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"Grey is the new pink"

Sabine Peschel
25. Oktober 2018

Wer ist wo wann alt? Unter dem Titel "Grey is the new pink" zeigt das Frankfurter Weltkulturen Museum eine Ausstellung zum Thema Altern. Die DW sprach mit Ausstellungsmacherin Alice Pawlik.

https://p.dw.com/p/3771n

DW: Jeder Mensch altert. Warum braucht es überhaupt eine Ausstellung zu diesem Thema?

Alice Pawlik: Weil sich das Alter immer wieder ändert. Das biologische Altern, das läuft durchaus weltweit gleich ab, aber jede Generation in jeder Kultur altert anders. Die Wünsche und Bedürfnisse ändern sich. Und viele andere Aspekte - medizinische, technologische oder auch kulturelle - tragen dazu bei, dass sich das Alter in verschiedenen Kulturen der Welt verschieden ausprägt.

Natürlich kommt es vor allem auch darauf an, wie die Gesellschaft das Altern sieht. Man hat ein besseres Gefühl, eine Lebensbejahung und Freude am Alter, wenn man von der Gesellschaft nicht stigmatisiert wird.

Sie haben sich lange mit dem Thema beschäftigt. Haben Sie eine Gesellschaft gefunden, in der es sich besonders gut altern lässt?

Nein, und die möchte ich auch gar nicht finden. Die Ausstellung hat nicht zum Ziel, eine Region oder eine Gesellschaft als Ideal darzustellen. Der Untertitel der Ausstellung ist ja auch "Momentaufnahmen des Alterns". Es geht gar nicht darum, Definitionen oder Erklärungen zu finden, sondern vielmehr darum, die Vielschichtigkeit zu zeigen.

Warum ist das Weltkulturen Museum dafür ein geeigneter Ort?

Wir haben in unserem Museum natürlich eine Sammlung aus allen Regionen der Welt. In der Ethnologie ist es immer so, dass man versucht, einen oszillierenden Prozess in Gang zu setzen – und zwar zwischen den so genannten „anderen" und sich selbst.

Wir möchten so viele Perspektiven wie möglich zusammenfassen und diese dann unseren Besucherinnen und Besucher präsentieren. Als Besucher geht man durch die Ausstellung und sucht sich aus all den Möglichkeiten das heraus, was das Thema Altern für einen selbst bedeutet. Wo man vielleicht neue Perspektiven kennenlernt. Was einen dann zum Nachdenken anregt und vielleicht auch zum Handeln.

Ich bin über den Titel gestolpert, der an eine Streaming-Serie angelehnt ist: "Grey ist the new pink". Braucht eine Ausstellung über das Altern einen so zeitgebundenen - und auch ein bisschen reißerischen - Titel?

Als reißerisch empfinde ich ihn nicht. Es ging vielmehr darum zu vermitteln, dass die Ausstellung einen Perspektivwechsel mit sich bringt, dass es um etwas geht, was man auf den ersten Blick nicht sofort sieht.

Alice Pawlik
Alice Pawlik ist verantwortlich für "Grey is the new pink". Bild: Wolfgang Günzel

Wie kam die Ausstellung zustande, wie wurde kuratiert, was jetzt zu sehen ist?

Was wir jetzt vorfinden, ist ein Zusammenspiel von ganz vielen unterschiedlichen Momenten und Positionen. Uns war wichtig, dass wir nicht nur eine Position - sei es die künstlerische oder die wissenschaftliche - besonders hervorheben. Das bedeutete, dass wir auch eine größere, weltweit angelegte Bürgerbeteiligung initiiert haben. Wir haben die Menschen aufgerufen: Sendet uns doch bitte euer Bild vom Altern! Das konnten Photographien sein, Skizzen, Zeichnungen, kleine Handy-Filme oder einfach nur ein Ausdruck. Im Grunde eine visuelle Antwort auf die Frage: Wie seht ihr das Alter?

Haben Sie dazu soziale Medien genutzt oder direkte Kontakte?

Wir hatten über 5000 Adressen, an die wir unsere Frage gerichtet haben. Wir haben insgesamt 350 Einsendungen bekommen. Das Ganze war auf drei Monate angelegt, von Januar bis März dieses Jahres. Aus den Einsendungen haben wir 165 Positionen ausgewählt. Gemeinsam mit Fotografien aus dem Bildarchiv der Visuellen Anthropologie haben wir sie in einer großen Installation zusammengebracht. Das ist ein zentraler Teil unserer Ausstellung. Weil wir mit unserem Bild, mit unseren Vorstellungen beginnen und diese dann durch verschiedenste Perspektiven in den folgenden Räumen erweitern möchten.

Perspektiven, die Sie ausgewählt bzw. als Kuratorin recherchiert haben?

Die Ausstellung setzt sich multiperspektivisch zusammen: Künstlerinnen und Künstler haben sich mit den jeweiligen Themen auseinander gesetzt, aber auch Personen an der Schnittstelle von Kunst und Ethnologie. Zum Beispiel beschäftigt sich der Ethnologe Lars Krutaks aus den USA mit der Praxis des Tätowierens. Er ist weltweit unterwegs und macht beeindruckende Fotos.

Wir haben darüber hinaus mit jungen Studierenden zusammengearbeitet, die bestimmte Prototypen entwickelt haben, auch zum Thema Medical Design: Produkte, die den älteren oder auch kranken Menschen vielleicht in Zukunft helfen können.

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Die Ausstellung präsentiert auch die Ergebnisse des Workshops "textgestALTER". Bild: Sammlung Weltkulturen Museum

Sie haben auch etwas mit Märchen gemacht. Da denkt man ja eher an junge Leute. Was haben Märchen mit dem Altern zu tun?

Nun, den Kindern lesen ja meistens die älteren Generationen vor. Das ist auch ein Teil der Wissensweitergabe der älteren Generation an die Jüngeren. Denn in der Ausstellung betrachten wir nicht nur die Lebensphase Alter, sondern auch den Prozess des Alterns. In unserer heutigen Realität haben wir es auch mit vielen digitalen Prozessen zu tun. Wie wirkt sich das beispielsweise auf die Weitergabe von Wissen aus, wenn wir nun auch Google und Wikipedia fragen können? Wie steht es um die Autorität der älteren Menschen?

Und: Auch ältere Menschen lesen teilweise inzwischen vom Tablet Märchen vor und nicht mehr aus dem Buch. Außerdem stellen sich inzwischen auch sehr viele ältere Menschen in den sozialen Medien dar: Die Instagram-Accounts der beiden Berliner "Senior Influencer" Günther Krabbenhöft (geb. 1945) und Britt Kanja (geb. 1951), die wir in der Ausstellung vorstellen, haben unheimlich viele Follower und sehr viele Likes, oft auch von jungen Menschen. Vielleicht drückt sich Respekt vor dem Alter heute durch viele Likes, Klicks und Follower aus.

Wen wollen Sie mit Ihrer Ausstellung ansprechen?

Axel Netzband, Ohne Titel; Deutschland; Call for Content
Axel Netzband - ohne Titel... zurecht!Bild: Sammlung Weltkulturen Museum

Ganz einfach: alle. Jedes vierte Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wird über 100 Jahre alt werden, so ist jedenfalls die Prognose. Als Gesellschaft sollten wir dieses Szenario unbedingt wahrnehmen und uns darauf vorbereiten, nicht nur sozial und politisch, sondern auch kulturell und im Verhältnis der Generationen zueinander. Aus diesem Grund ist diese Ausstellung wirklich für alle gedacht. Wir haben ja auch Themen wie beispielsweise Instagram oder die Märchen-Oma Helga, die jeden Freitagabend um 20 Uhr auf YouTube Märchen vorliest und über 200.000 Follower und acht Millionen Klicks hat. Solche Dinge sind durchaus auch für junge Menschen interessant.

Die Ethnologin Alice Pawlik ist verantwortlich für die Ausstellung rund um das Thema Altern. Als Kustodin für Visuelle Anthropologie leitet sie die Abteilung Bild, Film und Medien des Weltkulturen Museums.

Die Ausstellung "Grey is the new pink" läuft vom 26.10.2018 bis 01.09.2019.

Das Gespräch führte Sabine Peschel.