1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Erdogans Pläne für den Taksim-Platz

Pelin Ünker
28. Mai 2021

Der Istanbuler Taksim-Platz wird umgestaltet. Gebäude mit republikanischer Vergangenheit müssen weg. Dafür ist eine neue Moschee gerade eröffnet worden. Betreibt Erdogan einen architektonischen Kulturkampf?

https://p.dw.com/p/3u5qb
Türkei Taksim Moschee in Istanbul
Blick auf die neue Moschee am Taksim-Platz im Herzen IstanbulsBild: Muhammed Enes Yildirim/AA/Getty Images

Die riesige Baustelle auf der Westseite des Istanbuler Taksim-Platzes war jahrelang kaum zu übersehen. Hinter Kränen und Baugerüst zeichneten sich Schritt für Schritt die Konturen eines Gotteshauses ab. An diesem Freitag wurde die Taksim-Moschee von Recep Tayyip Erdogan eingeweiht. Der türkische Staatspräsident richtete sich dabei an die rund 2.500 anwesenden Gläubigen: "Lange Zeit war es hier nicht erlaubt, eine Moschee zu bauen. Die Gläubigen mussten auf Zeitungen sitzend beten. Nach eineinhalb Jahrhunderten Kampf hat unser Istanbul nun die Taksim-Moschee dazugewonnen." 

Weil Oppositionelle, Stadtverwaltung und Baubehörden lange Zeit Widerstand geleistet haben, hatte sich das Prestigeprojekt verzögert. Von "Tricks, Täuschungen, Lügen und Fallen" sprach Erdogan beim ersten Freitagsgebet in der neuen Moschee.

Abriss des Atatürk-Kulturzentrums

Die Moschee ist für den Präsidenten nur eine Etappe in der weitreichenden Umgestaltung des Taksim-Platzes, die Erdogan nach seinem Wahlsieg bei den Parlamentswahlen im Jahr 2011 seinen Anhängern versprochen hatte. Neue Gebäude sollten am Taksim-Platz entstehen - alte Gebäude verschwinden. Erdogan möchte sich am zentralen Platz Istanbuls mit seinem eigenen Stil architektonisch verewigen.

Moschee Projekt Istanbul Taksim
Taksim-Moschee: Nach vier Jahren Bauzeit ist sie fertig gestelltBild: DW/A.E.Duran

Im Februar 2018 wurde das ikonische Atatürk-Kulturzentrum abgerissen, um Platz zu machen für eine neue Oper. Eigentlich war auch ein drittes Bauprojekt am angrenzenden Gezi-Park geplant: Eine osmanische Kaserne sollte wiederaufgebaut werden. Das umstrittene Bauvorhaben entfachte die Gezi-Park-Proteste im Jahr 2013, die mit Polizeigewalt unterdrückt wurden. Der Bau der Kaserne ist seither unterbrochen.  

Für den türkischen Journalisten Kemal Can ist die Taksim-Moschee reine Symbolpolitik. "Der Bau soll nationalistische und konservative Symbole in Form von Monumenten verewigen", so der Experte für Stadtplanung. Gleichzeitig wolle Erdogan Symbole der säkularen Republik Türkei verdrängen. In den meisten großen Bauprojekten der Erdogan-Zeit gebe es "ideologische Symbolik" wie religiöse, osmanische und seldschukische Motive.    

Türkei Istanbul l Denkmal am Taksim-Platz.
Denkmal der Republik - Erinnerung an die StaatsgründungBild: DW/D. Dedović

Moschee-Eröffnungen als Symbole der Macht

Die Taksim-Moschee reiht sich zudem ein in eine Reihe von spektakulären Moschee-Projekten der jüngsten Zeit. Im Mai 2019 wurde die Camlica-Moschee eingeweiht - die aktuell größte Moschee der Türkei thront gut sichtbar auf einer Hügelkette im asiatischen Teil Istanbuls. Im Juli 2020 wurde die Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee umgewandelt - beide Projekte führten zu hitzigen Diskussionen in der türkischen Öffentlichkeit.

Der Journalist Can sieht in den Moschee-Projekten Symbole der Macht, die das Denken der Bevölkerung beeinflussen sollten. Doch das sei bislang nicht gelungen. Der Staat befinde sich in einer schweren politischen Krise: "Zurzeit wird die Macht der Regierung stark hinterfragt, ihre Unterstützung schwindet und es treten immer mehr konkrete Probleme auf."  

Türkei Kemal Can Journalist
Die Eröffnung von Moscheen sind Machtsymbole, meint Kemal CanBild: Kemal Can

Architektenkammer: Moschee unnötig

Auch Mücella Yapici, Mitglied der Istanbuler Architektenkammer (TMMOB), betont die Bedeutung der Symbolik der Taksim-Moschee. Normalerweise müsse ein Bauprojekt in einem städtischen Gebiet die Bedürfnisse einer Stadt berücksichtigen, analysiert die Architektin. "Daher haben wir uns dem Projekt widersetzt - von Anfang an gab es von uns Beschwerden über die Größe, die Funktion und die Lage."

Die Umgestaltung des historischen Taksim-Platzes sieht die Architektin skeptisch. "Am Taksim-Platz befand sich im Osmanischen Reich das sogenannte Maksem - ein Ort, von wo das Wasser in der ganzen Stadt verteilt wurde." Zudem sei der Platz aufgrund der vielen republikanischen Bauten ein "Schutzgebiet". Auf dem Taksim-Platz befindet sich beispielsweise das "Denkmal der Republik", das an die Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 erinnert.

Taksim-Platz: Ein ideologisches Kampfgebiet?

Kritiker werfen der Regierung vor, dass Erdogan mit der Betonung der osmanischen Vergangenheit die republikanische Tradition in den Hintergrund rücken wolle. Der Taksim-Platz mit seiner republikanischen Erinnerungskultur, die für die Modernisierung der Türkei steht, ist reaktionären Kräften schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Auch weil es hier eine Kirche gibt (Kathedrale des Heiligen Geistes) sei der Taksim-Platz heute zum "Kampfgebiet" geworden, schlussfolgert Yapici.

Der türkische Präsident ist bekannt für seine Vorliebe für gigantische Bauprojekte. Einen neuen Flughafen, die größte Moschee der Türkei oder einen Tunnel, der unter dem Bosporusverläuft, hat er in kürzester Zeit aus dem Boden stampfen lassen. Sogar eine künstliche Meerenge möchte er parallel zum Bosporus bald erschaffen.

Oft sollen die Bauprojekte an das osmanische Erbe der Türkei erinnern. Im August 2016 wurde eine dritte Bosporus-Brücke fertig gestellt. Auch dieses Bauwerk wurde trotz massiver Einwände von der Opposition und von Umweltschützern gebaut. Besonders wurde kritisiert, dass die Brücke nach dem osmanischen Sultan und Kalifen Selim I. benannt wurde, der im 16. Jahrhundert für Massaker an den Aleviten verantwortlich war.

 

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut