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Gesellschaft

Katholische Kirche hat ihr Vertrauen verspielt

Melina Grundmann I Autorenbild
Melina Grundmann
18. März 2021

Das Erzbistum Köln hat sein lang erwartetes neues Gutachten zum sexuellen Missbrauch durch Priester vorgelegt und direkt personelle Konsequenzen gezogen. Aber all das kommt viel zu spät, meint Melina Grundmann.

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Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, mit grimmigem Blick vor einem unscharfen Kruzifix
Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, wird selbst kein Fehlverhalten vorgeworfenBild: Marcel Kusch/dpa/picture alliance

Wenn man das Amtsgericht in Köln betritt, kann man sie nicht übersehen: Überall kleine Zettelchen, die den Weg zum Kirchenaustritt beschildern. Zimmer 47. Stempel drauf und draußen ist man. Wenn man es denn geschafft hat, einen Termin zu ergattern.

Seit Wochen geben sich hier Leute die Klinke in die Hand, sie alle wollen aus der Kirche austreten. In den vergangenen Monaten hat die Zahl der Kirchenaustritte in Köln auf das ganze Jahr gerechnet um 70 Prozent zu genommen.

Die katholische Kirche steckt in der Krise

Dass Mitgliederzahlen schwinden ist zwar nichts neues, doch der Umgang des Erzbistums Köln mit der Aufklärung seiner Missbrauchsfälle hat diese Entwicklung gerade zu befeuert. An der Spitze des sehr wohlhabenden und im Vatikan daher einflussreichen Erzbistums: ein Mann mit runder Brille und ernstem Blick, Kardinal Rainer Maria Woelki.

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DW-Redakteurin Melina GrundmannBild: privat

Woelki hatte zu Beginn seiner Amtszeit als Erzbischof von Köln mit großen Worten versprochen, für Aufklärung zu sorgen, Verantwortliche zu benennen und Konsequenzen zu ziehen. Doch dann hielt er überraschend ein in Auftrag gegebenes Gutachten, das vor knapp einem Jahr hätte veröffentlicht werden sollen, geheim. Die Begründung: Es sei nicht gerichtsfest.

Das löste Empörung aus, allen voran bei den von Missbrauch Betroffenen, aber im Laufe der Zeit auch im breiten Kirchenvolk. Sollen hier Taten vertuscht, Schuldige beschützt werden? Hat vielleicht sogar Woelki selbst Dreck am Stecken? Dass Vertuschung innerhalb des Systems Kirche kein Fremdwort ist, hatte schließlich schon die Vielzahl der im Jahr 2010 in Deutschland aufgedeckten Missbrauchsfälle gezeigt.

Ein neues Gutachten

Als Woelki dann ein neues Gutachten in Auftrag gab, hatte seine Glaubwürdigkeit bereits gelitten und so mancher mag daran gezweifelt haben, ob wohl dieses jemals veröffentlicht würde. Doch tatsächlich: Am Donnerstag war es nun soweit und es wurden insgesamt acht Verantwortliche klar benannt, einige von ihnen bereits tot. Für diejenigen, die noch leben und sogar noch in Ämtern sind, werden nun Konsequenzen folgen müssen. Darunter immerhin ein Kölner Weihbischof, der Leiter des Kirchengerichts im Erzbistum sowie ein früherer Generalvikar, der inzwischen Erzbischof von Hamburg ist.

Woelki selbst werden keine Pflichtverletzungen vorgeworfen. Laut des für das Gutachten verantwortlichen Anwalts sei das allerdings auch im vorherigen Gutachten schon der Fall gewesen - was Woelki selbst bereits lange gewusst haben soll. Warum dann dieser Wirbel, warum die Geheimhaltung des ersten Gutachtens? Die Frage steht immer noch im Raum. Bis heute weiß niemand so richtig, was "nicht gerichtsfest" überhaupt bedeuten soll. Und die meisten interessiert es auch nicht.

Woelki hat sich unglaubwürdig gemacht

Mit dem Vorgehen hat Woelki sich selbst, seinem Bistum und auch der gesamten katholischen Kirche in Deutschland geschadet. Er hat offensichtlich gemacht, welche eklatanten Mängel die Kirche im Willen um Aufklärung ihrer eignen Straftaten aufweist. Er hat sich selbst dadurch unglaubwürdig gemacht, dass er erst eine radikale Aufklärung versprach und dann ein Gutachten verheimlichte. 

Selbst wenn er wirklich nur gründlich sein wollte, hätte er zumindest das erste Gutachten zum angekündigten Zeitpunkt veröffentlichen müssen - dann eben mit dem Hinweis auf mögliche Mängel und ein neues Gutachten. 

Deutschland Gutachten Missbrauchsvorwürfe Erzbistum zu Köln
Am Tag der Veröffentlichung kam es zu Protesten vor dem Kölner DomBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Erstmals personelle Konsequenzen

Immerhin, das neue Gutachten ist jetzt da, und es kam mit einem großen Wumms. Als erste Konsequenz ließ Woelki, der das Gutachten selbst angeblich vorher nicht kannte, unmittelbar im Anschluss einen seiner Weihbischöfe und den Leiter des Kirchengerichts in Köln von ihren Aufgaben entbinden - bisher beispiellos in der katholischen Kirche Deutschland. Am Abend bot dann außerdem der ebenfalls durch das Gutachten beschuldigte Hamburger Erzbischof Stefan Heße dem Papst seinen Rücktritt an. Ob die drei genannten ihre Ämter auch tatsächlich verlieren, muss nun der Vatikan entscheiden. 

Dieser überraschend direkte Vollzug lässt zumindest hoffen, dass es Woelki doch tatsächlich ernst ist mit der Aufklärung. Das mächtige Kölner Erzbistum hat nun außerdem die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen, denn - was man ihm zugutehalten muss: Es ist das erste Erzbistum in Deutschland, das eine derart umfassende Aufarbeitung vollzieht. Und es wird bei weitem nicht das einzige sein, in dem es massive Pflichtverletzungen und Vertuschungen gegeben hat. Wichtig ist, dass jetzt endlich auch etwas passiert.

Der Schaden bleibt

Der heutige Tag mag die Gemüter in Köln und in ganz Deutschland zwar ein wenig besänftigen. Doch was nun folgen muss, ist umfassende Transparenz und vor allem eine unabhängige, schonungslose Aufarbeitung in ALLEN Bistümern und Ordensgemeinschaften. Das ist die Kirche den Betroffenen, sich selbst und auch der Öffentlichkeit schuldig.

Trotzdem kommt das alles viel zu spät. Die Aufdeckung zahlreicher Missbrauchsfälle durch Priester und Ordensleute - nicht nur im Erzbistum Köln, sondern über ganz Deutschland verteilt - liegt nun schon über zehn Jahre zurück. Der Schaden ist längst riesengroß, das Vertrauen in die Kirche ist zerstört und wird sich so schnell auch nicht wiederherstellen lassen.