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Politik

Die hohen Hürden des Rechtsstaats

Kommentatorenporträt Hans Brandt
Hans Brandt
24. Oktober 2020

Der mutmaßliche Anschlag von Dresden sorgt für Diskussionen: Sollten ausländische Straftäter schnellstmöglich abgeschoben werden? Rechtsstaatliche Grundsätze dafür zu opfern, ist jedoch keine Lösung, meint Hans Brandt.

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Symbolbild I Abschiebung
Abschiebung (Symbolbild)Bild: Daniel Kubirski/picture-alliance

Nach der tödlichen Messerattacke in Dresden auf zwei Besucher aus dem Rheinland häufen sich die Rufe nach der sofortigen Abschiebung von polizeibekannten Gefährdern. Denn in diesem Fall wurde als mutmaßlicher Täter ein 20-jähriger Syrer festgenommen, der den Sicherheitsorganen seit Jahren als gewaltbereiter Islamist bekannt war - und sogar am Tag der Tat von den Behörden in Sachsen observiert wurde.

Dass ein solcher Mann - sollte er der Tat überführt werden - nicht frei herumlaufen darf und in Deutschland nicht willkommen ist, versteht sich von selbst. Damit ist zwar die Grundlage für eine Abschiebung gegeben - um sie tatsächlich auszuführen, müssen aber erhebliche juristische und praktische Hürden überwunden werden. Sie reichen von deutschen gesetzlichen Bestimmungen über Verfassungsgrundlagen bis hin zu internationalen Menschenrechtskonventionen und Vereinbarungen mit dem Herkunftsstaat eines Täters.

Abschiebestopp für Syrien

Für Syrien sind Abschiebungen aus Deutschland derzeit ausgeschlossen. Für das Bürgerkriegsland gilt schon seit 2012 ein völliger Abschiebestopp. Dieser wird alle sechs Monate von der Konferenz der Innenminister der Bundesländer erneuert. Das geschah zuletzt im Juni und steht im Dezember wieder auf der Tagesordnung. Grundlage für die Entscheidung ist ein als vertraulich eingestufter Lagebericht zu Syrien, der vom Auswärtigen Amt in Berlin erstellt wird. Bisher geht daraus hervor, dass die Zustände in Syrien so unsicher sind, dass eine Abschiebung unter keinen Umständen gerechtfertigt ist - auch nicht für schwerste Straftäter.

Wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer jetzt sagt, er werde "sehr dafür eintreten, dass wir überprüfen, ob man nicht nach Syrien in die befriedeten Gebiete abschieben kann", dann ist das eine Absichtserklärung, die davon ausgeht, dass das Auswärtige Amt seine Lagebeurteilung ändert. Das erscheint zurzeit unwahrscheinlich. Aber selbst wenn "befriedete Gebiete" in Syrien identifiziert werden sollten, hieße das noch nicht, dass Abschiebungen schnell möglich wären.

Vorbild Afghanistan?

In Afghanistan ist die Situation vergleichbar: Abgewiesene Asylbewerber werden bereits in "befriedete Gebiete" des Landes gebracht. Bis das möglich wurde, waren jahrelange Verhandlungen mit der afghanischen Regierung notwendig, der im Gegenzug Entwicklungsgelder zugesagt wurden. Für die Bundesregierung ist der politische Preis für das Abkommen nach wie vor erheblich: Die Kritik, etwa von Flüchtlingsorganisationen in Deutschland, dauert bis heute an.

Hans Brandt
DW-Hauptstadtkorrespondent Hans BrandtBild: DW/S. Kinkartz

Ein solches Abkommen mit Syrien, mit dem Regime von Diktator Bashar al-Assad, ist derzeit undenkbar. Die deutsche Botschaft in Damaskus ist geschlossen, die diplomatischen Beziehungen sind unterbrochen. Syrien kommt als Land für Abschiebungen nicht infrage, solange dort keine neue politische Ordnung gefunden ist.

Zudem sind Abschiebungen sogar in Länder, mit denen Abkommen bestehen, keineswegs selbstverständlich. Ein immer wieder zitiertes Beispiel ist Anis Amri, der Islamist, der im Dezember 2016 einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche steuerte und elf Menschen tötete. Amri war den Sicherheitsbehörden als Gefährder bekannt, er sollte längst in sein Heimatland Tunesien abgeschoben werden. Aber die tunesischen Behörden stellten ihm die notwendigen Papiere nicht aus. Amri blieb in Deutschland.

Ein hohes Gut steht auf dem Spiel

Man hätte Amri oder den mutmaßlichen Täter von Dresden auch nicht unbegrenzt in Abschiebehaft setzen können. Eine solche ist zwar vorgesehen, aber sie muss verhältnismäßig bleiben, muss den Grundsätzen der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechen. Und dieses Prozedere sollte auch niemals infrage gestellt werden. Denn es geht um ein hohes Gut, das allen Menschen in Deutschland zuteilwird, egal woher sie stammen: Es geht um den Rechtsstaat. Aus gutem Grund haben hierzulande auch überführte Mörder Rechte, die sie vor Gericht durchsetzen können. Das macht den Prozess der Abschiebung in Deutschland so aufwendig und langwierig.

Dennoch ist es keine Alternative, Verfassungsgrundsätze aufzugeben, um einzelne islamistische Gewalttäter loszuwerden. Das würde die deutsche Position schwächen und letztlich den Extremisten in die Hände spielen. So bleibt nur die mühsame, vom Gesetz vorgesehene Kontrolle und Überwachung solcher Gefährder. Im Fall Dresden ist sie auf tragische Weise gescheitert.