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"Ehrenmord" wird neu verhandelt

26. Januar 2016

Ein Bruder saß bereits in Haft, die beiden anderen stehen nun vor Gericht - in der Türkei. Dort hin waren sie nach der Ermordung ihrer Schwester in Berlin geflohen. Der Prozess wurde indes sehr schnell auf April vertagt.

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10. Todestag von Hatun Sürücü
Bild: picture-alliance/dpa/L.Schulze

Knapp elf Jahre nach dem Mord an der jungen Deutsch-Türkin Hatun Sürücü in Berlin hat in Istanbul der Prozess gegen zwei ihrer Brüder, Mutlu und Alparslan begonnen. Den 35 und 36 Jahre alten Männern wird nach Angaben der türkischen Justiz das vorsätzliche Töten eines nahen Verwandten vorgeworfen. Beide erschienen persönlich vor Gericht. Die beiden Angeklagten sollen demnach den jüngsten Bruder, Ayhan, mit dem Mord beauftragt haben, um die Familienehre wieder herzustellen. Außerdem werden sie beschuldigt, die Waffe besorgt zu haben. Der Prozess wurde allerdings schon am ersten Verhandlungstag auf den 28. April vertagt.

Hatun, die damals 23-jährige Mutter eines Kindes, wurde am 7. Februar 2005 an einer Bushaltestelle in Tempelhof mit mehreren Kopfschüssen getötet. Als Täter ermittelte die deutsche Justiz Hatuns Bruder Ayhan, der zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Er habe den westlichen Lebensstil seiner Schwester verachtet, gab er damals zu Protokoll. "Zu freizügig und zu offen, was den Umgang mit Männern betrifft", ergänzte er in einem TV-Interview später.

Das Grab von Hatun Sürücü in Berlin (Foto: dpa)
Das Grab von Hatun Sürücü in BerlinBild: picture alliance/dpa

Der Fall Sürücü hatte im Jahr 2005 in Deutschland für großes Aufsehen und eine Debatte über Parallelgesellschaften und den Islam gesorgt - bis heute: "Zu sagen, dass das nichts mit dem Islam zu tun hat", reiche nicht aus, schrieb Ercan Karakoyun, Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung, der Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen, jüngst bei Twitter:

Im Alter von 16 Jahren hatte Hatun Sürücü auf Wunsch ihrer Eltern in der Türkei ihren Cousin geheiratet, von dem sie auch schwanger wurde. Als die Ehe scheiterte, zog Hatun zurück nach Deutschland. Dort verlässt sie bald ihre Eltern, lebt alleine und macht eine Ausbildung.

Eine wichtige Rolle werden beim Prozess in Istanbul die Aussagen der Ex-Freundin des Täters spielen. Der Mörder hatte ihr nach der Tat erzählt, dass er die Tatwaffe von einem der beiden Brüder bekommen habe. Das geht aus der Anklageschrift beim Istanbuler Strafgericht hervor. Der andere Bruder habe den Mord demnach beobachtet. Die damalige Freundin des Täters war bei dessen Verurteilung als glaubwürdig eingestuft worden.

Verurteilter Bruder ist inzwischen frei - und noch radikaler

Ayhan Sürücü wurde im Juli 2014 nach abgesessener Haftstrafe in die Türkei abgeschoben. Zu Beginn des Jahres 2015, also zehn Jahre nach dem Mord, zeigte der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) in einer TV-Dokumentation, wie sich der Mörder in der Haft radikalisierte und nach seiner Abschiebung Deutschland verhöhnte.

Die jetzt angeklagten Brüder waren in Berlin zunächst aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden, 2007 hatte der Bundesgerichtshof die Freisprüche aber aufgehoben. Ein neuer Prozess kam nicht mehr zustande. Die Männer hatten sich in die Türkei abgesetzt. 2013 leiteten dort die Behörden ein eigenes Strafverfahren gegen sie ein, im vergangenen Jahr erhoben sie Anklage wegen Mordes. Die Brüder wiesen die Vorwürfe in bisherigen Aussagen zurück, wie aus Gerichtsakten hervorgeht. Die Anklage in Istanbul fordert nun lebenslange Haft für Mutlu und Alparslan.

bor/as (dpa, afp, rbb)