschef der liberalen Partei "Union der rechten Kräfte" kritisierte er die Regierung fortan von der Oppositionsbank aus. Bei der Präsidentschaftswahl 2008 schickte ihn die Partei ins Rennen, Nemzow legte die Kandidatur aber vor der Wahl nieder.

Knapp drei Stunden vor seiner Ermordung hatte sich Nemzow noch einmal mit scharfer Kritik an Putin zu Wort gemeldet. Das Interview mit dem Radiosender Moskauer Echo, in dem Nemzow Putins Ukraine-Politik verurteilte, ist zu seinem politischen Testament geworden. 45 Minuten lang entwarf der Oppositionelle darin seine Vorschläge, "um Russland zu verändern". Vordringlich sei es unter anderem korrupte Politiker vor Gericht stellen, den Verteidigungshaushalt zu halbieren und den Bildungsetat aufzustocken.

wl/SC (dpa, afp, rtr)