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Politik

Im Flüchtlingsheim "lag ein Kontrolldefizit vor"

8. November 2018

Sie schlugen und quälten Flüchtlinge: Nun müssen sich 32 Wachleute in einem Mammutprozess verantworten. Die Vorfälle offenbaren die mangelnde Kontrolle privater Sicherheitsdienste, sagt Sicherheitsforscher Helge Staff.

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Private Sicherheitskräfte sollen Flüchtlinge misshandelt haben
Bild: picture alliance / dpa

Ein junger Nordafrikaner liegt bäuchlings am Boden. Seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt, die Beine verdreht. Daneben posieren zwei lächelnde Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma mit nach oben gestreckten Daumen. Einer von ihnen hat seinen Fuß auf den Nacken des Gefesselten gesetzt und drückt dessen Kopf zu Boden. Dieses Handy-Foto aus der Burbacher Flüchtlingsunterkunft in Nordrhein-Westfalen sorgte vor rund vier Jahren für weltweites Aufsehen.

Im Verlauf der Ermittlungen stellte man systematische Misshandlungen des Wachpersonals des Heimbetreibers "European Homecare" fest. Die Mitarbeiter des Essener Unternehmens sollen sich in der Burbacher Flüchtlingsunterkunft wie Gefängniswärter aufgeführt und zwischen Dezember 2013 und September 2014 ein menschenverachtendes Bestrafungssystem betrieben haben.

Nun müssen sich dafür 32 Angeklagte im Alter zwischen 24 und 63 Jahren vor dem Landgericht Siegen verantworten. In einem Mammutverfahren – eines der größten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Staatsanwaltschaft hat 30.000 Seiten Papier zusammengetragen, die Anklageschrift umfasst 155 Seiten. Den Angeklagten wird vorsätzliche, fahrlässige und gefährliche Körperverletzung sowie Nötigung und Diebstahl vorgeworfen. Auf dem Prüfstand steht indirekt auch die gesamte private Sicherheitsbranche. Ein Bereich, den Helge Staff von Technischen Universität Kaiserslautern im Zusammenhang mit seinen Forschungen zur inneren Sicherheit seit Jahren beobachtet.

Deutsche Welle: Flüchtlinge wurden in dem Burbacher Heim schon bei kleinen Vergehen wie Trunkenheit oder bei einer zu späten Rückkehr in einem dunklen Raum misshandelt, der von Sicherheitsleuten "Problemzimmer" genannt wurde. Sind sie überrascht, dass es solch drastische Übergriffe von Wachleuten in einem Flüchtlingsheim gegeben hat?

Helge Staff: Die Vorfälle an sich sind natürlich skandalös und besorgniserregend. Sie weisen allerdings auf ein Grundproblem hin, was im Zusammenhang mit der Flüchtlings-Versorgung vorlag oder immer noch vorliegt. Es gab eine sehr starke Nachfrage nach privaten Sicherheitsdienst-Leistungen vom Staat als Kunden. Und in einer Branche, in der es tendenziell eher ein Problem ist, Mitarbeiter zu finden wurden dann sehr viele, vor allem kleinere Unternehmen am Markt gegründet, die ihre Dienste sehr billig anbieten konnten - auch aufgrund einer relativ geringen Regulierung. Dadurch hat natürlich am Ende die Qualität gelitten.

Deutschland Siegen | Prozess Misshandlung von Flüchtlingen in Burbach
Prozessbeginn vor dem Landgericht in Siegen: Einer der Angeklagten deckt sein Gesicht abBild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Die Behörden haben die Qualität der Sicherheitsdienste also nicht ausreichend überprüft?

Die Behörden standen einer großen Aufgabe gegenüber. Es wurden neue Einrichtungen geschaffen, die bewacht werden mussten. Wir hatten eine erhöhte Anzahl von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Insofern musste die Sicherheit nach außen gewährleistet werden, aber es musste auch eine gewisse Ordnung in der Unterkunft gewährleistet werden. Und zu diesen Zwecken wurden private Sicherheitsunternehmen eingesetzt und keine Polizisten. Auch weil es natürlich deutlich billiger ist, privates Sicherheitspersonal einzusetzen, als die mittlerweile sehr hoch ausgebildeten deutschen Polizisten. Das Grundproblem war, dass  schnelle Entscheidungen getroffen werden mussten, aber kaum Regulierungen oder Standards vorlagen.

Viele Vorwürfe gegen die angeklagten Wachleute sind weitgehend belegt. Der frühere Leiter der Flüchtlingsunterkunft hat bereits ein Geständnis abgelegt. Wie sehen Sie aber die Rolle der Behörden, die von den Vorfällen nichts gewusst haben wollen?

Angesichts der weiteren Anklage gegen zwei Mitglieder der Bezirksregierung lag offenbar ein Kontroll-Defizit vor. Allerdings sollten die gesetzlichen Rahmenbedingungen so sein, dass eine effektivere Kontrolle möglich ist beziehungsweise nicht mehr nötig ist, weil die Auswahl von Sicherheitspersonal anders vorgenommen wird. Das ist mit der Regulierung, die seit 2016 gilt, teilweise auch schon umgesetzt worden.

Was genau ist umgesetzt worden?

Schon im Jahr 2009 - also deutlich vor der Flüchtlingskrise - gab es Anstrengungen der Innenministerkonferenz für die private Sicherheit bessere Regelungen zu treffen. Burbach hat diesen Prozess verstärkt. Seit 2016 gibt es das Gesetz zur Änderung überwachungsrechtlicher Vorschriften. Dabei geht es um eine Verschärfung der sogenannten Zuverlässigkeit-Prüfung. Demnach werden Wachleute schärfer und wiederholt auf ihre Zuverlässigkeit überprüft. Es wird nach eventuell vorliegenden Straftaten geschaut, was auch für Burbach relevant gewesen wäre. In diesem Fall hat das System aber teilweise versagt.

Helge Staff
Sicherheitsforscher Helge Staff Bild: Jung Fotografie GmbH

Es wurde zudem eine Regelabfrage durch die Landesämter für Verfassungsschutz eingerichtet. Denn es gab Hinweise aus anderen Flüchtlingseinrichtungen, dass dort teilweise Personal aus dem rechtsextremen oder islamistischen Milieu eingesetzt wurde. Das soll verhindert werden. Auch über ein digitales Melde-Register, über das Informationen länderübergreifend abgeglichen werden können.

Im Zusammenhang mit dem Misshandlungen in dem Burbacher Flüchtlingsheim wird öffentlich auch darüber diskutiert, wie qualifiziert private Dienstleister für solche Aufgaben sind. Wie ist Ihre Einschätzung?

Für fast alle europäischen Länder, die ich im Rahmen meiner Forschung untersucht habe, gilt: Es gibt sehr große, mittelständische oder kleine Sicherheitsunternehmen, die sehr professionell arbeiten und Standards einhalten. Die ihre Mitarbeiter entsprechend ausbilden und kontrollieren. Aber es gibt in allen europäischen Ländern die sogenannten schwarzen Schafe: kleinere Unternehmen, die vielleicht ein paar Mann stark sind, die ihre Dienstleistung sehr billig anbieten können und die auch als Subunternehmer eingesetzt werden können. Und bei diesen Firmen, die meist nicht in Verbänden organisiert sind, treten oftmals Probleme auf.

An welche Probleme denken sie in Bezug auf die Betreuung von Flüchtlingsheimen?

Der niedrigste Grundlohn von privaten Wachleuten beträgt ungefähr 10 Euro und steigt bis 2020 auf 11 Euro. Das heißt, es geht um einen Niedriglohnbereich, der mit relativ niedrigen Eingangshürden und sehr niedrigen Ausbildungshürden belastet ist. Es gibt zwar auch eine richtige Ausbildung, aber in Deutschland ist grundsätzlich nur eine 40-stündige Unterrichtung nötig. Und das führt dazu, dass das Personal niedriger qualifiziert ist - zum Beispiel, was interkulturelle Bildung oder Maßnahmen zur Deeskalation angeht. Teilweise ist das jetzt Teil der Unterrichtung, aber nicht ausreichend und nicht flächendeckend.

Siegerland-Kaserne Flüchtlingsheim Flüchtlinge Burbach
Hier kam es zu den Misshandlungen: Die Siegerland-Kaserne in BurbachBild: picture-alliance/dpa/Federico Gambarini

Seit Jahren boomt die Sicherheitsbranche. Ihre Mitarbeiter bewachen Bahnhöfe, Einkaufszentren, Kernkraftwerke oder Flughäfen und kommen bei Großveranstaltungen zum Einsatz. Wird Polizeiarbeit immer mehr privatisiert?

Wir haben in fast allen Staaten Europas sinkende Kriminalitätszahlen, aber ebenso eine steigende Angst der Bevölkerung vor Kriminalität. Das hat jedenfalls in Deutschland zu einer parallelen Entwicklung geführt: Wir haben sowohl in der Polizei wie im privaten Sicherheitsgewerbe eine zunehmende Zahl von Mitarbeitern. Allerdings ist der Trend mittlerweile so weit, dass wir fast mehr privates Sicherheitspersonal in Deutschland haben als Polizisten. Lange Jahre war das nicht so.

Insofern nimmt die Rolle der privaten Sicherheit zu. Sie übernimmt teilweise auch mehr Aufgaben. So reagierte die Branche im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise sehr flexibel und schnell. Sie können Polizisten nicht in einer Woche oder in zwei Wochen ausbilden. Das dauert deutlich länger. Außerdem verbleiben sie im staatlichen Dienst und erzeugen entsprechende Kosten unter anderem durch spätere Pensionen. Private Sicherheitsdienste bieten dagegen sehr flexible Lösungen an.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur