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Scholz am Golf: Sternstunde der Autokraten

Mudhoon Loay Kommentarbild App
Loay Mudhoon
25. September 2022

Die Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz in die Golfregion macht deutlich, wie sehr Deutschland eine kohärente Politik gegenüber den selbstbewusst auftretenden Monarchen benötigt, meint Loay Mudhoon.

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Bundeskanzler Olaf Scholz reist in die Golf-Region
Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Schon vor Beginn des ersten Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in die Golfregion war die Bundesregierung bemüht, die Erwartungen an die Reise spürbar zu dämpfen. Die Reise des deutschen Regierungschefs nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Katar - ins neue Epizentrum der globalen Energiepolitik also - solle nicht zu "einer reinen Energie-Einkaufstour" werden, hieß es aus Regierungskreisen in Berlin. 

Doch diese wohl begründete Vorsicht kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung unter massivem Erfolgsdruck steht. Denn die deutsche Wirtschaft braucht dringend zuverlässige und günstige Alternativen zu den Gas- und Ölimporten aus Russland, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ausgefallen sind. Die Golfstaaten verfügen über diese Ressourcen, ihre jungen Emire und Prinzen wissen um ihre schlagartig gestiegene Bedeutung - und sie treten dementsprechend zunehmend selbstbewusst auf.

Neues Epizentrum der Weltpolitik

Dieses neue Bewusstsein verkörpert der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman, kurz MBS, wie zurzeit kein anderer Staatsmann im Nahen und Mittleren Osten. Der faktische Alleinherrscher in Riad empfindet seine Rehabilitation gewiss als Genugtuung nach Jahren der internationalen Isolation und der Ächtung, nachdem die US-amerikanischen und türkischen Geheimdienste ihn für den abscheulichen Mord an dem renommierten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich gemacht hatten.

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Loay Mudhoon leitet das Dialogportal qantara.de

Doch angesichts der neuen geopolitischen Realitäten mit dem Ukrainekrieg dürfte es dem machtbewussten und autoritär-rücksichtslos agierenden MBS nicht nur um persönliche Anerkennung gehen, sondern vielmehr darum, dass Saudia-Arabien unter seiner Führung als tonangebende Führungsmacht in einer neuen, pluralen Weltordnung ernst genommen wird.

Übrigens: Dass Saudia-Arabiens Kronprinz zweifelsohne zum gefragten Staatsmann auf der globalen Bühne avanciert ist, belegen zahlreiche Besuche westlicher Politiker in Riad. Auch US-Präsident Joe Biden und der britische Ex-Premier Boris Johnson haben das Herzland des Islam in diesem Jahr bereits besucht. Der französische Präsident Emmanuel Macron empfing MBS im Juli im Elysée-Palast.

Deshalb ist es wichtig, dass der gestrige Handschlag zwischen Scholz und Muhammad bin Salman nun auch die Eiszeit zwischen Deutschland und Saudi-Arabien beendet. Die Bundesrepublik ist zurzeit schlicht auf solide und funktionierende Arbeitsbeziehung zu Riad angewiesen. Der Hinweis darauf, es seien schwierige Partner, auf die man am Golf treffe, überzeugt wenig, denn Autokratien waren in Wahrheit nie einfache Partner.

Neue Golfpolitik nötig

Keine Frage, die Bundesregierung möchte Energie-Kooperationen mit Riad, Abu Dhabi und Doha entwickeln - je schneller, desto besser. Das Ziel ist klar definiert: die deutsche Energieversorgung weiter diversifizieren und Abhängigkeit von einem Partner verhindern. Das ist eine schmerzhafte, aber notwendige Lektion aus der verfehlten Russland-Politik der letzten 20 Jahren.

Allerdings reicht es nicht aus, diese Notwendigkeit einzusehen, um überzeugende und vor allem nachhaltige Antworten auf die energiepolitischen Herausforderungen der nahen Zukunft zu liefern. Vielmehr ist es nötig, eine neue, deutsche Golfpolitik zu formulieren. Dabei liegt das Zauberwort auf der Hand: Diversifizierung. Schließlich befindet sich nicht nur Deutschland, sondern auch alle Golfstaaten, allen voran das Schwergewicht Saudi-Arabien, auf Partnersuche! 

Genau hier sollte eine neue deutsche Politik gegenüber den Golfmonarchien ansetzen: Alle Golfstaaten benötigen nämlich deutsches Know-how, nicht nur bei der Diversifizierung der eigenen Wirtschaftssysteme, auch bei der Realisierung von gigantischen Modernisierungsprojekten sind sie auf westliche Technologien angewiesen. Als zielführend dürfte sich dabei das klare Bekenntnis zu den eigenen ökonomischen Interessen erweisen. Dies muss freilich nicht unbedingt im Widerspruch zur notwendigen Suche nach gemeinsamen Interessen und zum deutschen "Einsatz für eine regelbasierte internationale Ordnung" stehen. Es wirkt schlicht glaubwürdiger als die üblichen, frommen Sonntagsreden, die in den europäischen Hauptstädten über Menschenrechte gehalten werden.