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Monströse Gedichte

Birgit Goertz31. Mai 2013

Nora Gomringer ist der Star unter den jungen deutschen Dichtern. Ihr neuester Gedichtband "Monster Poems" erhielt prompt einen Preis. Auch ihre Art, Gedichte vorzutragen ist anders - und sorgt für Aufsehen.

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Nora Gomringer (Foto: picture alliance/dpa)
Nora Gomringer Dichterin LyrikerinBild: picture-alliance/dpa

Wenn Nora Gomringer Lyrik vorträgt, dann wird aus Literatur Unterhaltung pur: Sie stampft, flüstert, brüllt und haucht die Worte. Die Zuschauer lauschen nicht angestrengt mit krauser Stirn, vielmehr angeregt und belustigt. So auch an diesem Abend: Die junge Dichterin sitzt am Tisch, neben ihr der Komponist Franz Tröger. Zusammen bringen sie Lyrik zu Gehör: mit Spieluhr, Trillerpfeife und Flöte. Zwischendurch verteilen sie Marshmallows ans Publikum.

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Es ist ein lyrischer Abend im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen. Hier trägt Nora Gomringer den Vers vor: "Weißt Du, schwarzt Du". Es ist nicht ihr eigenes Gedicht, sondern eines von Hans Arp, der besser bekannt ist als Maler und Bildhauer des Dadaismus. Auch Gomringer kennt Arp bislang eher als bildenden Künstler. "Das ganze lyrische Werk ist ziemlich neu für mich. Ich schaue mir das mit Spannung an und bin ein bisschen irritiert. Aber irritiert zu sein ist immer gut."

Die Freude an der Irritation

Nora Gomringer irritiert selber sehr gern. Ihre Auftritte sind eher Performance als Lesung. Dafür bezieht sie mitunter Schelte. "Dass man einen Text vom Blatt hebt und ihn mündlich macht, das ist für viele schon ein Affront. Wir in Deutschland haben eine bestimmte, sehr starke Rezeptionskultur und bestimmte Vorlieben im Ohr und wir reagieren dann stark auf Abweichungen von Normen, die wir uns überlegt haben."

Dichterin zu werden, das hat sich die 33-Jährige mit deutscher und schweizerischer Staatsangehörigkeit lange und reiflich überlegt. Denn sie tritt in große Fußstapfen: Ihr Vater ist Eugen Gomringer, einer der wichtigsten Vertreter der deutschsprachigen Lyrik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Mitbegründer der sogenannten Konkreten Poesie. "Ich habe es mit Töpfern und anderen Ausdrucksformen versucht. Aber ich wusste ziemlich bestimmt, dass Sprache das Arbeitsfeld ist, auf dem ich mich gerne umtun würde", schildert sie den Prozess der Entscheidungsfindung. Das den Eltern zu gestehen, sei gar nicht so einfach gewesen. Nicht wegen der Eltern, sondern weil es ihr selbst unangenehm war. "Ich hatte gehofft, meinem ersten Wunsch zuzuneigen, nämlich Medizin zu studieren, 'was Richtiges' zu machen." Ihre Eltern hingegen hätten gelassen reagiert.

Nora Gomringer auf der Bühne (Foto: DW/P. Lambeck)
Nora Gomringer (l.) bei einer Lesenacht in LeipzigBild: DW/P.Lambeck

Treffen mit 25 Monstern

Das war gut so, denn die Liste der Literaturpreise ist lang, die Nora Gomringer in ihrem noch jungen Dichterleben gewonnen hat. Über die jüngste Auszeichnung, den Poesiepreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft, hat sie sich sehr gefreut. Begründung der Jury: Gomringers neuer Zyklus "Monster Poems" sei das Ergebnis des Suchens und Findens des Menschlichen, das nie ganz beendet und immer auch zum Schmunzeln sei.

Und was sagt Nora Gomringer über Nora Gomringers Werk? "Es war für mich schon immer kindliche Faszination, aber auch das Bewusstsein: Wir sind doch alle etwas monströs in dem, wie wir handeln und was wir tun, mit welcher Größe wir wirken wollen." Der Band handelt von 25 Monstern, etliche Gedichte sind auf der beiliegenden CD zu hören, es gibt viele Illustrationen. "Ich habe ein Zitat vorgestellt aus dem Roman 'Austerlitz' von W.G. Sebald: 'Genau kann niemand erklären, was in uns geschieht, wenn die Türe aufgerissen wird, hinter der die Schrecken der Kindheit verborgen sind.'"

Monster Poems

Es gebe aber auch eine leichte, eine unterhaltsame Facette der Monster Poems: "Nämlich eine popkulturelle Auseinandersetzung mit dem, was uns umgibt: Wir mögen Monster. Wir vergöttern Monster!" Im Alltagsjargon verwende man ja schließlich die Bezeichnung Monster als Anerkennung. "Monströs ist etwas Großes, Fantastisches, etwas außerhalb der Ordnung." Auf die Frage nach ihrem liebsten Gedicht nennt sie "Monster und Mädchen". Ein kleiner Text, ein Wortspiel, das zeige, wie man von einem Wesen zum anderen werde: vom Mädchen zum Monster.

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Nora Gomringer dichtet aber nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in Englisch. Zu den USA hat sie ein besonderes Verhältnis: Sie ist dort aufgewachsen, hat die High School abgeschlossen, war am 11. September 2001 in New York. Die Erinnerungen habe sie in zwei Texten verarbeitet. Der eine heißt 'Souvenir'. "In der Tat habe ich mir ein seltsames Souvenir mitgebracht aus diesen Wirren. Ich habe eine schwere Autoimmunerkrankung bekommen nach dem Schock und dem zu lange im Blut enthaltenen Adrenalin. Diese Krankheit hat mich lange begleitet, aber jetzt ist sie gebannt." Doch abhalten konnte sie die Dichterin nicht von den vielen, vielen Lesereisen und Auslandsstipendien. Gerade erst ist sie von einer Reise zum Internationalen Poesiefestival in Argentinien zurückgekehrt.

Seit gut drei Jahren ist Nora Gomringer künstlerische Leiterin der Villa Concordia in Bamberg, sozusagen Dichterin und Herbergsmutter.. "Ich nenne mich allerdings lieber 'Gastgeberin'." Der Freistaat Bayern lädt in jedem Jahr zwölf Künstler aus den Sparten Musik, bildende Kunst und Literatur zu einem Stipendium ein. Knapp ein Jahr leben und arbeiten sie in Bamberg unter einem Dach, immer mit einem anderen geografischen Schwerpunkt: "Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Es waren schon chinesische, portugiesische, isländische Gäste da." Vor rund einem Monat sind die mehrheitlich russischen Künstler angereist. Kein Wunder, dass in Bamberg jede Menge Arbeit auf sie wartet. Zudem es gibt eine lange Liste von Terminen: Lesungen, auf denen Nora Gomringer Monströses zum Besten geben wird.

Buchcover "Monster Poems" Nora Gomringer (Foto: Voland & Quist)
Eine literarische Begegnung mit 25 MonsternBild: Voland & Quist