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Mitgefühl und Bitterkeit - Medienschelte aus Afrika

Birgit Morgenrath16. November 2015

Die Trikolore als Profilfoto, #PrayersforParis - nach der Anschlagsserie solidarisierten sich Menschen weltweit mit den Opfern. Doch viele fragen: Wo blieb der Aufschrei nach den Massakern von Boko Haram und Al-Shabaab?

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Der Eiffelturm in Paris, beleuchtet in den französischen Nationalfarben (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Charles Platiau

"2000 Tote in Nigeria und niemand sagt etwas. Kinder sterben zusammen mit ihren Eltern auf der Flucht und niemand sagt etwas…". Simão Morais aus der angolanischen Hauptstadt Luanda ärgert sich über die vermeintliche Doppelmoral westlicher Staaten und Medien. Auf der #link:https://www.facebook.com/dwportugues/:portugiesischen Facebook-Seite# schreibt er: "Jetzt sterben nur 129 Menschen und die Welt weint! Was für ein Unterschied in punkto Mitgefühl und Solidarität." Damit trifft sie die Grundstimmung vieler Afrikaner. So auch Yahya Zeko, die ihren Kommentar auf der #link:https://www.facebook.com/dw.amharic:amharischen DW-Facebook-Seite# hinterlassen hat: "In Syrien sterben täglich mehr als 300, ihr Blut ist auch rot!!!"

Vermisst werden Aufmerksamkeit und Mitgefühl für die unschuldigen Opfer der Terrorakte etwa in Gaza, Syrien, dem Irak und Somalia. Vermisst wird aber auch die Anteilnahme für Bürgerkriegsopfer: "Die ganze Welt trauert um die Toten in Paris, aber nicht für tausende Tote in der Demokratischen Republik Kongo." David Gakunzi stammt aus Burundi und ist Direktor des unabhängigen Instituts 'Global Forum' in Paris. Er kann die "große Bitterkeit" in den sozialen Netzwerken nachvollziehen. Ob der Überfall auf den Campus in der kenianischen Stadt Garissa im April dieses Jahres, bei dem Al-Shabab-Milizen 200 Studenten kaltblütig töteten, oder die Entführungen der fast 300 Mädchen und Frauen in Nigeria durch Boko Haram: Die internationale Teilnahme sei im Verhältnis zur Katastrophe von Paris eher bescheiden ausgefallen.

Eine Karikatur auf Twitter, die sich schnell verbreitete:

Aufmerksamkeit ist ungleich verteilt

"Das ist unsere Realität heute", stellt der Wissenschaftler nüchtern fest. Seiner Meinung nach ist die Welt geopolitisch immer noch aufgeteilt in ein nördliches Zentrum und die südlichen Peripherien. Die Medien seien nichts anderes als ein Spiegel: Sie wollten die Menschen in der Peripherie nicht bewusst ausgrenzen; sie reflektierten lediglich die politischen Verhältnisse. "Ich habe selbst erlebt, wie spät der Genozid in Ruanda im Westen als solcher realisiert worden ist."

Viele junge Afrikaner fühlen sich heute als Teil des "Global village", als Teil einer globalen Kultur. Allein in Nigeria und Kenia sind 20 Millionen User bei Facebook registriert. Die Technik sei da, um weltweit zu kommunizieren, aber paradoxerweise sei diese Kommunikation oft eine Einbahnstraße, sagt Gakunzi. In Nigeria habe Boko Haram ganze Dörfer dem Erdboden gleich gemacht - doch das Echo aus dem Norden sei weitgehend ausgeblieben. "Sie sind sehr frustriert, doch afrikanische Staaten können selbst etwas ändern", findet Gakunzi. Starke und stabile Demokratien könnten auch starke und mächtige Medien hervorbringen, die das Image des Kontinents selbst produzierten und die die Welt zur Kenntnis nehmen müsse.

Mehr Anteilnahme als nach dem Attentat auf "Charlie Hebdo"

Insgesamt jedoch waren die Facebook-Kommentare auf den DW-Seiten deutlich mehr von Mitgefühl geprägt als im Januar nach dem Anschlag auf das Magazin 'Charlie Hebdo' und den jüdischen Supermarkt. "Unser Beileid und tiefes Mitgefühl gilt den Franzosen“, schreibt etwa Usman Fari Ward aus dem nigerianischen Abuja auf der #link:https://www.facebook.com/dw.hausa:Haussa-Facebook-Seite#. Sein Mitbürger Murtala Daura aus Kano meint: "Die Angriffe in Paris zeigen uns, dass sich der Terrorismus in der ganzen Welt verbreitet und es ist Zeit, dass alle Nationen der Welt wirklich den Terror bekämpfen." - "Es müssen strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden", fordert Kulwa Weja aus Ostafrika, "der IS zerstört das Leben Unschuldiger." Viele Afrikaner hätten den Eindruck, der Terrorismus werde zur größten Herausforderung dieses Jahrhunderts, erklärt der Analytiker Gakunzi aus Paris.

Die Reaktionen aus muslimisch geprägten afrikanischen Ländern auf 'Charlie Hebdo' seien im Vergleich sehr viel kritischer, sogar feindselig gegenüber den Opfern ausgefallen. "Der Anschlag im Januar galt einem bestimmten Ziel: Der Zeitung und ihren Journalisten“, sagt Moussa Tchangari von der nigrischen Menschenrechtsorganisation 'Alternative Espaces Citoyens'. Er meint, viele glaubten, die Satiriker hätten diesen Vergeltungsschlag mit ihren Karikaturen selbst provoziert. Damit hätten sie religiöse Gefühle verletzt und trügen also gewissermaßen eine Mitverantwortung. "Die jüngsten Anschläge aber galten unschuldigen Leuten", so Moussa Tchangari.

In einem Punkt stimmen viele Nutzer überein: Mit dem Islam hätten die Anschläge nichts zu tun. Die Attentäter von Paris "sind keine wahren Muslime". Das schreibt unter anderem Juma Ndolist auf der #link:https://www.facebook.com/dw.kiswahili:Kisuaheli-Seite der DW#. Ihrer Meinung nach benutzten sie den Islam, um die Religion zu beschmutzen. "Diese Leute sind Killer."

Mitarbeit: Lateefa Mustapha Ja'afar