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Brasília: Angriff auf die Geschichte des Landes

Torsten Landsberg
12. Januar 2023

Nach dem Sturm auf Brasiliens Regierungsviertel sichert die UNESCO ihre Unterstützung zu. Zahlreiche Kulturgüter waren bei dem Angriff der Putschisten beschädigt worden.

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Die Skulptur "A Justica" - Protestler haben ihr eine brasilianische Flagge umgehängt und einen Spruch auf den Oberkörper geschrieben. Dahinter Sicherheitskräfte.
Nach der Randale steht ein Schriftzug auf der Skulptur für Gerechtigkeit: "Perdeu, Mane" - "Verloren, Alter"Bild: Joedson Alves/AA/picture alliance

Der Sturm auf Regierungsgebäude in der brasilianischen Hauptstadt Brasília hat auch vor der Kunst und Kultur des Landes nicht Halt gemacht. Wie Medien berichteten, beschädigte der Mob zahlreiche Kunstwerke, darunter Skulpturen, Gemälde und ein Glasfenster.

"Das sind Straftaten, die das öffentliche Erbe schädigen", sagte  der ehemalige Präsident des brasilianischen Museumsinstituts Ibram, José Nascimento, der Tageszeitung "Folha de S.Paulo". Dem Bericht zufolge könne gegen die Eindringlinge wegen Plünderung von öffentlichem und Schändung von denkmalgeschütztem Eigentum ermittelt werden.

Ziel des Angriffs: "Machtübernahme"

Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Sturm auf das US-Kapitol in Washington, hatten tausende Anhängerinnen und Anhänger des jüngst abgewählten rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro am Sonntag (8. Januar 2023) das Regierungsviertel in Brasília gestürmt und waren unter anderem in das Kongressgebäude eingedrungen. Dort verwüsteten sie die Einrichtung, beschmierten Wände und setzten Teile des Gebäudes unter Wasser. Der Angriff wird als Putschversuch gewertet, zuvor hatten sich die Teilnehmer unter anderem in Chatgruppen unter dem Sammelbegriff "Machtergreifung" organisiert.

"Die Terroristen, die an diesem Sonntag in den Planalto-Palast eingedrungen sind, haben einen wichtigen Teil der dortigen künstlerischen und architektonischen Sammlung, die ein bedeutendes Kapitel der nationalen Geschichte darstellt, verwüstet und zerstört", hieß es in einer Mitteilung des Präsidialamtes.

Obwohl sich viele Eindringlinge in brasilianische Flaggen gehüllt hatten oder Trikots der Nationalmannschaft trugen, hatten sie offensichtlich für die Geschichte ihres Landes nicht viel übrig. Die Bilder in der Galerie aller ehemaligen brasilianischen Staatsoberhäupter, seien von der Wand gerissen, auf den Boden geworfen und "völlig zerstört" worden.

UNESCO will mit Experten helfen

Wenige Tage nach dem Angriff auf das Regierungsviertel sagte die internationale Kulturorganisation UNESCO der brasilianischen Regierung ihre Unterstützung zu. "Brasilien ist ein Land, das bei der Erhaltung des kulturellen Erbes schon immer eine Vorreiterrolle gespielt hat und daher über viele hervorragende Experten verfügt", sagte die Direktorin der UNESCO in Brasilien, Marlova Noleto, dem Nachrichtenportal "G1". "Wenn wir jemanden von außerhalb hinzuziehen müssen, werden wir das auch tun."

Die von den Anhängern Bolsonaros beschädigten Kunstwerke und Gegenstände seien ein bedeutsamer Teil des "materiellen und immateriellen historischen Erbes Brasiliens", zitierte die Nachrichtenagentur EFE Kulturministerin Margareth Menezes. Sie sei "hoch erfreut" über die technische, finanzielle und personelle Unterstützung durch die UNESCO.

Aktuell bewerten Mitarbeiter des Instituts für nationales historisches und künstlerisches Erbe (Iphan) die Schäden, eine Bestandsaufnahme wird noch in dieser Woche erwartet. Anschließend geht es um die Restaurierung der Kunstwerke und teils auch Wiederbeschaffung zerstörter Möbel. "Wir sprechen hier von den Juwelen des brasilianischen Modernismus", sagte Marlova Noleto.

Einzige Frau in Niemeyers Team

Zu den beschädigten Kunstwerken gehört auch das 1977 von Marianne Peretti entworfene Glasfenster "Araguaia". Die im vergangenen Jahr gestorbene Künstlerin war die einzige Frau im Team des Architekten Oscar Niemeyer, dem Wegbereiter der modernen brasilianischen Architektur.

Das Gemälde "As mulatas" von Di Cavalcanti aus dem Jahr 1962, das Hauptwerk im Adelssaal des Planalto-Palastes, wies nach dem Eindringen der Protestierenden sieben Risse unterschiedlicher Größe auf.

Die Bronzeskulptur "Der Rattenfänger" von Bruno Jorge wurde nach offiziellen Angaben vollständig zerstört und in der Halle verstreut aufgefunden. Eine hölzerne Wandskulptur von Frans Krajcberg wurde an mehreren Stellen zerbrochen. Den Schreibtisch des früheren Präsidenten Juscelino Kubitscheck, in dessen Amtszeit Brasília gegründet und zur Hauptstadt wurde, nutzten die Besetzer als Barrikade.

"Der Wert dessen, was zerstört wurde, ist aufgrund der Geschichte, die es repräsentiert, unermesslich. Die Sammlung als Ganzes repräsentiert alle Präsidenten, die das brasilianische Volk während dieses langen Zeitraums vertreten haben", zitierte die portugiesische Nachrichtenagentur Lusa den Direktor des Kuratoriums der Präsidentenpaläste, Rogério Carvalho.

Die Skulptur "A Justica" vor dem Obersten Gerichtshof
Alfredo Ceschiatti entwarf die Skulptur "A Justica" (Gerechtigkeit) auf der Praca dos Tres Poderes im Jahr 1961Bild: Franck Camhi/PantherMedia/picture alliance

Am Praca dos Tres Poderes - dem Platz der drei Gewalten - befinden sich der Präsidentenpalast Planalto, der Nationalkongress der Oberste Gerichtshof. Die Architekten Oscar Niemeyer und Lúcio Costa entwarfen den Platz ab Ende der 1950er-Jahre, die Gebäude am Praça dos Três Poderes wurden 2007 in die Liste des Instituts für nationales, historisches und künstlerisches Erbe aufgenommen. Die am Reißbrett entworfene Hauptstadt Brasília ist seit 1987 Unesco-Weltkulturerbe.

Dieser Artikel wurde am 12.1.23 aktualisiert

Auf dem DW History and Culture Youtube-Channel erfahren Sie mehr über die Zerstörung von Kulturgütern, zum Beispiel in Afghanistan.