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PolitikEuropa

Zurück in die Barbarei?

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
26. Februar 2022

In der Ukraine steht nicht nur das Schicksal des zweitgrößten Staates Europas auf dem Spiel. Europa muss jetzt wieder begreifen, dass es Freiheit nicht zum Nulltarif gibt, meint Miodrag Soric.

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Ukraine Region Donezk Archivbild 22.2.2022 | Panzer
Bild: ALEXANDER ERMOCHENKO/REUTERS

Putin muss seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine schnell gewinnen. Nicht, weil er ein Gewissen oder Skrupel hätte. Vielmehr lassen Särge junger Russen, die im Kampf gegen ein orthodoxes Brudervolk ums Leben kamen, Zweifel an der staatlich gelenkten Propaganda von einem Verteidigungskrieg aufkommen. 

Bald beginnt auch in Osteuropa die vorösterliche Fastenzeit, die der Ex-KGB-Mann nutzen will, um sich mit Kerze in der Hand als frommer Christ zu präsentieren. Das passt aber so gar nicht zu den Bildern getöteter Frauen, Kinder und Männer, die durch den Angriff von Russlands Armee in diesen Tagen sterben.

Die Ukrainer werden nicht aufgeben

Doch dieser Krieg wird nicht schnell vorbei sein. Selbst wenn sie mit Molotow-Cocktails und ihren bloßen Händen kämpfen müssen - die Ukrainer werden nicht aufgeben! Das russische Volk hat zu sowjetischen Zeiten große Leidensfähigkeit bewiesen und Mut im Zweiten Weltkrieg. Doch die Ukrainer stehen den Russen in nichts nach. Sie haben zudem einen moralischen Vorteil: Sie verteidigen IHR Land, IHRE Familien, IHR Leben. Die russischen Soldaten hingegen kommen als Angreifer, als Besatzer, als Brudermörder.

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Miodrag Soric ist Chefkorrespondent der DW

Für den so zögerlichen Westen gilt: Bislang gab es keine Feindschaft mit Russland. Im Gegenteil: Wir haben Handel getrieben, in Politik, Kultur und Wissenschaft kooperiert. Millionen Russen kamen als Touristen nach Spanien, in die Türkei oder nach Griechenland - dorthin, wo auch Westeuropäer ihren Urlaub verbringen. Genau deshalb konnte sich im Westen kaum jemand vorstellen, dass Putin solch ein Verbrechen begeht und die Russen diesem Wahnsinn folgen.

Ja, Putin hat Recht: Die Europäer sind schlecht gerüstet. Sie haben ihr Leben im Wohlstand als selbstverständlich hingenommen. Doch das ändert sich gerade. Denn jeder freiheits- und friedliebende Europäer empfindet dieses Verbrechen an der Ukrainern als Angriff auf sich. Alle sehen, dass Putin lügt, wenn er den Mund aufmacht, sich an keine Verträge und internationale Regeln hält.

Frieden und Freiheit nicht zum Nulltarif

Plötzlich verstehen viele in Deutschland deutlicher als ihnen lieb ist, dass nur die USA ihre Sicherheit garantieren. Und sind dankbar dafür. Doch kann einer Mutter in Mississippi zugemutet werden, ihre Kinder für die Sicherheit Europas eintreten zu lassen, wenn die Mutter in Berlin dazu nicht bereit ist? Deutschland muss jetzt aufwachen und begreifen: Der Frieden, die Freiheit und unsere Demokratie sind nicht zu Nulltarif zu haben.

Menschen kauern mit Kindern, Haustieren und Koffern auf dem Boden einer Metro-Station in Kiew
Menschen in Kiew suchen Schutz in Metro-StationenBild: Viacheslav Ratynskyi/AA/picture alliance

Die Bereitschaft, die Bundeswehr wieder einsatzfähig zu machen und die NATO zu stärken, wächst mit jedem Bild weinender Frauen und Kinder in Kiewer U-Bahnhöfen, die dort Schutz vor russischen Bomben suchen. Die Europäer werden bereit sein Opfer zu bringen für ihre Werte. Und sie werden der Kriegserklärung Russlands an die europäische Friedensordnung die Stirn bieten. 

Putin lügt

Die Aussichten der zivilisierten Welt, diesen Kampf zu gewinnen, sind gut. Putin mag zwar versuchen, seinen Landsleuten und der Welt weiszumachen, dass Russland stark ist. Doch auch das ist eine Lüge. Die Moral der Russen ist dann groß, wenn sie wissen, dass sie für das Gute einstehen. Sie werden aber trotz der staatlich gelenkten Presse immer mehr spüren, dass ihr Krieg gegen das ukrainische Brudervolk ein Verbrechen ist.

Außerdem ist Russland auch wirtschaftlich schwach, weil Putin unfähig ist, sein Land zu modernisieren. Die gegenwärtige politische Klasse ist noch korrupter als zu Breschnews Zeiten. Und Putin duldet in seiner Umgebung nur Ja-Sager, die er dann auch noch vor laufenden Kameras demütigt.

Wirtschaftssanktionen und deutlich höhere Verteidigungsausgaben allein werden nicht ausreichen, um die Auseinandersetzung mit dem Diktator zu gewinnen. Russlands verbrecherische Elite muss isoliert und die diplomatischen Beziehungen auf ein Minimum heruntergefahren werden.

China schaut genau hin

Doch vor allem die jungen Russen darf der Westen nicht aussperren. Die deutsche und amerikanische Wirtschaft sucht verzweifelt Hunderttausende Fachkräfte. Wer aus Russland auswandern möchte, um im Westen in einer sicheren Umgebung ein normales Leben zu führen, muss willkommen sein. Denn klar ist: Russlands Krieg gegen die Ukraine und der neue Rüstungswettlauf mit dem Westen werden viel Geld kosten. Putin wird seine Herrschaft nur fortsetzen können, wenn er Russland in ein großes Gefängnis verwandelt - so wie China. 

Was übrigens ein weiterer Grund ist, weshalb die freiheitsliebende Zivilisation diese Auseinandersetzung gewinnen muss: Peking verfolgt genau, was in der Ukraine passiert. Wenn Putin Erfolg haben sollte, wird China Taiwan angreifen, und irgendwann auch andere Staaten. Dann gilt überall in der Welt nur noch das Recht des Stärkeren. Die Menschheit würde zurückfallen in die Barbarei. Doch soweit muss es nicht kommen, wenn wir ab sofort wieder bereit sind, auch Opfer für unsere Freiheit zu bringen.

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