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Ein Zweirad-Lieferwagen

24. April 2009

Einen Kasten Limonade, drei Kinder oder den neuen Fernseher - all das können die Niederländer mit ihrem Fahrrad transportieren. "Bakfiets" machen es möglich: Diese Lastenräder sind eine neue Form von Lieferwagen.

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Ein Lastenrad hat eine Laderampe an seiner Wanne vorne am Rad (Foto: de fietsfabriek)
Die Lastenräder erobern AmsterdamBild: de Fietsfabriek

Radtaschen und Kindersitze fürs Fahrrad sind überflüssig, wenn es ein Lastenrad gibt. Dave Deutsch verkauft solche Räder in seiner "Fietsfabriek" in Amsterdam. Einer Mutter, die eigentlich einen neuen Kindersitz für ihr Rad sucht, empfiehlt er ein Wannenrad, auf Niederländisch "bakfiets". "Zwischen der Lenkstange und dem Vorderrad befindet sich eine Art Wanne. Die ist aus Kunststoff oder Holz. Der Radler kutschiert sie vor sich her. In der Wanne ist Platz für die Sprösslinge und die Einkäufe", erklärt er der Kundin, deren Rad alt und klapprig ist.

Die Wanne, also der Stauraum vorne am Rad, ist 80 Zentimeter lang und 65 Zentimeter breit. Insgesamt bringt es dieses Fahrrad auf eine Länge von 2,20 Meter. Es kostet rund 1500 Euro. Dave Deutsch hat sich auf solche Transporträder spezialisiert - er entwirft sie sogar selbst.

Ein Rad für alle Lebenslagen

Eine Frau stellt an einem sehr vollen Fahrradständer ihr Rad ab (Foto: AP)
Amsterdam ist eine Stadt der Radfahrer - ob "bakfiets" oder normalBild: AP

Die junge Mutter macht eine Probefahrt mit dem Wannenrad. Und beschließt, sich das rosa "bakfiets" zum Geburtstag zu wünschen. Immerhin mache es das Auto in der Stadt überflüssig, sagt sie und findet es darum auch nicht zu teuer. Das Wannenrad sei eine neue Form von Lieferwagen, sagt auch Dave Deutsch. "Alles passt rein: die Kinder, die Einkäufe, der Hund. Man kann damit zur Schule fahren und in den Supermarkt", preist der Unternehmer sein Rad an.

In Amsterdam prägt das "bakfiets" seit etwa fünf Jahren das Straßenbild. In den engen Gassen der Innenstadt ist es ein ideales Fortbewegungsmittel. Landesweit seien fünf Prozent aller verkauften Räder inzwischen Lastenräder, schätzt Deutsch.

Vom Ferrari bis zur noblen Kutsche

Sein eigenes Unternehmen stellt jeden Monat ein neues Modell vor. Es gibt beispielsweise Lastenräder mit abnehmbarer Wanne, die man als kombinierten Einkaufs-Kinder-Wagen mit in den Laden nehmen kann. Dave verkauft aber auch Luxusausgaben mit Ledersitzen und Modelle in Ferrari-rot. Oldtimerfans können sich dagegen für die Nostalgieausgabe entscheiden: ein Rad mit zwei Sitzbänken wie in einer Kutsche und mit Regenhaube. Die Kosten: 3000 Euro.

Alle Wannen sind mit Gurten ausgestattet, damit die Kinder sicher sitzen. Und die Autofahrer seien eh auf der Hut, weiß Dave. Allerdings oft aus rein egoistischen Gründen: aus Angst vor Kratzern.

Immerhin kann ein Wannenfahrrad bis zu 2,50 Meter lang sein. Das jage auch manchem Besitzer am Anfang Angst ein, sagt Deutsch. Doch die Räder ließen sich leicht steuern: "Andere Fahrradfahrer murren manchmal, weil man vor dem Abbiegen etwas ausholen muss, aber das Rad ist einfach unglaublich praktisch. Neulich habe ich im Gartencenter einen Baum gekauft, den konnte ich mühelos nach Hause transportieren. Meine Tochter hat ihn festgehalten. Es ist wirklich ein Superding", sagt eine Kundin.

Ein Rad mit Tradition

Ein Lastenrad mit Wanne und Kindersitz (Foto: de fietsfabriek)
Lastenräder bieten Platz für Kinder und EinkäufeBild: de Fietsfabriek

Neu ist das "bakfiets" nicht: Schon in den 1930er-Jahren transportierten Bauarbeiter damit Dachziegel und Backsteine, Bäcker ihre Brote und Fischer ihre Fische. Aber das Lastenrad galt als Arme-Leute-Fahrzeug: Wer es sich leisten konnte, fuhr Auto. Jetzt sei es umgekehrt, sagt Radspezialist Dave Deutsch: Leute, die sich problemlos zwei oder drei Autos leisten könnten, sattelten auf die Räder um. "Sie machen das aus Gesundheitsgründen und weil es gut für die Umwelt ist", erklärt er. Mit dem Rad fände man außerdem leichter einen Parkplatz - das sei in Amsterdam wichtig, wo die Parkgebühren ins Unermessliche stiegen.

Die "fietsfabriek" hat inzwischen auch Filialen in Chicago, Paris, Kopenhagen und in Berlin eröffnet. Zwar zeige sich der Rest der Welt noch etwas zurückhaltender. Aber das sei nur eine Frage der Zeit, sagt Dave: "Über kurz oder lang sitzt auch Barack Obama auf einem 'bakfiets'!"

Autorin: Kerstin Schweighöfer

Redaktion: Julia Kuckelkorn