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Politik

Mexikos Polizei startet Charme-Offensive

30. August 2017

Kaum jemand in Mexiko vertraut der Polizei. Vielen gelten die Sicherheitskräfte als Komplizen des organisierten Verbrechens. Die Mariachi-Kapelle der Bundespolizei soll nun verlorene Sympathie zurückgewinnen.

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Screenshot Youtube Mexiko Mariachi Band der Bundespolizei
Bild: Youtube/Policia Federal de Mexico

"Teil unserer Funktion ist es, den Blick auf die Nationalpolizei zu verändern", erklärt Juan Ramón Soto im Web-Fernsehen der mexikanischen Tageszeitung "El Universal". Soto ist Leiter des 21-köpfigen Mariachi-Orchesters der mexikanischen Bundespolizei. Seine Einheit soll das miese Image der Behörde aufpolieren.

Die Menschen würden sehr undifferenziert auf die Behörde blicken, erklärt Soto dem "Universal". Statt ein Unterdrückungsorgan zu repräsentieren, solle "der Mariachi" - wie in Mexiko die ganze Kapelle genannt wird - den Mexikanern die menschliche Seite der Polizei nahebringen.

Vor allem in Bundesstaaten wie Michoacán, Tamaulipas und Sinaloa, in denen die Drogenkartelle besonders präsent sind, soll Soto mit seiner Kapelle an öffentlichen Plätzen wie Einkaufszentren auftreten und die typische Volksmusik spielen. Alle Mitglieder der Sondereinheit beherrschen ihre Instrumente. Gleichzeitig, heißt es, seien sie alle ausgebildete Polizisten und darauf vorbereitet, jederzeit adäquat auf Ernstfälle zu reagieren.

Mangelhafte Qualifizierung

Mit dieser Fähigkeit hätten sie wohl vielen ihrer Kollegen einiges voraus, sagt der mexikanische Innenexperte Carlos Pérez Ricart von der FU Berlin: "Die mexikanische Polizei hat seit Jahren ein ernsthaftes Problem mit der Ausbildung ihrer Einsatzkräfte."

Was das bedeuten kann, zeigt ein Bericht von Ende 2015, in dem die mexikanische Regierung einräumte, dass - über alle organisatorischen Ebenen: Bund, Bundesstaaten und Gemeinden - lediglich zehn Prozent aller Polizisten im Land auf die sechs Monate später anstehende Justizreform vorbereitet wären.

Die Reform des mexikanischen Strafrechts wurde 2008 beschlossen und bis Mitte 2016 implementiert. Sie zielt vor allem darauf ab, die Menschenrechte von Verdächtigen und Beschuldigten zu stärken, indem sie die Unschuldsvermutung betont. Sie betrifft also nicht nur die Rechtsprechung, sondern maßgeblich auch den polizeilichen Alltag.

Mexiko Angriff auf Staatsanwaltschaft Cancún
Nicht selten nimm das mexikanische Militär Polizeiaufgaben wahr, wie hier die Sicherung eines Tatorts in CancúnBild: Reuters/V. Ruiz

Am besten schnitt damals noch die Bundespolizei ab: Mehr als die Hälfte der Einsatzkräfte waren laut Bericht auf die Justizreform vorbereitet. Wie schlecht die Bundespolizei ganz allgemein für ihre Aufgaben qualifiziert sei, sagt Pérez Ricart, erkenne man jedoch daran, dass immer wieder das Militär gegen Drogenbanden ausrückt: "Das Vertrauen des Staates in die Fähigkeit der Bundespolizei ist so gering, dass das Militär seit rund zehn Jahren Polizeiaufgaben im Kampf gegen die organisierte Kriminalität übernimmt."

Derlei Misstände ziehen sich durch alle Ebenen der mexikanischen Polizei: "überarbeitet, unterbezahlt und unterbesetzt", so resümiert das auf organisierte Kriminalität spezialisierte Rechercheportal "InSight Crime" den Zustand der mexikanischen Polizei.

Missbrauchtes Vertrauen

Der schlechte Leumund der mexikanischen Polizei resultiere aber keineswegs allein aus der mangelnden Handlungsfähigkeit, sagt Pérez Ricart: "Es bestehen ernstzunehmende Vorwürfe wegen Verstößen gegen die Bürgerrechte, wegen Korruption und wegen Verwicklungen mit dem organisierten Verbrechen."

Ein Fall von vielen erregte 2014 internationales Aufsehen: das Verschwinden von 43 Studenten der Lehramtsschule von Ayotzinapa. Lokale Polizisten und Mitglieder eines Drogenkartells sollen die Verschwundenen in Zusammenarbeit entführt und ermordet haben.

"Die Grenze zwischen staatlichen Strukturen und der organisierten Kriminalität besteht in Mexiko eigentlich nur im Organigramm", sagt Pérez Ricart. "In der Realität sind sie kaum voneinander zu trennen."

Ernsthafte Bemühungen

Auch wenn die Auftritte des Polizei-Mariachi bei den Zuschauern bisher recht gut ankommen - die Annahme, dass die Auftritte eines Mariachis das völlig zerstörte Vertrauen der Bürger in die Polizei in irgendeiner Weise wiederherstellen könnten, erscheint dem Mexikaner daher absurd: "Die Mariachi-Auftritte sind ein Marketing-Gag für die nationale und internationale Presse. Zur effektiven Vertrauensbildung erwarten wir von der Polizei mehr als die Gründung einer Musikkapelle."

Ein Vorbild dafür könnte ausgerechnet die berüchtigte Grenzstadt Ciudad Juárez abgeben. Sie ist ein strategischer Punkt für den Drogenschmuggel in die USA und gehört seit Jahrzehnten zu den Städten mit den höchsten Mordraten der Welt. Auch die Polizei, sagt der Berliner Politologe, habe dort noch vor acht Jahren die niedrigsten Vetrauenswerte im ganzen Land gehabt: "Heute hat sich die Situation drastisch verändert, zum Teil, weil die Polizei in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde Trainings absolviert hat."

Nach und nach wurden in der sogenannten Präventiv-Polizei bestimmte Mechanismen etabliert, die dazu beitragen, Rechtsverstöße von Beamten vorzubeugen und sie gegebenenfalls konsequent zu ahnden. Der renommierte Think-Tank Insyde hat diese Fortschritte 15 Monate lang dokumentiert und Mitte 2016 mit einem Siegel zertifiziert, das bestimmte Qualitätsstandards innerhalb von Polizeieinheiten bestätigt. Nun will man in Ciudad Juárez diese Zertifizierung für weitere Behörden erreichen. Die Aufstellung einer Mariachi-Kapelle wird dafür nicht erforderlich sein.

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.