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Merkel und Bachelet: Erste Frau trifft erste Frau

Aarni Kuoppamäki19. Oktober 2006

Angela Merkel trifft Chiles Präsidentin Michelle Bachelet zum Abendessen. Beide Frauen verbindet einiges: Sie lebten in der DDR, studierten in Leipzig und sind erste Staatschefinnen ihrer Länder. Schwestern im Geiste?

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Merkel und Bachelet trafen sich schon beim Lateinamerika-Gipfel in Wien (Mai 2006)Bild: AP

Als Michelle Bachelet das erste Mal nach Deutschland kam, war sie 23 Jahre alt. Ihr Vater Alberto, ein Luftwaffengeneral, war nach Augusto Pinochets Militärputsch im Gefängnis gefoltert worden und an den Folgen gestorben. Michelle Bachelet und ihre Mutter waren wochenlang misshandelt worden, ehe ein befreundeter General die Flucht ins DDR-Exil ermöglichte. Bachelet lernte Deutsch in Leipzig und studierte Medizin in Berlin, heiratete und gebar ihr erstes Kind. "Die Zeit, die ich in Potsdam und Leipzig verbracht habe, war für mich eine sehr glückliche Zeit", sagt sie. Nach vier Jahren kehrte sie heim nach Chile. Das war 1979.

Frauen an der Macht

Bundesregierung Kabinett in Berlin
Merkels Kabinett: Mehr Männer als FrauenBild: AP

Seit Mittwoch (18.10.06) ist Bachelet für drei Tage zurück und trifft am Donnerstagabend die Bundeskanzlerin. Zurückgekehrt ist Bachelet als chilenische Staatspräsidentin. Mittlerweile ist sie 55, hat drei Kinder von verschiedenen Männern und führt die Mitte-Links-Koalition der Andenrepublik. Das Wirtschaftsmagazin "Forbes" führt Bachelet in der Liste der mächtigsten Frauen der Welt auf Rang 17. Ihre Gastgeberin ist die Nummer 1 der Liste, Bundeskanzlerin Angela Merkel - sie studierte fast gleichzeitig mit Bachelet in Leipzig. Für mehr als einen kurzen Austausch zu Beginn des Gesprächs am Donnerstag reichen die gemeinsamen Erfahrungen aber nicht, meint Chile-Expertin Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Merkel lebte in der DDR unter gravierenden Ausreisebeschränkungen, Bachelet ging freiwillig dorthin ins Exil. Das heißt, die Perspektiven, aus denen dieses Regime erlebt wurde, sind sehr unterschiedlich."

In der Geschlechterfrage ist eine Gemeinsamkeit klar: Merkel und Bachelet sind die ersten weiblichen Staatschefs ihrer Länder. "Der Unterschied besteht aber darin", sagt Zilla, "dass Bachelet sich explizit für die Gleichstellung der Frau einsetzt. Sie thematisiert, dass sie eine Frau ist. Das tut Merkel in dem Maße nicht." Chilenische Frauen haben jedoch auch andere Probleme als die deutschen. Vor kurzem setzte die Sozialistin Bachelet durch, dass die Anti-Baby-Pille zur Nachverhütung ohne Erlaubnis der Eltern an minderjährige Mädchen abgegeben werden darf. Nun will sie die Abtreibung legalisieren und plant die Einführung eines Gleichstellungsgesetzes im öffentlichen Sektor. Rechte, die es in Deutschland schon lange gibt. Aber die Kinderärztin Bachelet geht noch weiter: Jedes zweite ihrer Kabinettsmitglieder ist weiblich. Bei der Physikerin Merkel sind es doppelt so viele Männer wie Frauen.

Einsam hinter den Anden

Chile Präsident Michelle Bachelet Flagge
In den 1970er-Jahren wohnte Bachelet in PotsdamBild: AP

Streit über die Geschlechter wird es aber kaum geben. "Wahrscheinlich haben die beiden praktischere Sachen zu besprechen", meint Zilla. Wirtschaftspolitisch sieht sie Bachelet mit Merkel auf einer Linie: "Chile ist der Exportmeister Lateinamerikas. Es hat mit Deutschland viele gemeinsame Interessen. Dabei geht es zwar um privatwirtschaftliche Firmen, aber wenn Staatschefs sich treffen, gibt das einen positiven Impuls für den Handel." Im südamerikanischen Handelsbund Mercosur ist Chile nur assoziiertes Mitglied. Deshalb sind bilaterale Beziehungen für das Land besonders wichtig.

Und auch politisch ist Chile eher ein Einzelgänger am Rande des Pazifik. Fast ein Gegenteil zum aktiven NATO- und EU-Mitglied Deutschland in der Mitte Europas. "Chile ist ein bisschen isoliert hinter den Anden", sagt Zilla. "Es ist zwar aus deutscher Sicht gut, wenn Bachelet im UN-Sicherheitsrat dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez die Stimme verweigert, indem sie sich enthält. Aber Chile hat keine große Ausstrahlung auf Lateinamerika. Es ist kein Land, das die anderen ansteckt." Eine ernüchternde Einschätzung, ist Chile doch das einzige Land in Lateinamerika, das es geschafft hat, seit der Demokratisierung die Armut zu halbieren.