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Politik

Türkisches Schleuser-Netzwerk entdeckt

6. Mai 2021

Dutzende türkische Staatsbürger sollen mit "grauen Pässen" nach Deutschland eingereist und dann abgetaucht sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und hofft auf Unterstützung aus der Türkei.

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Symbolbild Flüchtlinge Polizei Kontrolle Abschiebung
Bild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Eine Schleuser-Affäre macht in der Türkei bereits seit längerem Schlagzeilen und nimmt nun auch in Deutschland größere Ausmaße an. Die Beweise verdichten sich, dass dutzende türkische Staatsbürger mit Hilfe von sogenannten "grauen Pässen" nach Deutschland eingereist sind. Es handelt sich um spezielle Dienstpässe, die normalerweise an Staatsbedienstete ausgegeben werden, um ihnen visafreies Reisen zu ermöglichen - sofern sie Termine oder Veranstaltungen wie Messen, Seminare oder Workshops im Ausland wahrnehmen müssen.

Die Fährte beginnt in der Oberpfalz

In Weiden, nahe der tschechischen Grenze, wurde die Bundespolizei vergangenes Jahr auf Unregelmäßigkeiten in Zusammenhang mit den türkischen "grauen Pässen" aufmerksam. Sie beobachtete die mutmaßlichen Schleuser-Tätigkeiten Ende letzten Jahres - dann leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein.

Auf Nachfrage der DW bestätigte der leitende Oberstaatsanwalt Gerd Schäfer aus Weiden in der Oberpfalz, dass seit Ende letzten Jahres ermittelt wird. Die derzeitige Untersuchung betrifft 30 Personen, die versucht hätten, zwischen Oktober und November 2020 mindestens 213 Personen mit grauen Pässen nach Deutschland zu schleusen. Die Staatsanwaltschaft berichtet weiter, dass die rechtliche Situation in diesem Fall ausgesprochen kompliziert sei, weil es sich nicht um eine eindeutig illegale Einreise von Personen ohne Visum handele, denn es lägen die amtlichen Dienstpässe aus der Türkei vor. "Daher stehen wir noch am Anfang der Ermittlungen", so der Staatsanwalt. Man hoffe, so Schäfer, dass eine Zusammenarbeit mit türkischen Behörden zukünftig mehr Informationen bringe, insbesondere wie diese Dienstpässe ausgestellt worden seien. Denn auch Personen, die keine Staatsbediensteten sind, können solche Dienstpässe beantragen. In diesem Fall muss die Reise im Rahmen der Zusammenarbeit mit einer Nichtregierungsorganisation im Ausland und auf deren Einladung hin erfolgen.

Staatsanwaltschaft Hannover zieht nach

Auch die Staatsanwaltschaft Hannover ist wegen der "grauen Pässe" aktiv geworden - es wurde eine Untersuchung gegen eine Person namens Ersin K. eingeleitet. Ersin K. soll zwischen dem 30. Juli und dem 30. August 2020 gefälschte Einladungen zu einer angeblichen Umwelt-Tagung für 53 Personen an die Stadt Malatya geschickt haben. Laut der Staatsanwaltschaft Hannover seien 46 von ihnen mit dem Bus nach Deutschland gekommen und anschließend abgetaucht. Fünf von ihnen hätten später Asyl beantragt. 

Gäkay Akbulut fordert von der Regierung mehr Klarheit
Gökay Akbulut fordert von der Regierung mehr Klarheit Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Das Thema wird inzwischen auch von der deutschen Bundespolitik aufgegriffen: Gökay Akbulut, Abgeordnete der Linkspartei im Deutschen Bundestag, stellte eine mündliche Frage an die Bundesregierung, um mehr Klarheit über die Einreise türkischer Staatsbürger mit "grauen Pässen" zu erhalten.

Die Regierung antwortete, dass die betroffenen Personen versucht hätten, ohne Visum nach Deutschland zu kommen und hier Asyl zu beantragen. Es besteht der Verdacht, dass es im Zuge der Ausstellung der "grauen Pässe" auch zu Bestechung und Korruption gekommen sei. Die Regierung gab ferner an, dass die Bundespolizei Ende letzten Jahres die Behörden an allen Grenzkontrollpunkten über das Problem in Kenntnis gesetzt habe. Seit Januar befinde sich die Bundespolizei im intensiven Austausch mit türkischen Behörden, heißt es weiter. 

"Graue Pässe": Auch in der Türkei ein Thema

Auch in den türkischen Medien wurde zuletzt regelmäßig darüber berichtet, dass zahlreiche türkische Bürger mit Hilfe von Dienstpässen nach Deutschland ausgereist seien. Auch die türkische Opposition versucht mehr über den vermeintlichen Menschenschmuggel herauszufinden: Die größte Oppositionspartei CHP forderte im türkischen Parlament eine Untersuchung - diese wurde zweimal abgelehnt.

Der türkische Politiker Utku Cakirözer fordert eine Untersuchungskommission
Der türkische Politiker Utku Cakirözer fordert eine Untersuchungskommission Bild: CHP

Daraufhin wurde das Thema auf Druck der Opposition von der parlamentarischen Kommission für auswärtige Angelegenheiten erörtert. Aus dem Sitzungsprotokoll der Kommission geht hervor, dass es für den stellvertretenden Außenminister Yavuz Selim Kiran, von der Regierungspartei AKP, keinen Grund zur Sorge gebe. Man habe der deutschen Regierung empfohlen, "Asylanträge von denjenigen, die den grauen Pass missbraucht haben, abzulehnen". Die Türkei werde diese Personen jeder Zeit zurücknehmen.

Türkisches Parlament sperrt sich weiter

Kiran versicherte zudem, man stehe im engen Kontakt zum deutschen Außenministerium und zur deutschen Botschaft in der Türkei stehe. Utku Cakirözer, ein CHP-Mitglied der Kommission, sagte: "Auch wenn das Innenministerium die Untersuchung durchführt, müsste eigentlich das Parlament seine Aufsichtspflicht erfüllen. Wir fordern, dass dieses Thema auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt wird." Cakirözer ist der Meinung, dass es der beste Weg sei, eine Untersuchungskommission einzurichten. Dies sei jedoch abgelehnt worden.

Seit 2018 sind 804 Leute nicht mehr zurückgekehrt, sagt Süleyman Soylu
Seit 2018 sind 804 Leute nicht mehr zurückgekehrt, sagt Süleyman SoyluBild: picture-alliance/AA/V. Furuncu

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu nahm ebenfalls Stellung zu dem Thema. In einer türkischen Fernsehsendung sagte er, dass vor eineinhalb Monaten eine Untersuchung zu den Vorwürfen des Missbrauchs bei der Ausstellung und Nutzung von Dienstpässen eingeleitet worden sei. "In den letzten sechs bis sieben Monaten wurde 4496 Personen die Beantragung eines Dienstpasses verweigert."

Auch gab der Minister bekannt, dass seit 2018 insgesamt 109.000 Personen mit einem "grauen Pass" ins Ausland gereist seien - 804 seien nach Ablauf des Dokuments nicht zurückgekehrt. Wie viele von ihnen in Deutschland geblieben sind, ist unklar. Laut dem deutschen Bundesinnenministerium ist auch dies Teil der laufenden Ermittlungen. Nach türkischen Medienberichten sollen die Reisenden für die Einschleusung nach Deutschland zwischen 5000 und 8000 Euro pro Person gezahlt haben.

Elmas Topcu | Journalistin
Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas