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Politik

Der Kreml will sich nicht zensieren lassen

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Alexander Plushev
20. November 2020

Die russische Staatsmacht will sich von YouTube nicht zurückziehen. Mit Drohungen und der Gesetzesvorlage gegen "Zensur auf YouTube" will sie nur Garantien für die eigenen Medien erreichen, meint Alexander Plushev.

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YouTube
Bild: Reuters/D. Ruvic

Die zwei Wochen dauernden Hassreden gegen YouTube von russischen Offiziellen und TV-Propagandisten mündeten jetzt in eine Gesetzesvorlage. Sie sieht Sanktionen gegen ausländische Internetplattformen vor, wenn diese russische Medien zensieren. Wenige Stunden zuvor hatte die Aufsichtsbehörde "Roskomnadsor" in einem Brief an Google verlangt, Videos des Kanals "Soloviev Live" von Vladimir Soloviev wieder in die "Trends" bei YouTube einzufügen, einem Ranking der beliebtesten neuen Videos. Der bekannte Moderator des Staatsfernsehens gilt als Teil der russischen Propagandamaschine.

Die Eile, mit der das Gesetz geschrieben wurde, zeigt eher, dass der wahre Grund für den Angriff auf YouTube ein anderer ist. Die Misserfolge von Soloviev sowie der jüngste Hype um einen Film des russischen Staatsfernsehens über die Geiselnahme in einer Schule in Beslan 2004 waren nur der äußere Anlass. YouTube hatte auf "unangemessene oder beleidigende Inhalte" des Films hingewiesen, was immer einen deutlichen Rückgang der Abrufzahlen zur Folge hat.

Will der Kreml YouTube wirklich blockieren?

Aber wer angreift, muss wissen, mit welchen Kräften und warum. Die Ziele sind klar: Das das Fernsehen als wichtigstes Propagandamittel des Staates verliert rapide an Publikum. Das wechselt zu YouTube, und diese Plattform befindet sich nicht unter Kontrolle der russischen Behörden. Wie also vorgehen? Die russischen Behörden sind derzeit nicht darauf aus, YouTube zu blockieren - dafür gäbe es bereits genügend Gesetze. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass der Staat beim Versuch, Plattformen zu blockieren, gleichzeitig viele nützliche Dienste stört: von Zahlungssystemen bis hin zu Online-Buchungssystemen. Das nervt die Bürger und führt letztendlich auch zu Unannehmlichkeiten für die verursachenden Behörden.

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Der Gesetzentwurf sieht deswegen auch Bußgelder und eine Verlangsamung des Traffics für die aus Sicht des Kremls "schuldigen Plattformen" vor. Letzteres ist sowohl technisch als auch in sozialer Hinsicht eine zwar umsetzbare, aber äußerst riskante Maßnahme.

Wie bei Blockaden besteht auch hier die Gefahr, dass viele andere Dienste behindert werden und eine massive Unzufriedenheit bei Millionen russischen YouTube-Usern entsteht. Es wäre ein Irrglaube, dass Menschen, die sich kaum für Politik interessieren und wenig über die Maßnahmen der Behörden wissen, ausgerechnet die amerikanische Plattform für eine langsame Internetverbindung verantwortlich machen: Wenn alle gemeinsam unter abnehmender Geschwindigkeit leiden, ist selbst dem unpolitischsten Menschen der Hintergrund sofort klar.

Auf der Suche nach einer besseren Verhandlungsposition

Die gegenwärtigen Schritte des russischen Staates sind ein Versuch, sich eine bessere Verhandlungsposition zu schaffen. Denn der Kreml ist seit langem im Dialog mit Google/YouTube. Beide Seiten wissen sehr wohl, dass YouTube nie ein direktes Instrument der politischen Zensur in Russland sein kann, weshalb darüber auch kaum diskutiert wird. Seit etwa 15 Jahren ist dem Kreml klar, dass nur eine Plattform russischer Herkunft oder eine, die von russischen Geschäftsleuten erworben wurde, ein solches Instrument sein könnte. Doch Russland hat und wird nicht genug Geld haben, um YouTube zu kaufen.

Seit 20 Jahren machen die russischen Behörden im Internet auf jeder neuen Plattform immer dasselbe: Sie versuchen sie entweder zu kaufen und unter Kontrolle zu bekommen oder, wenn dies nicht möglich ist, sie mit eigenen Agenten und Influencern zu bestücken. Das reicht von Behörden-Websites und offiziellen Medien bis hin zu anonymen Web-Kanälen und Bloggern, die sich von der Regierung durchfüttern lassen.

Welche Garantien will der Kreml für seine Kanäle?

Offenbar geht es jetzt allein darum: Die russischen Behörden greifen Google an, um noch bessere Bedingungen für ihre Kanäle herauszuschlagen, oder zumindest die Garantie, dass sie sich keinesfalls verschlechtern. Denn völlig unabhängig davon, wie viel Propaganda, Fake News und Plagiate vom russischen TV-Sender "Zargrad" bis hin zum Staatsfernsehen auf YouTube erschien - seitens der Plattform drohten ihnen nie ernsthafte Sanktionen. Und wenn jemand gelegentlich aus den Trends rausgeschmissen wird, dann umso besser. Denn das ist dann Anlass, dem Publikum die alte Leier über die Zensur auf amerikanischen Plattformen vorzutragen.

Der russische Staat wird weiterhin auf YouTube aktiv sein, aber er will sich weich betten. Wenn die russischen Behörden zu Blockaden greifen, dann nicht gegen einzelne Plattformen, sondern das Internet als Ganzes. Das aber nicht ständig, sondern nur in brenzligen Situationen. Wie das abläuft, kann man jeden Sonntag anlässlich der Nachrichten aus Belarus sehen.

Alexander Plushev ist Journalist beim russischen Radiosender "Echo Moskwy". Er ist Autor einer wöchentlichen Kolumne bei DW-Russisch. Telegram: @PlushevChannel