Während in der Bundesrepublik lautstark und höchst kontrovers über gesetzliche Mindestlöhne debattiert wird, sind gesetzliche Mindestlöhne in den meisten EU-Staaten längst üblich – und haben sich dort auch bewährt.
Niedriglohnsektor - in Deutschland ohne Mindestlohn
Innerhalb der EU wird kein einheitlicher Mindestlohn gezahlt; jedes Land passt ihn seiner wirtschaftlichen Leistungskraft und den Lebenshaltungskosten an.
Und das alles ohne negative Auswirkungen: Massenentlassungen, insbesondere im Niedriglohnbereich, habe es nirgendwo gegeben, betont Thomas Schulten, Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das WSI hat gerade eine europäische Vergleichsstudie zum Thema publiziert. Thomas Schulten fasst das Ergebnis so zusammen: "Die Mehrheit der internationalen Forschung geht heute davon aus, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Höhe des Mindestlohnes und der Entwicklung der Beschäftigung gibt. Weder in die negative noch in die positive Richtung."
Vielmehr habe sich dank des gesetzlichen Mindestlohns die Einkommenssituation von Geringverdienern überall deutlich verbessert. Darüber hinaus, so WSI-Mitarbeiter Claus Schäfer, profitieren auch die Betriebe von dieser verbindlichen Regelung: Der gesetzliche Mindestlohn sorge dafür, dass auch die Arbeitgeber gleiche Wettbewerbsbedingungen vorfänden.
In Großbritannien ist die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren sogar um 25 Prozent zurückgegangen. Und das, obwohl der gesetzliche Mindestlohn seit seiner Einführung im Jahre 1999 um mehr als 40 Prozent erhöht wurde.
In Deutschland arbeiten mindestens sieben Millionen Menschen im Niedriglohnsektor. Sie alle verdienen extrem wenig, sind potentiell auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen und konsumieren nur wenig. Mit Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde sich das alles ändern, sagen die Experten des WSI. Vorausgesetzt, der Mindestlohn habe die entsprechende Höhe.
Als Orientierungsgröße empfehlen sie deshalb die so genannte Pfändungsfreigrenze von derzeit 985,- Euro netto, die der Gerichtsvollzieher jedem verschuldeten allein stehenden Erwerbstätigen monatlich lassen muss - egal wie hoch dessen Verbindlichkeiten auch sein mögen. Das entspräche einem Bruttostundenlohn von rund 8,10 Euro. Womit der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland etwa so hoch wäre wie in Frankreich, Großbritannien oder Irland.
GLOSSAR:
Mindestlohn, der – die Höhe des gesetzlich vorgeschriebenen Geldes, das jeder Arbeitnehmer bekommen muss
Lebenshaltungskosten, die – Geld was man zum Leben braucht
Massenentlassungen, die – dadurch werden viele Leute arbeitslos
Niedriglohnbereich, der – ist der Bereich, wo man wenig Geld verdient
gewerkschaftsnahen – ähnlich organisiert wie eine Gewerkschaft
publiziert – etwas wurde veröffentlicht
Beschäftigung, die – hier: Arbeitsplätze
Einkommenssituation, die – Geld, welches man monatlich verdient
Geringverdiener, die – Leute, die wenig Geld verdienen
profitieren – einen Vorteil von etwas haben
verbindliche Regelung, die – eine Regelung, die eingehalten werden muss
potentiell – möglicherweise
staatliche Unterstützung, die – Geld, das man vom Staat bekommt, wenn man selbst zu wenig hat, um das Nötigste für seinen Lebensunterhalt zu bezahlen
konsumieren – etwas verbrauchen
Orientierungsgröße, die – der Wert, an dem man sich orientieren sollte
Pfändungsfreigrenze, die – ein Geldbetrag, der nicht gepfändet werden kann, ein festgelegter Grundbetrag, den man zum Leben braucht
Gerichtsvollzieher, der – ein Mitarbeiter der Justiz, der z.B. Pfändungen durchführt
allein stehend – nicht verheiratet sein
Erwerbstätige, der – jemand, der arbeitet und Geld verdient
Verbindlichkeiten, die – hier: Schulden