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Menschenrechtspreis für Fartuun Adan aus Somalia

Adrian Kriesch4. Dezember 2014

Seit Jahrzehnten setzt sich Fartuun Adan für die Rechte der Frauen in Somalia ein. Dafür wird sie nun mit dem Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung geehrt. Adrian Kriesch hat Adan in Somalia besucht.

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Somalia Mogadischu Fartuun Adan
Bild: DW/A. Kriesch

Mit zitternder Stimme erinnert sich die Frau auf dem Sofa an den Tag vor drei Jahren, der ihr Leben veränderte. Den Tag, an dem ihre neunjährige Enkelin vergewaltigt wurde. Noch heute kommen ihr bei dem Gedanken die Tränen. Fartuun Adan sitzt ihr gegenüber, hört geduldig zu. Adan ist die Direktorin des Elman Peace and Human Rights Center in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, einer der wenigen Orte in dem zerfallenen Staat, an denen Frauen überhaupt über ihr Leid sprechen können. "Sie hat meine Hand gehalten und mich getröstet wie eine Mutter. Seitdem sind wir wie eine Familie", sagt die Frau. Adan nimmt sie in den Arm, beide weinen.

Fartuun Adan will den somalischen Frauen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen Foto: Adrian Kriesch
Fartuun Adan will den somalischen Frauen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfenBild: DW/A. Kriesch

1991 gründete Adan mit ihrem Ehemann die Frauenrechtsorganisation. Im selben Jahr wurde Somalias Diktator Siad Barre gestürzt. Ein brutaler Bürgerkrieg brach aus, der bis heute andauert. 1996 wurde Adans Mann ermordet und sie floh mit ihren Töchtern nach Kanada. 2007 kehrte sie trotz andauernder Konflikte nach Mogadischu zurück, um sich weiter für somalische Frauen einzusetzen, die Leid erfahren haben.

Vergewaltigungen als gesellschaftliches Tabu

Sexuelle Gewalt sei in der muslimisch-geprägten somalischen Gesellschaft ein Tabu, über das nicht gesprochen werde, erzählt Adan. "Jahrelang haben es somalische Männer geleugnet, dass es hier überhaupt Vergewaltigungen gibt." Ihre Mitarbeiter und sie leisten Aufklärungsarbeit und haben mehrere Häuser als Anlaufstellen für Frauen eröffnet. Hier können sie nicht nur mit Psychologen über ihre traumatisierenden Erfahrungen sprechen, sondern können auch Workshops besuchen, die ihnen berufliche Perspektiven geben. Im Hinterhof lernen Frauen, wie man Kleidungsstücke färbt. Drinnen übt eine andere Gruppe Körperbemalungen mit Henna für Hochzeiten.

"Es ist wichtig, Frauen mehr Selbstbestimmung zu geben", sagt Adan, während sie die jungen Frauen beim Henna-Workshop beobachtet. "Dann sehen sie, dass sie selbst Geld verdienen können und nicht von einem Mann abhängig sein müssen. Dieses Selbstbewusstsein verändert ihr Leben."

Berufliche Perspektiven durch Workshops: ein Henna-Kurs im Eman Center Foto: Adrian Kriesch
Berufliche Perspektiven durch Workshops: ein Henna-Kurs im Eman CenterBild: DW/A. Kriesch

Arbeit unter Lebensgefahr

Adans Tochter Ilwad Elman steht neben ihr und nickt. Die 24-Jährige ist nach ihrem Studium nach Somalia zurückgekehrt, hat ihr komfortables Leben in Kanada gegen die ständige Gefahr in Mogadischu getauscht, offenes Haar gegen Kopftuch. Hier muss sie sich gut überlegen, wann sie aus dem Haus geht, auf welcher Straße sie sich bewegen kann. Regelmäßig verübt die islamistische Terrorgruppe Al-Shabaab Anschläge, ermordet gezielt ihre Gegner. Dazu gehören auch Menschenrechtler.

"In meinem Alter hatte meine Mutter schon meine Geschwister und mich zur Welt gebracht. Sie hatte bereits ein Leben im Flüchtlingslager hinter ihr. Sie hatte bereits ihren Ehemann verloren. Sie musste in ein neues Land gehen, eine neue Sprache lernen, arbeiten. Und sie hat es trotzdem geschafft, gut für uns zu sorgen", erzählt Ilwad Elman. "Dann hat sie das alles hinter sich gelassen und ist zurück nach Somalia gegangen." Ihre Mutter ist Ilwad Elmans großes Vorbild, nicht nur wegen ihres unerschrockenen Einsatzes für Somalias Frauen: "Sie ist einer der verständnisvollsten und geduldigsten Menschen, die ich kenne."

Ilwad Elman Foto: Adrian Kriesch
Folgt dem Weg der Mutter: Ilwad ElmanBild: DW/A. Kriesch

Traum von Gerechtigkeit

Geduld ist eine wichtige Eigenschaft im krisengeschüttelten Somalia. Ständig hat Adan neue Ansprechpartner in Übergangsregierungen, weil die Vorgänger aufgrund politischer Machtspielchen oder Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans ihren Hut nehmen mussten - oder von Terroristen ermordet wurden. Mit dem Menschenrechtspreis will die Friedrich-Ebert-Stiftung nun "ihr langjähriges und beharrliches Engagement für Frauenrechte in einer durch Jahrzehnte des Bürgerkriegs geprägten Gesellschaft ehren".

Trotz all der Leidensgeschichten, die Adan täglich hört, hat sie sich einen Traum erhalten: Gerechtigkeit. "Frauen müssen wissen: wenn ihnen etwas zustößt, haben sie ihre Rechte", so die Menschenrechtlerin. Es sei das Schweigen, das somalische Frauen erdrücke. Nur selten zeigten sie ihre wahren Gefühle. "Dieses Vertrauen, sagen zu können: Mir ist das passiert, aber es wird nicht meiner Tochter passieren, es wird mir nicht mehr passieren, es wird keiner anderen Frau mehr passieren. Dieses Vertrauen in Gerechtigkeit und in eine funktionierende Regierung. Das will ich noch erleben."