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Politik

Patente sind nicht das Problem

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
7. Mai 2021

Der Kurswechsel der USA beim Patentschutz für COVID-19-Impfstoffe hat in Europa ein geteiltes Echo ausgelöst. Doch diese Diskussion führt nicht zu mehr Serum, sondern nur in die Irre, meint Bernd Riegert.

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Symbolbild | Erfindung | Erfinder | Idee
Der Schutz geistigen Eigentums sei entscheidend für innovative Forschung, so Kritiker der Freigabe von PatentenBild: imago/Ikon Images/R. Scott

Patente der Impfstoff-Hersteller aufheben! Die Welt schneller gegen COVID-19 impfen! - das sind die populären Forderungen, die in der Welthandelsorganisation (WTO) schon seit Oktober von 100 Staaten gestellt werden. Warum sich US-Präsident Joe Biden diesem viel zu simplen Rezept jetzt angeschlossen hat, ist nicht ganz klar. Er hat seinen Meinungswandel nicht begründet, schon gar nicht offiziell gegenüber den europäischen Partnern in der EU. Vielleicht ist es einfach nur Populismus. 

Denn das Problem der knappen Impfstoffe ist leider komplexer als die Behauptung vieler Regierungen und Hilfsorganisationen, dass man nur der angeblich so profitgierigen Pharma-Industrie ihr Wissen abnehmen müsse. Zum einen gibt es nicht das EINE Patent auf DEN Impfstoff. Die Firmen haben, wenn überhaupt, Verfahren schützen lassen. Die Herstellung jedes einzelnen COVID-19-Impfstoffes stützt sich auf mehrere Patente, die von unterschiedlichen Firmen gehalten werden oder beantragt wurden. Zum anderen ist nicht das Rezept entscheidend, sondern das Know-how, wie man den Impfstoff konkret produziert. Dazu müssen die Impfstoffhersteller Lizenzen vergeben, Produktionsstätten ausrüsten und Personal ausbilden. Darüber kann die Welthandelsorganisation in Genf natürlich beraten.

Kein einfaches Rezept

Die Lizenzierung und die Kooperation von Entwicklern und Herstellern bei den Impfstoffen gibt es schon längst. Nach Angaben der EU haben die Pharmaunternehmen weltweit 200 entsprechende Abkommen über Technologie-Transfers längst geschlossen. Der Schutz geistigen Eigentums ist nicht das Problem, sondern der Mangel an ausreichend großen Produktionsanlagen, die vielerorts derzeit im Aufbau sind. Einem Generika-Hersteller in Indien oder Südafrika den Bauplan für einen Impfstoff in die Hand zu drücken, bringt kurzfristig erst einmal gar nichts. Zumindest den akuten Mangel an Impfstoff etwa in Indien wird man so nicht in den Griff bekommen.

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DW-Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Ein auf Gentechnik basierender Impfstoff wie der von BioNTech/Pfizer hat über 300 Komponenten, die in 20 verschiedenen Ländern als Vorprodukte hergestellt werden. Diese Impfstoffe sind, genauso wie die Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca oder Johnson&Johnson, komplizierte biologische Produkte, die sich nicht so einfach wie eine aus Chemikalien bestehende Schmerztablette als Generikum nachbauen lassen.

Die EU-Kommission ist bereit, über Patente und Lizenzen zu sprechen, aber bisher gibt es keinen Beweis, dass der Schutz geistigen Eigentums die Herstellung der Impfstoffe verzögert. Das ist zumindest der Befund der WTO. Die Hersteller selbst sagen ebenfalls, dass die Patente nicht das Problem sind und sich bei deren Freigabe an der Produktion im Augenblick nichts ändern würde. Deshalb ist es richtig, dass auch die Bundesregierung die platte und pauschale Forderung aus Washington nicht einfach übernimmt. Denn mangelnder Schutz der eigenen Leistung könnte dazu führen, dass sich weniger Firmen an den aufwändigen Entwicklungen neuer Impfstoffe beteiligen. Aber wir brauchen BioNTech, Moderna, AstraZeneca und Co. dringend, um schon im Herbst die vermutlich notwendigen Auffrischungsimpfungen gegen Mutationen auf den Markt zu bringen.

Der Aufbau läuft bereits

Die EU hat übrigens in ihre Verträge zur Forschungsförderung bei Pharmaunternehmen hineingeschrieben, dass die mit öffentlichem Geld finanzierten Erkenntnisse offen für alle publiziert werden müssen. Da existiert also gar kein Patent, das man abschaffen müsste.

Der Aufbau der Produktionsstätten läuft bereits. In diesem Jahr sollen rund neun Milliarden Impfdosen produziert werden. Der Bedarf liegt aber bei rund 11,5 Milliarden. Die EU, die USA, Indien und andere Länder mit großen Pharma-Unternehmen sollten also auf einen noch schnelleren Ausbau hinarbeiten, Investitionen fördern und den Herstellern helfen, anstatt jetzt politische Knüppel aus dem Sack zu holen.

Wer teilt seinen Impfstoff?

Helfen könnten zum Beispiel die USA, Großbritannien und auch Indien, wenn sie Vorprodukte für die Impfstoff-Produktion nicht horten oder mit Exportverboten belegen würden. Die Lieferketten quer über die Kontinente sind aktuell ein riesiges Problem. Die EU versucht ihre Hände in Unschuld zu waschen und verweist auf ihr uneigennütziges Handeln: Aus der EU wurden bislang 200 Millionen Impfdosen nach Asien und Afrika exportiert. Wollte auch US-Präsident Biden kurzfristig helfen, könnte er endlich auch Exporte von Corona-Impfstoffen aus den USA zulassen.

Wenn wir wollen, dass ärmere Länder schnell mehr Impfstoff erhalten, müssen wir die knappen Impfstoffe, die wir heute haben, ganz einfach teilen. Ob das in Deutschland, Europa oder den USA gegenüber der Bevölkerung durchsetzbar ist, darf stark bezweifelt werden. Da sind simple Rezepte und die Forderung nach dem Aussetzen von wenig relevanten Patenten sehr viel einfacher. Aber leider auch wirkungslos.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union