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Mikrokredite werden überschätzt

15. März 2010

Sie werden als das Wundermittel gepriesen, um Armut zu beseitigen und Arbeitsplätze zu schaffen. Aber die Vergabe von Mikrokrediten allein reicht nicht aus.

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Gastkolumne vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), DW-Grafik
Bild: DW

Mikrofinanzierung hat sich in den letzten Jahren zu einem populären Instrument der Armutsbekämpfung entwickelt. Spätestens seit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Muhammad Yunus und die Grameen Bank 2006 ist auch der breiten Öffentlichkeit bekannt, dass mithilfe von Kleinkrediten auch die Ärmsten eine Chance erhalten können, sich aus der absoluten Armut zu befreien.

Probleme bei der Mikrofinanzierung

Das häufig etwas sozialromantisch geprägte Bild der Mikrofinanzierung hat jedoch in letzter Zeit Risse bekommen. Was ist passiert?

Zunächst gab es in einigen Ländern Probleme mit dem enormen Wachstum von Mikrofinanzinstitutionen (MFI). Häufig handelt es sich dabei um nicht-staatliche Institutionen, die in einigen Ländern seit den 1990er Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Das Wachstum dieser manchmal nur wenig professionell geführten Institutionen war häufig zu schnell. Die Finanzierung von Außen, durch staatliche und private Geber und zumeist nicht auf der Basis der Mobilisierung lokaler Ersparnisse, hat oft Anreize für eine Expansion gesetzt, mit der die personellen Kapazitäten nicht Schritt halten konnten. Dies führte etwa in Marokko und in Bosnien-Herzegowina zu Schwierigkeiten in einer ganzen Reihe von MFI, denen inzwischen mit Schließungen, Fusionen und einer verstärkten staatlichen Regulierung begegnet wurde.

Darüber hinaus gibt es auch in Südasien, der Region mit der größten Verbreitung von Mikrokrediten, Probleme. In einigen Regionen in Indien, Bangladesch und Pakistan gibt es inzwischen eine so große Verbreitung von Mikrokrediten, dass die MFI dazu neigen, im Wettbewerb die Standards für die Kreditvergabe niedriger anzusetzen, wodurch sich die Qualität ihres Kreditportfolios verschlechtert. Auf der Seite der Kreditnehmer ist es zunehmend üblich geworden, einen Mikrokredit durch die Aufnahme eines Kredits bei einer anderen MFI oder bei einem Geldverleiher zurück zu zahlen. Auch daraus erklären sich die hohen Rückzahlungsraten der MFI von über 95 Prozent, die allerdings in Südasien zu sinken beginnen.

Um der Problematik der multiplen Kreditaufnahme bei mehreren MFI und der damit verbundenen Überschuldung vieler Kreditnehmer zu begegnen, wird an die Einrichtung von Kreditinformationsstellen gedacht, bei denen alle Kredite, auch Mikrokredite, gemeldet werden müssen.

Beseitigen Mikrokredite wirklich die Armut?

Schließlich ist in letzter Zeit auch die Wirkung der Mikrofinanzierung auf die Armut kontrovers diskutiert worden. Aus einer Vielzahl von Studien und Evaluierungen ergaben sich zwar positive Resultate. Sie zeigen, dass sich die Einkommen der Kreditnehmer erhöht haben und dass sich der Bildungs- und Gesundheitsstand von Familien, die Mikrokredite erhalten haben, verbesserte. Es kann aber nur in seltenen Fällen nachgewiesen werden, dass dies ursächlich auf die Mikrokredite zurückgeführt werden kann. Aus neueren, methodisch rigorosen Studien ergibt sich kein klares Bild. Es können keine überzeugenden positiven Effekte auf die Armutsreduzierung nachgewiesen werden. Woran liegt das?

Häufiger als angenommen werden Mikrokredite nicht für kleingewerbliche Investitionen verwendet, sondern für vielerlei Zwecke, die sich im unwägbaren Leben eines armen Haushalts, der über kein regelmäßiges Einkommen verfügt, fast täglich und immer überraschend, ergeben: Krankheitsfälle, Ernteausfälle, plötzliche Preissteigerungen usw. Schon die Tatsache, dass Mikrokredite zu einer Verstetigung der Haushaltseinkommen beitragen, ist indes positiv zu werten. Dadurch wird es vielleicht erst ermöglicht, dass die Kinder regelmäßig zur Schule gehen.

Es ist damit aber noch keine dauerhafte Erhöhung des Einkommens verbunden, geschweige denn eine wirtschaftliche Transformation hin zu einem höheren Produktivitätsniveau als Grundlage für Einkommenssteigerungen. Aus der mit einem Mikrokredit finanzierten Nähmaschine wird in aller Regel kein Bekleidungsunternehmen; aus dem Schwein im Hinterhof wird kein wettbewerbsfähiger landwirtschaftlicher Betrieb. Dennoch werden die Auswirkungen der Armut gemildert und die Möglichkeiten für ein selbst bestimmtes Leben, gerade auch für die Frauen, oft verbessert. Das ist ein wertvoller Beitrag zur Armutsbekämpfung, aber es ist nicht der Ausbruch aus der Armut für Millionen, geschweige denn Grundlage einer wirtschaftlichen Transformation wie sie etwa in Ostasien – ohne Mikrokredite – vonstatten ging.

Mikrokredite werden überschätzt

Dr. Peter Wolff ist Leiter der Abteilung „Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung" im Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Foto: DIE
Dr. Peter WolffBild: DIE

Es gibt Kritiker der Mikrofinanzierung, wie etwa der in Cambridge lehrende Koreaner Ha-Joon Chang, die in der Mikrofinanzierung eine falsche volkswirtschaftliche Verwendung von Kapital sehen, welches besser nicht in unproduktive Kleinstbetriebe sondern vielmehr in dynamische Mittel- und Großbetriebe investiert werden sollte, wie eben im Erfolgsmodell Korea. Tatsächlich geht es nicht um ein Entweder-Oder. Richtig ist aber, dass die „transformative“ Wirkung der Mikrofinanzierung weithin überschatzt wird. Eine Strategie der Armutsbekämpfung muss komplementär zur Mikrofinanzierung die Finanzierung von größeren, wettbewerbsfähigen Betrieben sowie von Infrastruktur zum Inhalt haben. Sonst wird die Armutsreduzierung sehr bescheiden bleiben.

Dr. Peter Wolff, Abteilungsleiter „Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung“, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.