1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mit dem Fahrrad auf Recherche

Ulrich Noller28. Juli 2006

Avancierte Literatur und Kriminalstoffe, das geht auf keinen Fall zusammen. Heißt es. Einer, der dieses Dogma in den Wind geschlagen hat, ist der Kriminalschriftsteller Jan Seghers. Ein Porträt.

https://p.dw.com/p/8Z6g
"Tatort"-Kommissar Miroslav Nemec und der Autor Jan SeghersBild: picture-alliance / dpa

Jan Seghers heißt eigentlich Mathias Altenburg und ist seit Jahren als Vertreter der jüngeren deutschen Literatur bekannt. Als Kriminalschriftsteller ist er immens erfolgreich, seine Bücher verkaufen sich zu Zigtausenden. Verantwortlich dafür ist vor allem der Kripokommissar Robert Marthaler.

(..) Er ist ein bisschen übergewichtig, ein bisschen grüblerisch, ein wenig außenseiterisch-verschroben. Im Grunde genommen eine Kommissarsfigur, wie es sie häufig gibt, weil er auch nicht ganz mit seiner Umgebung im Reinen ist, immer wieder in Konflikte gerät. Und deswegen eine typische Ermittlerfigur, weil nur solche Figuren ein Maximum an Konflikten bergen.

Frankfurter Lokalkolorit

Ein perverser Sadist hat eine junge Frau umgebracht und die Leiche sorgsam im herbstlichen Schnee drapiert, so beginnt Marthalers neuer Fall. Ein Bild wie ein Samenkorn, sagt Jan Seghers: Aus ihm entwickelte sich der ganze Roman.

Ich wusste noch nicht, was es für ein Fall würde. Ich wusste noch nicht, was es für eine Geschichte würde. Aber dieses Bild war da. Ebenso war da das Haus, wo die Frau gefunden wird. Da bin ich häufiger vorbei gekommen, das Haus gibt´s wirklich. (..) Und Orte sind für mich einfach unglaublich wichtig, weil ich merke, dass von ihnen alles ausgehen kann. Also da können Figuren draus entstehen, da kann sich eine Geschichte draus entwickeln, das ist sehr wichtig. Wenn ich einen ortlosen Zustand habe, dann fällt mir gar nichts ein.

Die Orte, die Jan Seghers beschreibt, finden sich fast durchgängig in Frankfurt am Main. Mit dem Fahrrad betreibt der Autor da tagtäglich eine Art atmosphärische Recherche, an den Stadträndern, in schmutzigen Hafengebieten, in aufgelassenen Industriearealen.

(..)Da wird sofort die Phantasie in Gang gesetzt. Aber ich brauch immer die Wirklichkeit als Sprungbrett für die Phantasie. (..) Deswegen halte ich eine solche Recherche für unabdingbar. Die Orte müssen einfach stimmen, die müssen wirklich riechen.

Klassisch-realistisch

Jan Seghers wirkt enthusiastisch, wenn er von seinem Krimiprojekt erzählt; sehr entschieden tritt er als Kriminalschriftsteller auf; und der Erfolg gibt ihm Recht. Die berühmt-berüchtigte Grenze zwischen E- und U-Literatur hat dieser Autor für sich einfach aufgehoben. Gewagt - und auch gewonnen. Was die Ästhetik von Kriminalliteratur angeht, da vertritt Jan Seghers allerdings eine auffallend konservative Meinung.

Wenn es funktioniert, kann man alles machen. Also man kann jedes moderne Mittel verwenden, wenn es den Leser nicht von der Lektüre abhält. Sollte das allerdings so sein, sollte ein literarisches Kunststückchen da angewandt worden sein und der Leser reagiert mit Langeweile (..)Dann ist das Thema verfehlt. Ich finde, man darf seine Leser nicht wie ein Zirkuspudel mit irgendwelchen Kunststückchen bluffen wollen, sondern man muss, wenn Krimi draufsteht, auch Krimi liefern.

Ironie, erzähltechnische Überraschungen und andere Errungenschaften des postmodernen Kriminalromans wird man bei Jan Seghers deshalb vergeblich suchen. Seine Geschichten sind ernsthaft und klassisch-realistisch im Sinne der erzählenden Literatur des 19. Jahrhunderts. Was eine plausible Erklärung für ihren Erfolg sein könnte. Ein Erfolg übrigens, der auch eine ganz persönliche Seite hat. Denn Jan Seghers bedeutet das Krimischreiben eine unerwartete Befreiung; und das, obwohl er sich da strengeren Regeln unterwirft.

Es ist vielleicht so: Der Krimi ist von vornherein eine Art Schublade, in die man sich literarisch begibt. Man ist aber unbehelligter vom Literaturbetrieb als man es als Autor eines avancierten Romans wäre. (..) Es ist vom Genre her ein Korsett, aber von den Umständen des Arbeitens her sehr viel freier. Man ist nicht so sehr auf diese Vorgesetzten des Betriebes angewiesen ...