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Politik

Mit leeren und lädierten Händen

6. Februar 2021

Der Neuanfang: krachend gescheitert. Die Europäische Union: blamiert. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht die Beziehungen zu Russland am Tiefpunkt. Doch der ist noch nicht erreicht, meint Christian F. Trippe.

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Pressekonferenz von Josep Borrell und Sergej Lawrow in Moskau (05.02.2021)
Außenpolitiker Borrell und Lawrow: Lehrstunde der Anmaßung und des ScheiternsBild: European Commission/dpa/picture alliance

Der Versuch, die Beziehungen der EU zur Russischen Föderation wieder in normale Bahnen zu lenken, darf als nachhaltig gescheitert gelten. Nicht anders ist zu bewerten, was bei dem Gespräch zwischen dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow herauskam.

Die Pressekonferenz der beiden geriet zu einer Lehrstunde der Anmaßung und des Scheiterns. Borrell wirkte dort zwischenzeitlich wie ein Schuljunge, in die Enge getrieben, schlecht vorbereitet. Sergej Lawrow ist dafür bekannt, seinen Verhandlungspartnern nichts zu schenken, diesmal beraubte er Borrell sogar seiner politischen Würde.

Die Europäische Union sei "unzuverlässig"; EU-Länder wie Deutschland und Frankreich benähmen sich "arrogant" gegenüber Russland und verweigerten wichtige Informationen zur Aufklärung des Falls Nawalny; in Spanien gebe es politisch motivierte Gerichtsurteile gegenüber den katalanischen Separatisten. Das ist nur ein Ausschnitt aus der Kaskade der Vorwürfe und der Lügen, die Lawrow auf Borrell niedergehen ließ. Borrell schwieg dazu. Er versuchte es stattdessen mit Freundlichkeit, wo nur ein kontrollierter Wutausbruch den Furor des Herrn Lawrow vielleicht hätte stoppen können.

Borells Höllenfahrt

Während die beiden auf offener Bühne der Pressekonferenz dieses traurige Stück darboten, machte das von Lawrow geleitete russische Außenministerium den Affront komplett. Drei Diplomaten aus EU-Ländern werden aus Russland ausgewiesen, weil sie sich angeblich an den Protesten gegen die Inhaftierung und Verurteilung von Kremlkritiker Alexej Nawalnys beteiligt haben. Die drei betroffenen Länder - Deutschland, Polen und Schweden - bestreiten das entschieden, und Josep Borrell gab seinen Protest - immerhin - schriftlich zu Protokoll.

Christian Trippe Leiter Hauptabteilung Osteuropa
Christian F. Trippe leitet die Osteuropa-Programme der Deutschen WelleBild: DW

Spätestens am Freitagnachmittag war also klar, dass Borrells Mission krachend gescheitert war. Aber zu diesem Zeitpunkt sollte der EU-Chefdiplomat ja noch einige Stunden in Moskau bleiben. Er musste doch irgendetwas tun, sich mit Vertretern des Nawalny-Lagers treffen oder aber in einen Auftritt in der russischen Öffentlichkeit die Dinge geradezurücken versuchen. Selbst ein vorzeitiger Rückflug wäre denkbar gewesen, und ein solcher Abbruch der Reise hätte gewiss ein Zeichen gesetzt.

Schon vor Borrells diplomatischer Höllenfahrt hatten skeptische Diplomaten gefragt, was eine solche Reise überhaupt ausrichten könne, ob nicht vielmehr Nawalnys Verurteilung Anlass genug sei, sie abzusagen? Besorgte Beobachter hatten daran erinnert, dass die Kreml-Führung am längeren Hebel sitze - ja, dass Borrell gar keinen Hebel habe und somit Gefahr laufe, vorgeführt zu werden. All das hat sich leider als allzu zutreffend erwiesen. Die Europäische Union steht nun vor dem vielleicht größten Scherbenhaufen ihrer noch jungen Diplomatiegeschichte.

Weitere Sanktionen unausweichlich

Das kann und wird nicht ohne Folgen bleiben, wenn die EU in ein paar Wochen ihre Strategie gegenüber Russland grundlegend bedenken will. Der Kreml jedenfalls will offenkundig keine Beziehungen zum Brüsseler Staatenbund, die auf den Prinzipien der Fairness und der Augenhöhe gründen. Also wird sich die EU schon aus Selbstachtung auf das beschränken müssen, was unwidersprochen und von beiden gewollt ist: Handel, Energielieferungen, Pandemie-Eindämmung, zivilgesellschaftliche Kontakte. Das ist nicht nichts, aber es bleibt natürlich weit hinter dem zurück, was möglich wäre.

Die Hand, die Josep Borrell so demonstrativ nach Moskau ausgestreckt hatte, wurde in Moskau regelrecht zurückgeschlagen. In der EU haben einige Regierungen zunächst gebremst, als über die Verhängung neuer Sanktionen wegen des Unrechtsurteils gegen Nawalny nachgedacht wurde. Nun, da Borrell mit leeren und lädierten Händen aus Moskau zurückkommt, sind weitere Sanktionen unausweichlich. Der Tiefpunkt ist also noch nicht erreicht.

Christian Trippe Leiter Hauptabteilung Osteuropa
Christian F. Trippe Leiter der DW-Abteilung Osteuropa