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Kino den ganzen Tag

Bettina Kolb27. Oktober 2007

Einmal im Jahr steht die Kiewer Filmszene Kopf: dann ist Molodist-Zeit. Das Filmfestival in der Ukraine gehört neben den Festivals von Moskau und Karlovy-Vary zu den wichtigsten in Osteuropa.

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Eva Neymann. Foto: Jens Kalaene +++(c) dpa - Report+++
Mit dabei in Kiew: Gewinnerin des "First Steps Awards" Eva NeymannBild: picture alliance/dpa

"Molodist", Jugend, heißt das Kiewer Filmfestival. Und so sitzt die Kiewer Jugend morgens um halb zwölf im Kino. Es ist voll bis auf den letzten Platz. Auf der Leinwand haben deutsche Jugendliche Skimasken übers Gesicht gezogen und sprühen Graffiti auf einen Zug. Gezeigt wird "Whole Train", der Debütfilm des Münchner Regisseurs Florian Gaag, 36. Eine Geschichte um rivalisierende Sprayer Gangs, Freundschaft und Leidenschaft. Während der Vorstellung herrscht ein reges Kommen und Gehen. Bei besonders gelungenen Szenen spendet das Publikum jubelnd Applaus. Und während die Jugendlichen auf der Leinwand gerade vor der Polizei flüchten müssen und die Dramatik steigt, klingelt in der fünften Reihe ein Telefon. Gelassen nimmt ein junges Ding das Gespräch an und redet auf russisch mit der Freundin.

Nicht alle Filme sind großartige Entdeckungen.

Das "Molodist"-Festival findet bereits zum 37. Mal statt. Gegründet wurde es noch zu Sowjetzeiten als Plattform für die Absolventen der ukrainischen Filmhochschulen. Doch mit dem politischen Tauwetter Ende der 1980-er Jahre öffnete sich das Festival und begann, Debütfilme aus anderen Ländern zu zeigen. Der Wettbewerb der Erstlingsfilme steckt voller Entdeckungen: Im vergangenen Jahr etwa wurde hier "Das Leben der Anderen" gezeigt, der Film, mit dem der Deutsche Florian Henckel von Donnersmarck 2007 den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film gewann.

Das dürfte dem lettischen Regisseur Juris Poskus kaum gelingen. Sein Film heißt "Monotonie" und sieht auch so aus: Die Tristesse einer Jugend, die nicht recht weiß, was sie will und es ohnehin nicht bekommen würde, spiegelt sich in der grauen Winterlandschaft der lettischen Hauptstadt Riga wieder. "Die Schauspieler konnten nur montags drehen, weil sie alle sonst am Theater spielen", sagt Regisseur Juris Poskus während der Pressekonferenz nach dem Film. Damit hat er die Lacher auf seiner Seite. Der Regisseur ist unterhaltsamer als sein Film.

Der Charme alter Kinosäle

Das Festival ist über die Lichtspielhäuser in der ganzen Stadt verteilt. Neoklassizistische Paläste verziert mit Gold und Stuck. Und Kinosäle, die an Opulenz jedem Theater den Rang ablaufen. Andere Kinos sind Erinnerungen an den kommunistischen Pragmatismus - aus Beton errichtet. Den ganzen Tag herrscht vor den Kinos Trubel. Die Hälfte der Besucher sind Jugendliche. Die jungen Cineasten bejubeln die Filme am lautesten.

Es ist ein Festival für die Kiewer. Festivaldirektor Andriy Khalpakhchi will das ändern und mehr internationales Publikum ansprechen. Doch einige Wettbewerbsfilme laufen in russischer Synchronisation und ohne Untertitel. Gäste aus dem Ausland sind ein wenig verloren. "Ich habe meinen Mitarbeitern doch gesagt, sie sollen die Originalfassungen der Filme mit Untertiteln bestellen. Und jetzt das", sagt Khalpakhchi. "Naja, vielleicht hat der Verleih in Moskau auch die falsche Kopie geschickt."

Der drahtige Mittfünfziger in brauner Lederjacke und eleganten schwarzen Schuhen leitet das Festival seit über 20 Jahren und wurde schon als Kulturminister gehandelt. Er will der kleinen heimischen Filmindustrie zu Glanz verhelfen. Dazu wird jetzt mit staatlicher Hilfe ein Filmfonds gegründet, den Vorsitz hat die Präsidentengattin Kateryna Juschenko. "Eine sehr nette Frau", sagt Khalpakhchi. Und dann drückt er die Zigarette aus und hetzt davon.

Zeitgenössisches Kino aus der Ukraine

Der einzige ukrainische Beitrag im Wettbewerb heißt "Am Fluss" und stammt von der Regisseurin Eva Neymann, 33. Für ihren Dokumentarfilm "Wege Gottes" hat sie erst kürzlich den First Steps Award, den Preis für Nachwuchsfilmer bekommen. In "Am Fluss" erzählt Neymann von einer Mutter und ihrer Tochter, die, beide schon nicht mehr jung, über das Leben, Jugend, Alter und letztendlich auch den Tod nachdenken. Der Film gilt als einer der Favoriten. Am Drehbuch hat sie mit dem legendären Autor Friedrich Gorenstein gearbeitet, bevor er 2002 starb. Gorenstein war Drehbuchautor für Andrej Tarkowsky’s Meisterwerk Solaris. "Menschen wie Gorenstein sind ein Geschenk, das man nur selten im Leben erhält", sagt Neymann.

"Am Fluss" ist ein betont unpolitischer Film. Eva Neymann, die halb in Berlin, halb in der Ukraine wohnt, hat die "Orange Revolution" nur aus der Ferne erlebt. Und das war ihr ganz recht so, sie will sich nicht direkt einmischen in die Bewegung für mehr Demokratie und Freiheit. "Ich will keine politischen Filme machen. Ich traue den Informationen nicht. Was soll ich da erzählen?", fragt sie. Der Enthusiasmus, der im November 2004 viele auf die Straße getrieben hat, sei weg, sagt Eva Neymann. Und die Kiewer Jugend? Sitzt mit Popcorn im Kino, telefoniert während der Vorstellung und amüsiert sich prächtig.