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Millionen-Entschädigung für Heimkinder geplant

13. Dezember 2010

Misshandelte ehemalige Heimkinder sollen nach der Empfehlung des Runden Tischs Heimerziehung über eine Stiftung finanziell entschädigt werden. Opfervertreter sprechen von billiger Abfertigung und wollen klagen.

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Ein kleines Mädchen lutscht am Daumen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Viele von ihnen hatten unter brutalen Erziehungsmethoden zu leiden, wurden gedemütigt, geprügelt, mitunter auch sexuell missbraucht. 700.000 bis 800.000 Kinder und Jugendliche wuchsen in den 1950er und 60er Jahren in kirchlichen und staatlichen Heimen der Bundesrepublik auf. Vielerorts herrschte Gewalt.

Zur Aufarbeitung dieser Fälle nahm im Februar 2009 ein so genannter Runder Tisch seine Arbeit auf. Mit dabei waren Vertreter von Bund, Ländern, Kirchen und Heimträgern, sowie Wissenschaftler und einzelne Betroffene.

Bundesstiftung im Umfang von 120 Millionen Euro

Deren Hoffnungen auf eine Opferrente wurden indes zerschlagen. Zwar erkennt der Runde Tisch unter der Leitung der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer das Leid der Heimkinder als Unrecht im Rechtsstaat an. Zur Entschädigung soll aber eine mit 120 Millionen Euro ausgestattete Bundesstiftung eingerichtet werden.

Porträt Vollmer (Foto: dapd)
Unter ihrem Vorsitz wurde die Empfehlung erarbeitet: Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje VollmerBild: dapd

Diese soll früheren Heimkindern Therapien ermöglichen und die Opfer, wenn sie zur Arbeit gezwungen wurden, für entgangene Rentenbeiträge entschädigen. Pauschale Entschädigungen hingegen soll es nicht geben. Zahlungen sind erst nach Einzelfallprüfungen vorgesehen.

Die Kosten sollen jeweils zu einem Drittel Bund, Länder und Kirchen tragen. In den Bundesländern sollen Anlaufstellen eingerichtet werden, an die Betroffene sich wenden können. Es soll dann eine individuelle Entschädigung geben. Das Geld soll Heimkindern zugute kommen, die von 1949 bis 1975 Opfer körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt wurden.

Noch bevor der Bericht des Runden Tisches am Montag (13.12.2010) in Berlin vorgestellt wurde, hagelte es harsche Kritik. Der Verein ehemaliger Heimkinder kündigte sogar eine Klage an. Deren Vorsitzende Monika Tschapek-Güntner sprach von "billiger Abspeisung" und "Demütigung" der Betroffenen. Der Verein werde das Ergebnis "nicht anerkennen", sagte sie. "Wir gehen den Klageweg."

Opfervertreter: beschämendes Ergebnis

Bei geschätzten 30.000 Anspruchsberechtigten bekomme der Einzelne von der geplanten Stiftung 2000 bis 3000 Euro, sagte Tschapek-Güntner. Es könne nicht sein, dass Menschen, die als Kind Misshandlungen, Folter und sexuellen Missbrauch erlebt hätten, derart abgefertigt würden.

Kinder spielen mit einer Modelleisenbahn ( Foto, undat. , 50er Jahre: dpa)
Rund 800.000 Kinder wuchsen in den 1950er und 60er Jahren in der Bundesrepublik in Heimen aufBild: picture-alliance / akg-images

"Eigentlich müssten alle, die am Runden Tisch sitzen, sich dafür schämen", sagte sie. Tschapek-Güntner forderte erneut eine Einmalzahlung für die Betroffenen von 50.000 Euro oder eine zusätzliche monatliche Rente in Höhe von 300 Euro. "Genau das werden wir (...) versuchen weiterhin durchzusetzen", kündigte sie an.

Neue Ungerechtigkeit befürchtet

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verteidigte das Ergebnis des Runden Tisches. Die Situation in den bundesdeutschen Heimen damals sei sehr unterschiedlich gewesen. Pauschale Entschädigungen würden angesichts des individuellen Leids zu neuen Ungerechtigkeiten führen, meint der Präsident des Kirchenamtes der EKD, Hans Ulrich Anke.

Zwei Demonstranten mit Plakaten, einer der beiden ist als Nonne verkleidet (Foto: dpa)
Im April hatten ehemalige Heimkinder in Berlin demonstriertBild: picture alliance / dpa

Opfervertreterin Sonja Djurovic, die selbst mit am Runden Tisch saß, weist darauf hin, dass der Fonds nach oben offen sei. So werde erreicht, dass alle Betroffenen gleich behandelt werden könnten. Deshalb habe man dem Vorhaben auch zugestimmt. Djurovic appellierte an den Bund und die Länder, das notwendige Geld bereitzustellen. Die Kirchen haben zugesagt, dass sie in den Fonds einzahlen werden, wenn alle Beteiligten mitziehen.

Der Runde Tisch Heimerziehung beriet unabhängig vom Runden Tisch zu Fällen sexuellen Missbrauchs, der im Frühjahr dieses Jahres von der Bundesregierung ins Leben gerufen worden war. Über die Umsetzung der Empfehlungen entscheiden der Bundestag und die Parlamente der westdeutschen Bundesländer.

Autorin: Eleonore Uhlich (afp,epd,dapd)
Redaktion: Martin Schrader