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Neue Bündnispolitik

Christoph Hasselbach27. Februar 2014

Der große Bahnhof für die Kanzlerin in London zeigt: Angela Merkel ist in Großbritannien hochgeachtet. Davon kann Frankreichs Präsident Hollande nur träumen. Bahnen sich hier neue Allianzen an?

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Merkel und Cameron kommen sich näher (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Bundeskanzlerin Angela Merkel durfte in London vor beiden Kammern des britischen Parlaments sprechen und mit der Königin Tee trinken. Der sozialistische französische Präsident François Hollande dagegen wurde vor einem Monat mit einem Mittagessen in einem englischen Pub abgespeist. Umgekehrt war Premierminister David Cameron vor einem Jahr ein Wochenende zu Gast bei Merkel und ihrem Mann in Schloss Meseberg bei Berlin. Hollande hat bisher vergeblich auch auf eine solche Einladung gewartet - mit welcher Partnerin auch immer. Dabei hat Merkel Camerons Erwartungen an ihren London-Besuch wohl nur zum Teil erfüllt. Merkel hat sich in ihrer Rede für Reformen der EU, mehr Wettbewerb, offene Märkte und weniger Bürokratie ausgesprochen, was Cameron unterstützt, aber auch für mehr europäische Integration in der Wirtschaftspolitik, während der Premier Kompetenzen an die Nationalstaaten zurückgeben möchte.

Eine neue Achse Berlin-London?

Doch Merkel und Cameron teilen viele Überzeugungen und mögen sich auch persönlich. Martin Callanan, Europa-Abgeordneter der britischen Konservativen, findet, dass Berlin und London viel mehr gemeinsam haben als Berlin und Paris. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagt Callanan: "Das Vereinigte Königreich und Deutschland übernehmen zunehmend eine Art gemeinsame Führung Nordeuropas, während Frankreich zum geistigen Anführer Südeuropas wird. Und obwohl Frankreich und Deutschland geographische Nachbarn sind, sind sie sicher keine ideologischen Nachbarn mehr." Doch die Zusammenarbeit zwischen Berlin und London habe Grenzen, glaubt der Politikwissenschaftler Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre: "Das Problem ist, dass London sich ins Abseits manövriert." Cameron hat unter dem Druck euroskeptischer Politiker und Publizisten versprochen, ein Referendum über Verbleib oder Ausstieg aus der EU zuzulassen, falls er wiedergewählt wird. Von daher, so Emmanouilidis: "London ist wichtig, aber ein Verhältnis zu Paris ist wichtiger, und Kompromisse muss man vor allem mit Frankreich schmieden, wenn man Dinge auf europäischer Ebene voranbringen möchte."

Hollande und Merkel wenden sich voneinander ab. (Foto: Getty Images)
Hollande und Merkel finden politisch oft nicht zueinanderBild: Lionel Bonaventure/AFP/Getty Images

Mit Hollande klappt es wieder besser

Merkels Vorgänger hatten fast ausschließlich auf Frankreich gesetzt. Das klappte mal besser, mal schlechter. Zwischen Merkel und Hollande erreichten die Beziehungen aber einen Tiefpunkt. Vor allem in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik gingen beide Politiker getrennte, oft sogar völlig entgegengesetzte Wege: Merkel setzt auf Wettbewerbsfähigkeit und Globalisierung, Hollande suchte lange sein Heil in Abschottung und staatlichen Konjunkturprogrammen. Und während Deutschland in der Krise deutlich an Statur gewonnen hat, ist Frankreich immer weiter zurückgefallen. Erst Mitte Januar hat Hollande dann einen spektakulären Kurswechsel mit Entlastungen der Wirtschaft und Einsparungen im öffentlichen Sektor angekündigt. Die neue Berliner Koalition aus Union und Sozialdemokraten hat es Hollande gedankt, indem sie in der Außen- und Sicherheitspolitik auf Frankreich zugegangen ist. Sie will sich zum Beispiel stärker an Militärmissionen in Afrika beteiligen. In der Wirtschaftspolitik wartet Berlin allerdings noch darauf, dass Hollande mit seinen angekündigten Reformen Ernst macht.

Merkel ist in Polen hochgeachtet

Einiges spricht dafür, dass Merkel seit längerem dabei ist, ihre europäische Partnerwahl zu diversifizieren. Sie sucht auch zum Beispiel enge Kontakte zur polnischen Regierung und hat offenbar eine Zeitlang versucht, den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk in ein europäisches Spitzenamt zu bringen. Bartosz Dudek, Leiter der polnischen Redaktion der Deutschen Welle, sieht das zeitweise schlechte Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich mit als Grund dafür, "dass Deutschland sich andere Partner innerhalb der Europäischen Union sucht - und Polen passt gut in dieses Schema". Polen als Nachbarland Deutschlands, mit seiner Größe und Bedeutung als Schlüsselland in Ostmitteleuropa sei unverzichtbar für Deutschland. Auch zählt die Tatsache, dass Polen ebenso wie Deutschland ziemlich gut durch die Krise gekommen ist.

Demonstranten mit griechischen Fahnen und "Merkel-raus"-Spruchband (Foto: imago stock&people)
Gerade in der Krise braucht Deutschland starke PartnerBild: imago stock&people

Geteilte Verantwortung

Die Krise hat auch bewirkt, dass sich eine informelle Allianz der finanziell soliden Länder im Norden der EU gebildet hat. Seien es Finnland, Schweden, die Niederlande oder Österreich - sie alle wollen, dass ihre Hilfe für die überschuldeten Länder im Süden nicht vergeblich ist. Darum üben sie auch gemeinsam einen Reform- und Spardruck aus. Nach außen sieht es allerdings oft so aus, als sei allein Deutschland der Zuchtmeister Europas. Daher ist Merkel daran interessiert, die Last der Verantwortung zu verteilen. Die gemeinsame Interessenlage dürfe aber nicht zu einem Gegeneinander von Nord gegen Süd führen, rät Janis Emmanouilidis der Kanzlerin: "Ich glaube, eine Allianz Nord versus Süd bringt niemandem etwas. Vor allem, wenn man das aus der Perspektive Berlins sieht, muss man das tunlichst vermeiden." Eine solche Vereinfachung, glaubt der Politologe, würde der Realität auch gar nicht gerecht werden. Das Beziehungsgeflecht sei einfach "komplexer". Und das ist wohl auch das Fazit von Merkels europäischer Bündnispolitik: Sie ist komplexer geworden; sie hat sich diversifiziert; und, je nach Situation, verändern sich auch die Allianzen. Doch soviel scheint sicher: Dramatische Veränderungen wird es auch in Angela Merkels dritter Amtszeit in der Europa-Politik nicht geben.