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Moderne Mafia

Anna Kuhn-Osius10. Oktober 2008

Camorra, Triaden - sie hat viele Namen und agiert weltweit: Die Mafia. Das organisierte Verbrechen boomt und hat Ländergrenzen längst überwunden. Eine UN-Konferenz in Wien widmet sich dem Kampf dagegen.

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Blutige Windschutzscheibe mit Einschußloch
Das organisierte Verbrechen arbeitet weltweit vernetztBild: picture-alliance/dpa

Für diese Aufgabe muss man Idealist sein. Walter Kemp bestreitet das nicht. "Aber was ist denn die Alternative?" fragt der Sprecher vom UN-Büro für Drogen und Kriminalität. "Es gibt keine! Wir müssen den Kampf gegen das globale organisierte Verbrechen aufnehmen - auch wenn es unmöglich scheint, diesen Kampf zu gewinnen." 147 UNO-Mitgliedsstaaten haben sich jetzt zusammengetan, um der Mafia den Kampf anzusagen. Ihre Vertreter - mehr als 1000 Diplomaten - treffen sich noch bis kommenden Freitag (17.10.2008) in Wien und verhandeln über Strategien der internationalen Zusammenarbeit. Auf die kommt es an.

Denn der Gegner ist optimal vernetzt. Mafia, das bedeutet heute ein dichtes, weltweites Geflecht aus Handel, Schmuggel und Korruption. Zwei bis drei Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung sind kriminelle Geschäfte, schätzt die UNO. Das wären 1,3 Billionen Dollar. Afrikanische Schmuggler arbeiten mit südamerikanischen Drogenhändlern zusammen, albanische Kriminelle tauschen im Nahen Osten Waffen gegen Heroin. Je liberaler der Handel, je offener die Finanzmärkte, desto leichter haben sie es. Waffen-, Zigaretten-, Menschenschmuggel bestimmen das kriminelle Mosaik. Und immer noch vor allem eines: Drogen.

Drogen-Krieg

Zigaretten-Schmuggler in Berlin. Quelle: AP
Zigaretten-Schmuggel, Waffenhandel, Menschenraub weltweit: Mafia-ArbeitBild: AP

Es ist ein globaler Handel: Aus Südamerika wird das Kokain nach Afrika geschmuggelt und kommt von dort nach Europa. 200 Millionen Kunden hat das Drogengeschäft weltweit, der Markt hat einen Gesamtumfang von 390 Milliarden US-Dollar. Das sei 16-mal so groß wie der globale Markt für Tabak, 65-mal größer als der für Kaffee, hat Die Zeit errechnet. In Mexiko, einem klassischen Transferland für Drogen auf dem Weg in die USA, tobt der Bandenkrieg. 3000 Menschen sind ihm allein in diesem Jahr zum Opfer gefallen. Mafiakartelle streiten sich um die besten Transport-Korridore in die USA. "Je ärmer das Land ist, desto verletzlicher ist es für Mafia-Strukturen und organisierte Kriminalität", erklärt Kemp.

Kaviar und Bäume

Kokain-Konsum
Ein langer Weg: Bis das Kokain in Europa konsumiert wird, geht es durch zahlreiche LänderBild: AP

Die weltweite Kaviar-Mafia schmuggelt Fischeier. Die Holzmafia fällt reihenweise Bäume in Indonesien und bringt das Edelholz ungesehen nach Europa. Im Niger-Delta werden pro Tag tausende Barrels an Öl gestohlen, auf große Tanker geladen und in die ganze Welt verschifft. Örtliche Sicherheitsbehörden verschließen die Augen – und lassen sich dafür teuer bezahlen. Zwischen 600.000 und 800.000 Menschen werden jährlich Opfer von Menschenhandel, schätzt die Organisation für internationale Migration. Viele landen auf dem Sex-Markt in Ländern wie Deutschland. Dabei entdeckt das BKA immer mehr Kleinkinder. Auch das geht auf das Konto des organisierten Verbrechens.

Prostituierte. Quelle: AP
Menschenhandel und Prostitution sind die Hauptgeschäfte der MafiaBild: AP

Auch in Italien, dem symbolischen Mutterland des Mafia-Daseins, gibt es mittlerweile internationale Kooperation: Die kalabrische Ndrangheta arbeitet eng mit ihren "Freunden" aus Albanien, Osteuropa, der Türkei, Südamerika zusammen. Die gegnerische Mafiaorganisation Camorra pflegt gute Kontakte nach China und Nigeria. Traditionelle Betätigungsfelder wie Prostitution überlässt die Camorra inzwischen Nigerianern – und widmet sich stattdessen der Markenpiraterie. Gefälschte Luxusprodukte im großen Stil ist die neue Boom-Branche der zwielichtigen Gestalten, mit Renditen wie im Drogenhandel. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt den Gesamtumsatz im Handel mit gefälschter Markenware auf mehr als 200 Milliarden Euro.

Kultur der Angst

Sizilien. Quelle: AP
Mafia-Hochburg Sizilien: Auch hier wird international kooperiertBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

"Die Mafia kreiert eine Kultur der Angst", sagt der Kriminologe Hans-Jürgen Kerner von der Universität Tübingen. "Sie wird unterschätzt." Kerner beobachtet eine erhebliche Entwicklung der transnationalen Kriminalität. Europa und besonders auch Deutschland spielten da eine entscheidende Rolle: "Wir haben hier nicht bloß Ruheräume", so Kerner. "Die Mafia wird mit dem deutschen Markt vertraut – und passt sich an."

Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, geht sogar noch einen Schritt weiter. "Wir haben in Deutschland ein massives Problem mit organisierter Kriminalität", sagt Wendt im Interview mit DW-WORLD.DE. Die Brisanz des Themas werde von der Politik nicht erkannt. "Die Politik reagiert erst, wenn wieder Tote auf der Straße liegen. Aber die Arbeit der Mafia findet im Verborgenen statt. Und dagegen muss man etwas tun."

Die unterschiedlichen Mafia-Banden haben sich Deutschland anscheinend aufgeteilt: Während sich die italienische Mafia vor allem im Ruhrgebiet um Schutzgelderpressungen und Geldwäsche kümmere, dominiere die russische Mafia Niedersachsen und Ostdeutschland mit Schmuggel und Menschenhandel, erklärt Wendt.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die chinesische Mafia Europa erobert und wie machtlos die Polizei ist - im großen Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Niemand traut sich zur Polizei

Blumen werden vor Pizzeria niedergelegt. Quelle: AP
Mafia in Deutschland: In Duisburg wurden im im Sommer 2007 sechs Italiener vor einer Pizzeria getötetBild: AP

Neben der osteuropäischen und der türkischen Mafia haben auch längst die Asiaten den deutschen Markt erobert: Die Triaden. Mehrere hunderttausend Mitglieder soll diese besonders brutale Organisation in Europa haben - und jährlich Milliarden Dollar verdienen. Die deutsche Polizei ist machtlos: "Niemand traut sich zur Polizei", sagt Kerner. Selbst wenn vermutlich ein Großteil der Chinarestaurant-Besitzer in Deutschland Schutzgeld zahlen muss. "Oft werden die Restaurantbesitzer einfach verpflichtet, jeden Monat neue Fische für ihr Aquarium zu kaufen", erklärt Kerner. "Und so ein normaler Goldfisch kostet dann durchaus schon mal 1000 Euro."

Die Zahlen sprechen für sich: 481 Millionen Euro Gewinne erzielte die organisierte Kriminalität allein im vergangenen Jahr in Deutschland, ermittelte das Bundeskriminalamt. Die Behörde warnt: Die Mafia unterwandere zunehmend legale Wirtschaftszweige. So würden illegale Gewinne in ganz normale Speditionen investiert, um damit heimlich Drogen zu transportieren.

Polizei machtlos?

Festnahme. Quelle: dpa
Kommt die Polizei jemals an die Hintermänner?Bild: picture-alliance/dpa

Manchmal hilft die europäische Polizei der Mafia, ohne es zu wollen. "Wenn ein unerwünschter Neuling auf dem Drogen-Markt erscheint, wird ihm von den alteingesessenen Kriminellen ein lukratives Angebot unterbreitet", erklärt Kerner. "Zwei bis drei Kilo Heroin zu einem Spottpreis. Für die Übergabe wird dann die Polizei informiert - und die räumt den unliebsamen Konkurrenten direkt aus dem Weg. Damit spielt sie der dankbaren Mafia in die Hände."

Keine Kooperation

Europol-Gebäude. Quelle: ap
Europol in Den HaagBild: picture-alliance/ dpa

Das Problem sei die völlig mangelhafte Kooperation der Polizei-Behörden in Europa, sagt Rainer Wendt. "16 Länderpolizeien und eine Bundespolizei in Deutschland, zahllose Behörden in ganz Europa und: Keine Absprachen!" Dabei sollte es anders sein: Länderübergreifende "Joint-Investigations-Teams". Aber diese Möglichkeit funktioniere nicht richtig, kritisiert Wendt: "Weil die nationalen Polizeien sich weigern, sich in die Karten gucken zu lassen."

"Während europäische Polizeibeamte noch Anträge ausfüllen, ob sie eine Flugreise von Norwegen nach Italien antreten dürfen, hat sich die Mafia mit zwei Telefonaten längst vernetzt", sagt Kerner. In Sachen Globalisierung sei die Mafia den Behörden einfach weit voraus.

Zusammen stark?

Die Lösung könnte "Europol" heißen. Dort sollen europaweit Daten zusammenlaufen. Doch die europäische Strafverfolgungsbehörde hat kaum Befugnisse. "Europol ist nicht nur zum Sammeln von Daten da. Die Behörde muss endlich Fahndungs- und Ermittlungskompetenzen bekommen", fordert Rainer Wendt. "Europol muss zum Jäger der Mafia werden." Kooperation sei auch das Ziel der UNO, bestätigt UN-Sprecher Walter Kemp: "Wir können gegen die Mafia nur erfolgreich sein, wenn wir international zusammenarbeiten."