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Politik

Eine unverantwortliche Entscheidung

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Ines Pohl
17. November 2020

Trumps Plan, die Truppenstärke der US-Soldaten in Afghanistan und Irak bis Mitte Januar auf jeweils 2500 zu reduzieren, ist ein Schlag ins Gesicht der Verbündeten und stärkt extremistische Kräfte, kommentiert Ines Pohl.

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Afghanistan 2017 | Operation Resolute Support | US-Armee
Bild: picture-alliance/AP Photo/Operation Resolute Support Headquarters/Sgt. Justin T. Updegraff

Die Hoffnungen, dass die unberechenbare und egoistische Regierung Donald Trumps mit dem eindeutigen Sieg Joe Bidens zu einem Ende gekommen ist, wurden jetzt ein weiteres Mal zunichte gemacht. Neun Wochen sitzt der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten noch an den Schalthebeln der Macht. Und er ist willens, seine Macht bis zu den letzten Stunden zu nutzen.

Das belegt seine Ankündigung, die US-Truppenstärke in Afghanistan von geschätzt 4500 auf 2500 zu senken - und im Irak von etwa 3000 auf 2500. Und zwar bis zum 15. Januar. Das sind nur fünf Tage, bevor er den Stab an seinen Nachfolger Joe Biden übergeben muss.

Diese verantwortungslose, überhastete Entscheidung wiegt schwer. Zunächst muss es um die betroffenen Menschen in den beiden Ländern gehen.

Die Kriege wurden ohne durchdachte Strategien angezettelt. Im Irak war es die falsche Behauptung, das Land verfüge über Massenvernichtungswaffen. In Afghanistan marschierten die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ein. Gemeinsam mit der NATO und weiteren Verbündeten. Die US-geführte Intervention ergriff Partei in einem aktiven Konflikt, ohne eine klare Strategie zu haben.

US-Truppen bieten gewisse Berechenbarkeit

Die jahrzehntelangen Kriege haben in beiden Ländern tiefe Wunden hinterlassen. Stabile Staaten, die ihre Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt schützen können, gibt es weder in Afghanistan noch im Irak. Die aktuelle Situation ist in vielerlei Hinsicht absolut unbefriedigend. Daran besteht kein Zweifel.

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Ines Pohl, Leiterin des DW-Studios in WashingtonBild: DW/P. Böll

Und doch gewährt die Präsenz der US-Truppen eine gewisse Berechenbarkeit. In Afghanistan sind sie ein Druckmittel in den stockenden Friedensgesprächen mit den Taliban. Ziehen die Amerikaner jetzt ungeordnet ab, werden radikalen Kräften Tür und Tor geöffnet.

Im Irak war zu sehen, wie sehr das in die Hände des IS gespielt hat. Auch Syrien ist ein Beleg, dass das entstehende Machtvakuum von anderen Kräften gefüllt wird, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Das ist gefährlich für die Weltgemeinschaft. Und tödlich für alle Afghaninnen und Afghanen, die heute für einen demokratischen Staat kämpfen, der Menschenrechte wertschätzt.

Keine Zukunft für die NATO

Trumps unkoordinierter Rückzug ist auch ein Schlag ins Gesicht internationaler Verbündeter. Allen voran der NATO, die nach dem 11. September zum ersten Mal den Bündnisfall ausrief, um den USA beizustehen. Und jetzt bricht ausgerechnet der US-Präsident die eiserne Regel: zusammen rein, zusammen raus. Die NATO-Partner sind im Afghanistan-Einsatz zwingend auf die logistische Unterstützung der USA angewiesen.

Ich finde es richtig, dass Donald Trump Europa und explizit Deutschland dazu gezwungen hat, mehr Geld für das Verteidigungsbündnis auszugeben und auch die eigenen militärischen Fähigkeiten auszubauen. Kurzfristig komplexe Vereinbarungen wie die gemeinsame militärische Präsenz in Afghanistan drastisch zu kürzen, ist aber etwas ganz anderes. Wenn das wichtigste Mitgliedsland sich an keine Vereinbarungen hält, hat das Bündnis keine Zukunft.

Schweres Erbe für Joe Biden

Trump zieht die Truppen gegen den Rat seiner Generäle und führender Republikaner zurück. So einen Schritt wieder rückgängig zu machen, wird Joe Biden viel Kraft kosten.

Und bis zum 20. Januar kann noch mehr passieren.

Mit der Ankündigung des ungeordneten Truppenrückzugs besteht kein Zweifel mehr, dass Donald Trump sprichwörtlich bereit ist, über Leichen zu gehen, um seine Anhänger bei Laune zu halten und an sich zu binden, weit über diese Amtszeit hinaus.

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Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl