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Von der Freude am Kampf gegen den Klimawandel

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Jens Thurau
12. Januar 2022

Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck legt vor: Seine Pläne sollen für neuen Schwung bei der Energiewende sorgen. Und sie machen Lust auf politische Kontroversen nach der lähmenden Pandemie, meint Jens Thurau.

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Robert Habeck auf dem Podium der Bundespressekonferenz in Berlin mit einer Grafik über die Treibhausgasemissionen in Deutschland. Mit dem Finger zeigt er auf die Null: "Da müssen wir hin"
"Da müssen wir hin" - Null Treibhausgasemissionen will Robert Habeck erreichenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Man kann in Deutschland gegenwärtig den Eindruck gewinnen, dass die Pandemie den Gestaltungswillen der handelnden Politiker lähmt. Nichts ist wichtiger als Impfkampagnen, Verbote, Masken und Abstand. Und es ist ja auch wichtig, die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen.

Der neue grüne Minister für Wirtschaft und Klima, Robert Habeck, traut sich dennoch schon jetzt, sein großes Thema in den Mittelpunkt zu stellen: die Minderung der Treibhausgase. Mit allen Mitteln, mit - wie er selbst sagt - "mega-ambitionierten" Maßnahmen. Jetzt hat Habeck in Berlin die ersten Schritte im Klimaschutz vorgestellt. Wenn nur ein Bruchteil davon umgesetzt wird, kann man getrost von einem Komplettumbau wichtiger Infrastruktur- und Wirtschaftsbereiche des Landes sprechen. Und das in Rekordzeit.

Er meint es ernst

Vervielfachung der Zahl von Windrädern und Solaranlagen. Umbau der Industrie weg von der Kohle hin zum Wasserstoff als Energieträger. 15 Millionen Elektroautos bis 2030. Vorrang des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, auch vor Interessen des Arten- und Waldschutzes. Nur einige der vielen Zahlen, die Habeck den Journalisten in die Blöcke zitiert: In den vergangenen 30 Jahren ist der Anteil der Erneuerbaren Energien von Null auf zurzeit 42 Prozent an der Stromerzeugung gewachsen. Den gleichen Zuwachs will Habeck nun noch einmal schaffen - bis 2030. Also in acht Jahren. Statt 30.000 Windrädern wie jetzt sollen sich dann rund 100.000 Räder drehen. Die dafür benötigte Fläche soll vervierfacht werden.  

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

In den Jahren als Chef der Grünen in der Opposition und als häufiger Talk-Show-Gast haftete Habeck immer so etwas wie das Image eines grübelnden Professors an - zweifelnd an sich und seinen Thesen. Davon ist nichts mehr zu spüren. Habeck meint es erst mit dem Klimaschutz und will handeln. Er hält sich nicht lange auf mit dem Blick zurück in die Zeiten der Regierung Merkel, in der die Klimagase in Deutschland zuletzt wieder angestiegen waren, bis die Pandemie die Wirtschaft abwürgte.

Der Blick ausschließlich nach vorne ist klug, denn Habeck weiß, dass der Riesen-Umbau des Landes nur gelingen kann, wenn möglichst viele Bürger, Unternehmer und Kommunalvertreter mitmachen. Auch solche, die CDU oder CSU angehören. Habeck weiß: Allein mit seinen Grünen im Rücken, die bei der Bundestagswahl nur rund 15 Prozent der Stimmen bekamen, braucht er ein Projekt von solch einer Größenordnung gar nicht erst zu starten. Und mit schlechter Laune auch nicht. Habeck versprüht geradezu Lust auf den Kampf gegen den Klimawandel.

Kritik von allen Seiten

Und er mutet auch der eigenen Klientel Einiges zu: Von "überragendem öffentlichen Interesse" sei das Kernstück seiner Pläne, der Ausbau von Wind - und Solaranlagen. Wichtiger auch als etwa der Schutz des Waldes? Sollen auf gerodeten Flächen Windanlagen gebaut werden oder ist es nicht doch besser, neu aufzuforsten? Für Habeck ist das klar: Was nutzt es, sagt er, wenn der Klimawandel den Wald am Ende zerstört? Dann lieber jetzt Windanlagen errichten. Auch Robert Habeck ist ein Industriepolitiker - nur eben ein grüner. Er muss sich auf jede Menge Kritik einstellen, von allen Seiten.  

Von einem neuen Verhältnis zwischen Stadt und Land spricht er, wenn überall in der Provinz demnächst noch mehr Energie vor allem für die Menschen in den Städten erzeugt wird. Das mag stimmen, aber hier liegt einer der möglichen Fallstricke für Habecks kühne Pläne: Momentan sind Windanlagen in vielen Bundesländern nicht sehr beliebt, und Habeck könnte sich überschätzen, wenn er sagt, dass er möglichst viele Regionen persönlich besuchen will, um die Menschen zu überzeugen. Proteste gegen Windanlagen werden nicht nur von Rechtspopulisten, auch von vielen Naturschützern erhoben.

Spannende Zeiten

Habeck spricht auch davon, mit einem neuen Umgangston beim Thema Klimaschutz Solidarität in der Gesellschaft erzeugen zu wollen. Das klingt ziemlich naiv, wenn man etwa weiß, dass zum Beispiel im Osten des Landes sich die Rechtspopulisten schon jetzt darauf einrichten, nach der Pandemie mit dem Nein zum Klimaschutz Stimmen zu sammeln. Und dabei sicher Erfolg haben werden.

Ein weiteres Problem könnte der Fachkräftemangel in Deutschland sein: Moderne Wind- und Solaranlagen brauchen Experten für Bau und Wartung. Im Moment sind die schwer zu finden. Und ebenfalls eine große mögliche Schwäche ist Habecks Tempo. Alles soll gleichzeitig passieren, alles bis 2030. Also parallel und damit teuer. 

Aber dennoch: Wenn die Pandemie mit all ihren Zumutungen vorbei oder zumindest so gemildert ist, dass die Menschen wieder nach vorne blicken, dann gibt es ein Mega-Projekt, über das sie leidenschaftlich diskutieren können und hoffentlich zu einer Lösung führen. Robert Habeck macht keinen Hehl daraus, dass er die neue Energiewende mit vollem Einsatz betreiben wird und Zumutungen nicht ausschließt. Und er weiß, dass er ein hohes Risiko eingeht. Es können spannende politische Zeiten in Deutschland werden nach Corona.