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Mers: "Keine Panik, aber erschüttertes Vertrauen"

Esther Felden13. Juni 2015

Die Infektionskrankheit Mers hält Südkorea in Atem. Im Land herrscht Sorge, aber auch Wut, berichtet Norbert Eschborn von der Adenauer-Stiftung in Seoul der DW. Grund: Schlechte Informationspolitik und Fehldiagnosen.

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Frauen mit Mundschutz in einem Einkaufszentrum in Seoul (Foto: Reuters/K. Hong-Ji)
Bild: Reuters/K. Hong-Ji

Deutsche Welle: Seit dem Ausbruch der Infektionskrankheit Mers in Südkorea sind bislang 14 Menschen gestorben, mehr als 100 sind erkrankt. Die Angst vor einer weiteren Ausbreitung wächst. Wie erleben Sie die Situation in Seoul? Wie sehr beherrscht MERS derzeit den Alltag?

Norbert Eschborn: Einerseits kann man im Alltagsleben nur leichte Veränderungen feststellen. Es ist nicht so, dass das Leben hier zum Stillstand gekommen wäre. Wir erleben auch keine panikartigen Reaktionen der Menschen auf der Straße. Wir nehmen die Veränderungen anderswo wahr. In den öffentlichen Verkehrsmitteln sind deutlich weniger Fahrgäste, dafür hat der Individualverkehr zugenommen, weil eben jetzt bevorzugt allein gefahren wird, um sich nicht anzustecken.

Eltern berichten, dass sie ihre Kinder nicht mehr in den Kindergarten schicken, von einigen Schulen weiß ich, dass seit einer Woche kein geregelter Unterricht mehr stattfindet. Ich habe gestern mit einer Lehrerin gesprochen, die mir gesagt hat, dass gestern an ihrer Grundschule nur noch acht Lehrer waren, normalerweise sind es über 30. Und von den eigentlich mehreren hundert Schülern waren auch nur vier zum Unterricht erschienen. Also das öffentliche Leben ist schon in einer gewissen Unordnung begriffen.

Das wird noch eine Zeitlang andauern. Wir haben im Moment 14 Tote, über 130 Erkrankte und eine sicherlich vierstellige Zahl von Leuten, die sich selbst oder auf ärztliche Anweisung in die eigene Quarantäne begeben haben, sei es zu Hause oder auch unter ärztlicher Aufsicht im Krankenhaus. Insofern ist das eine ganz ernste Sache. Die wirtschaftlichen Folgen der Krankheit wurden auch schon vom Kabinett beraten. Man rechnet mit einem mindestens zehnprozentigen Einbruch des privaten Konsums während des Verlaufs der Epidemie.

Kann man davon ausgehen, dass die von Seiten der Behörden ergriffenen Quarantäne- und Vorsichtsmaßnahmen ausreichend sind, um eine weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern – oder kann man das gar nicht abschätzen?

Unter medizinischen Aspekten kann ich das nicht beurteilen. Aber gerade erst habe ich gelesen, dass erneut ein ambulant im Krankenhaus behandelter Patient nicht richtig diagnostiziert wurde – er trug das Mers-Virus bereits in sich und erkrankte dann letztendlich auch daran. Bei der vorangegangenen ambulanten Behandlung wurde das aber nicht erkannt. Und das kommt schon zum wiederholten Mal vor.

Porträt Norbert Eschborn (Foto: KAS)
Norbert Eschborn lebt und arbeitet in Seoul: Er leitet das dortige Büro der deutschen Konrad-Adenauer-StiftungBild: privat

Auch beim ersten Mers-Fall hatte man in einem der bekanntesten Krankenhäuser des Landes, das einem der größten südkoreanischen Konglomerate gehört und dessen Namen trägt, diese Krankheit nicht erkannt und entsprechend falsch therapiert. So etwas erhöht nicht gerade das Vertrauen – sowohl von Koreanern als auch von Ausländern – in die medizinischen Einrichtungen dieses Landes.

Aus diesem Grund ist meiner Meinung nach auch die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung etwas zurückhaltend. Man vermisst ganz klare Erläuterungen, was für eine Krankheit Mers überhaupt ist. Und man hätte auch gern mehr Informationen über die Risikogruppen, die besonders davon betroffen sein könnten: Nicht nur ältere Menschen oder Menschen mit ohnehin krankheitsanfälligen Atmungsorganen, sondern zum Beispiel auch Diabetes-Patienten, die auch zu den Risikogruppen gehören, das aber teilweise hier gar nicht wissen. Deshalb erleben wir auch eine breite Absage von Veranstaltungen.

Sie haben die Informationspolitik der Regierung angesprochen. Sie steht ähnlich wie nach dem Untergang der Fähre Sewol im April 2014 aufgrund ihres Krisenmanagements in der Kritik. Wie ist das zu erklären? Warum lernt Südkorea offenbar nicht aus den Fehlern der Vergangenheit?

Das ist die große Frage. Krisenmanagement hieße ja zunächst einmal, dass die Regierung Herrin des Informationsflusses ist und auch pro-aktiv mit einer Vielzahl an Informationen an die Öffentlichkeit geht, um Spekulationen und Fehlinformationen zu vermeiden. Das passiert hier so gut wie gar nicht. Ich kann mir das nur so erklären, dass im Regierungsapparat –unabhängig von der politischen Farbe, die gerade an der Regierung ist – ein generelles Unbehagen besteht, Informationen zu teilen. Oder dass man selbst vielleicht aber auch gar nicht über die nötigen Informationen verfügt, um eine umfassende, pro-aktive Informationspolitik betreiben zu können.

Als vor über zehn Jahren die SARS-Epidemie nach Südkorea kam, hat die damalige Regierung – so wurde mir berichtet - gleich zu Beginn sehr viel mehr Informationen an die Bevölkerung gegeben. Damals habe die Zahl der Erkrankungen praktisch bei null gelegen, weil man sich frühzeitig darauf einstellen konnte. Heute ist es anders. Es hat möglicherweise auch damit zu tun, dass jetzt, zweieinhalb Jahre vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang, so etwas natürlich dem Nationen-Marketing, das in Südkorea sehr aktiv betrieben wird, schadet.

Eigentlich wollte Präsidentin Park Geun-Hye in dieser Woche zu einem Staatsbesuch in die USA reisen. Diesen Besuch hat sie kurzfristig auf unbestimmte Zeit verschoben, wegen der "Beunruhigung der Bevölkerung". Wie beurteilen Sie diese Entscheidung? War es aus Ihrer Sicht der richtige Schritt oder hat sie damit im Prinzip nichts gewonnen?

Sie selbst ist eigentlich eine Getriebene. Forderungen, den Besuch abzusagen oder zu verschieben, hat man in den einschlägigen Blogs gefunden, wo ziemlich aufgebrachte Koreaner diesen Schritt verlangt haben. Sie hätten kein Verständnis dafür gehabt, wenn sie in dieser Situation außer Landes gegangen wäre. Man muss auch bedenken, dass ja zu Beginn des Mers-Ausbruchs der Name des Krankenhauses, in dem die Fehldiagnosen stattgefunden haben, nicht veröffentlicht wurde, weil es eben dem größten südkoreanischen Konglomerat gehört und dessen Namen trägt.

Und die Präsidentin gilt als Politikerin, die die Interessen der Großindustrie und der Wirtschaft schützt. Insofern ist die Absage der USA-Reise ein Zugeständnis an die Kritiker. Man wird sicherlich von Seiten der Regierung versuchen, die Anwesenheit der Präsidentin auch als Zeichen des "Sich-kümmerns" und des aktiven Handelns zu interpretieren und damit auch Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Inwieweit setzt die Mers-Krise die Präsidentin unter Druck?

Mers ist eine Fortsetzung der zahlreichen Unglückseligkeiten, die diese Präsidentschaft zu bestimmen scheinen. Die Präsidentin selbst ist politisch nicht unter Druck. Sie ist ja nur Präsidentin für eine Amtszeit, mehr lässt die südkoreanische Verfassung nicht zu. Um eine Wiederwahl muss sie sich also keine Sorgen machen. Es geht jetzt lediglich darum, ob sie als handlungsschwache Präsidentin in Erinnerung bleibt, als Präsidentin, die in den vielen Krisen ihrer Amtszeit vielleicht nicht immer angemessen reagiert hat. Sie muss jetzt einfach einige Aktiva in ihrer Bilanz schaffen. Passiva sind dort schon genug, nicht nur die untergegangene Fähre und jetzt diese Krankheit. Für beides kann sie nichts, aber sie wird dafür verantwortlich gemacht. So ist hier das öffentliche Meinungsklima.

Natürlich ist es so, dass ihre Regierung durch die beschriebenen Defizite der Informationspolitik diesen Eindruck noch verstärkt: dass es eine unglückselige Präsidentschaft ist, wo auf der Aktiv-Seite der Bilanz nicht viel steht und auf der Passiv-Seite viel Schaden im Land entstanden ist.

Norbert Eschborn leitet das Korea-Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul.