Migranten feiern Weihnachten
Weihnachtsmärkte besuchen und Weihnachtsgeschenke kaufen, Weihnachtsgebäck backen und den Weihnachtsbaum schmücken – von dem christlichen Fest und allem, was dazu gehört, bleiben auch Migranten nicht unberührt.
Es ist der 24. Dezember, Heiligabend. Die Geschäfte in den Städten schließen spätestens am Nachmittag, so dass jeder noch genug Zeit hat für die abendlichen Vorbereitungen. Bis zu diesem Tag sind die Menschen schon ordentlich auf „das Fest“ eingestimmt worden – in der sogenannten Vorweihnachtszeit. Weihnachtsmärkte lockten mit ihrer gemütlichen Stimmung. In manchen Familien wurden Weihnachtsplätzchen gebacken. Diese Atmosphäre berührt oft auch diejenigen, die nicht religiös sind, sowie die Migranten, die Weihnachten anders oder gar nicht feiern. Manche übernehmen Traditionen oder nutzen Weihnachten einfach nur als Gelegenheit zum festlichen Beisammensein. Zu ihnen gehört auch die russisch-orthodoxe Familie von Elena. In ihrer Heimat ist es eigentlich nicht üblich, Weihnachten so zu feiern wie in Deutschland. Dennoch werden die hiesigen Weihnachtstraditionen gepflegt, wie Elena erzählt:
„So wie in der normalen deutschen Familie schmücken wir unser Haus, und auch die Adventskerzen werden jeden Sonntag angezündet. Die Kinder backen Plätzchen. Ungefähr am zweiten Advent holen wir einen Tannenbaum und schmücken zusammen mit den Kindern. Natürlich kommt das auch durch die Kinder, die diese Ideen auch von der Schule nach Hause tragen, oder von Freunden. Und ich finde es eine schöne Tradition, die auch der Familie Halt gibt und auch diese vorweihnachtliche Zeit schöner macht.“
In deutschen Familien gehört es dazu, in der Vorweihnachts- beziehungsweise der Adventszeit die Räume zu dekorieren. So schmücken mancherorts Lichterketten ganze Häuser von außen, leuchtende Sterne hängen in den Fenstern, mancher stellt auch eine traditionelle Weihnachtspyramide auf. Das ist ein kunstvoll gestaltetes Holzgestell mit Kerzen, bei dem kleine Figuren durch die Wärme des Kerzenlichts bewegt werden. Zum Advent gehört auch ein Adventskranz. An jedem der vier Sonntage vor dem 24. Dezember, der Tag, an dem die Geburt Jesu Christi gefeiert wird, wird eine Kerze mehr angezündet. Elena erzählt, dass sich ihre Familie bereits relativ früh, nämlich am zweiten Adventssonntag, einen Weihnachtsbaum besorgt. In der Umgangssprache wird statt „Weihnachtsbaum“ gern das Wort „Tannenbaum“ verwendet, egal, ob es sich um eine Tanne oder eine Fichte handelt. Die orthodoxen Christen feiern ihr Weihnachtsfest erst am 6. Januar. Für Elenas Familie hat das Vorteile:
„Das dauert bei uns so ungefähr sechs Wochen: vier Wochen vor dem deutschen Weihnachten und plus zwei Wochen. Dadurch haben wir doppelte Geschenke, doppelte Freude, doppeltes Glück. Und natürlich für die Kinder ist natürlich viel schöner.“
Früher war es in vielen Familien üblich, an Weihnachten zu musizieren und Weihnachtslieder zu singen. Heutzutage kommt die weihnachtliche Musik eher aus der Musikanlage. Doch nicht bei Elenas Familie: Sohn Martin hat auf seinem Akkordeon ein Musikstück eingeübt. Während orthodoxe Christen einen gewissen Bezug zum Weihnachtsfest haben, ist der bei Moslems nicht gegeben. Der türkischstämmige Turgay, der in Deutschland geboren wurde, erzählt, dass in seinem Elternhaus Weihnachten nie gefeiert wurde, obwohl er sich das als Kind immer gewünscht habe:
„In der Schule war das so, dass die Gleichaltrigen schon vor der Weihnachtszeit darüber gesprochen haben, was sie für Geschenke bekommen. Und wir als türkische Kinder haben das natürlich immer als aufregend empfunden, dass die Geschenke bekommen. Was übernommen worden ist, ist zum Beispiel die Tradition vom Nikolaus und dekorative Dinge. Man fand dann innerhalb der Familie einen Weihnachtsbaum schön oder mal kleine weihnachtlich geschmückte Tischdekoration. Aber so der Weihnachtsabend oder Weihnachtstage wurden dann nicht gefeiert. Das war dann einfach ‘n freier Tag.“
Die christlichen Bräuche spielten in Turgays Familie ebenso wenig eine Rolle wie das Weihnachtsfest selbst. Allerdings gab es zwei Ausnahmen: Anfang Dezember wurde Nikolaus gefeiert; außerdem wurde die Wohnung ein bisschen weihnachtlich dekoriert. Das Nikolausfest, das im Gedenken an den Bischof Nikolaus von Myra am 6. Dezember begangen wird, ist besonders bei Kindern in Deutschland sehr beliebt, weil es dann kleine Geschenke gibt. Turgay hat nun selbst eine Familie, die Weihnachten auf ihre Art feiert:
„Wir haben sozusagen das Fest leicht modelliert übernommen, ohne dass die Religion im Vordergrund steht, sondern es ist einfach der schöne Abend, der schöne Baum, die schöne Deko und die generelle Atmosphäre an dem Abend. Man besucht auf jeden Fall Weihnachtsmärkte, man trinkt auch einen Glühwein. Wir backen nicht selbst, aber das, was es zu kaufen gibt, kaufen wir dann natürlich auch: Zimtkekse, Stollen zum Beispiel. Die gibt’s dann auch zu essen bei uns.“
Für die moslemische Familie steht nicht der religiöse Gedanke des Festes im Vordergrund, sondern die Atmosphäre, die mit ihm verbunden ist. Deshalb wurden bestimmte Bräuche in leicht veränderter, modellierter, Form übernommen. Dazu gehören die weihnachtlichen Dekorationen, die Deko, weihnachtliches Gebäck wie Zimtkekse und Christstollen sowie auch das Trinken von Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Glühwein ist ein Getränk, das traditionell aus Rotwein und verschiedenen Gewürzen besteht und heiß serviert wird, daher auch der Name. Zimtkekse und Stollen sind zwei Gebäcksorten, die es traditionell nur zur Weihnachtszeit gibt. Ein Stollen besteht hauptsächlich aus Mehl, Zucker, Butter, Rosinen, Mandeln, Zitronat – mit Zucker haltbar gemachten Zitronenschalen – und dem Backmittel Hefe. Ähnlich wie der Moslem Turgay macht auch der indischstämmige Migrant Raju bei Weihnachtsfeierlichkeiten mit. So hilft er seiner deutschen Ehefrau beim Christbaumschmücken, beim Aufhängen der Lichterkette, auch mal beim Plätzchenbacken und geht mit ihr zum Tannenbaumkauf:
„Meine Frau und Kinder sind sehr darauf erpicht, einen Baum zu haben. Für mich sehen die alle gleich aus. Da bin ich ja natürlich Beobachter mit positiven Gefühlen. Ich bekomme auch Geschenke, allerdings schenke ich gar nichts, vielleicht mal ein Gedicht oder so was für meine Frau. Ich mache mit, soweit es verlangt wird.“
Ein Weihnachten ohne Weihnachtsbaum gibt es in Rajus Familie nicht. Sie ist – wie er es umgangssprachlich formuliert – geradezu erpicht darauf. Jemand, der auf etwas erpicht ist, legt großen Wert auf etwas. Raju macht seiner Familie zuliebe alles mit, selbst wenn für ihn ein Baum wie der andere aussieht und er keinen Unterschied erkennen kann. Feiern oder nicht feiern – diese Frage stellt sich für viele Migranten nicht. Sie machen einfach mit, die einen mehr, die anderen weniger. Für sie ist Weihnachten eben eine schöne Gelegenheit, Zeit mit der Familie zu verbringen, ganz zwanglos und befreit von jedem religiösen Bezug.
Arbeitsauftrag
Weihnachten wird in jedem europäischen Land ein bisschen anders gefeiert. Recherchiert in eurer Lerngruppe, wie beispielsweise in Spanien oder in Norwegen Weihnachten gefeiert wird. Berichtet anschließend in eurer Gruppe.