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Politik

Das hässliche Gesicht von Kirche im Fokus

10. Januar 2021

Kardinal Woelki hält nicht die Fälle von Missbrauch und ihre Vertuschung für einen Skandal, sondern die Medien. Das Erzbistum Köln sollte bei der Aufarbeitung aus Boston lernen, meint Christoph Strack.

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Coronavirus - Erster Gottesdienst im Kölner Dom
Bild: picture-alliance/dpa/R. Becker

Es ist ein Trauerspiel. Seit Monaten unterhalten das Erzbistum Köln und sein Oberhirte, Kardinal Rainer Maria Woelki, die deutsche Öffentlichkeit mit einem Kurs der Geheimhaltung und des Lavierens bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch durch Priester. Dabei ist "unterhalten" der völlig falsche Begriff: Woelki empört. Sein Vorgehen verstehen selbst ansonsten wohlmeinende Katholiken nicht mehr.

In einigen Wochen werden die ersten Statistiken zum Thema "Kirchenaustritte im Jahr 2020" aus deutschen Diözesen und Großstädten kommen. "Glaubensverlust" und "Glaubensschwäche", heißt es dann gerne bei frommen Interpreten bedauernd angesichts der vielen, die ihrer Kirche den Rücken zugekehrt haben. Wenn man sich doch ehrlich machen würde! Vor allem aus Köln und Düsseldorf, den größten Städten im Erzbistum Köln, häufen sich inzwischen Berichte, wonach man auf einen Termin bei der für Kirchenaustritte zuständigen staatlichen Stelle Monate warten muss!

Kölner "Nulltoleranz"

Wer lauthals Aufklärung ankündigt und "Nulltoleranz", muss Aufklärung praktizieren und "Nulltoleranz" vorleben. Ansonsten gehen die Gläubigen.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Seit gut zwei Jahren setzt Kardinal Woelki auf einen eigenen Kurs der Aufarbeitung von Missbrauch, der offensiv angekündigt wurde und Aufsehen erregte. Doch seit einem knappen halben Jahr kommen in rascher werdender Folge Nachrichten aus Köln, die dem entgegenstehen: Da agierte das Erzbistum angeblich medial im Namen der von Missbrauch Betroffenen, doch die fühlten sich instrumentalisiert und wendeten sich verletzt ab. Da nutzt der Kardinal die Christmette des Weihnachtsfestes und den Ambo des hochheiligen Kölner Doms, um als Entschuldigung zu verkaufen, was keine Entschuldigung war, und um den Medien die Verantwortung für Ärgernis und Empörung zuzuschieben.

Da holt sich der Kardinal Berater aus diversen Anwaltsbüros und ist nun bei einer Kanzlei gelandet, die bislang eher für Fälle aus dem rechtspopulistischen AfD-Milieu und nicht für solche der Kirche bekannt war. Und zuletzt lud das Erzbistum, das einst ein angesehenes Presse- und Informationsamt hatte, ausgewählte Medien-Vertreter zu einem sogenannten Hintergrundgespräch ein, und legte ihnen zunächst eine Verschwiegenheitserklärung zur Unterschrift vor. Die Veranstaltung platzte. Vertrauen sieht anders aus. Wer sich zum Schweigen verpflichten lässt, wird bald zum Mitwisser.

Die Medien sind schuld

Damit macht Woelki deutlich, was er von unabhängiger Aufarbeitung und Aufklärung hält. Missbrauchsfälle wurden in Deutschland wie in anderen Ländern lange Zeit nur bekannt, wenn Opfer den Mut hatten, ihre Scham zu überwinden und ihr Schweigen zu brechen - und wenn Medien das aufgriffen und Öffentlichkeit schufen. Im Zweifelsfall Gegenöffentlichkeit zur Amtskirche. Das gilt auch für die Vorgänge im Erzbistum Köln. Es sind überwiegend Zeitungen und Radiosender, die an der Sache dranblieben. Sie stehen für das Wächteramt, das guter Journalismus wahrnimmt und das Mächtigen unbequem wird.

Nun sind in Köln - so verkündete es der Kardinal neben dem Altar - die Medien schuld. Und Kirche setzt bei Aufklärung auf Verschwiegenheitserklärungen, ein Begriff, der an Diktatur und Stasi erinnert. In gut 30 Jahren Journalismus war ich bei hunderten Hintergrundgesprächen im kirchlichen und politischen Rahmen. Nie wurde mir eine Verschwiegenheitserklärung zur Unterschrift vorgelegt.

All das gehört zum hässlichen Gesicht von Kirche im Scheinwerferlicht. Um so wichtiger ist die aufklärende und aufklärerische Arbeit der Medien.

Spotlight Boston

2015 kam der US-Film "Spotlight" in die Kinos, Ende Februar 2016 lief er in Deutschland an. Kurz zuvor hatte er den Oscar als "Bester Film" bekommen. "Spotlight" erzählt die Geschichte von Journalisten der Tageszeitung "The Boston Globe", die sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche in Boston, einer Stadt kleiner als Köln, aufdecken. Mit ihrer Arbeit hatte die Zeitung vor fast 20 Jahren eines der widerlichsten Kapitel in einer an widerlichen Kapiteln nicht armen Chronik der US-Kirche aufgedeckt.

In Boston lief es wie vielerorts: Die Taten wurden vertuscht, Druck auf die Opfer und deren Angehörige ausgeübt, vor allem die Priester-Täter von einer Gemeinde in die nächste verschoben. Und auch der Mann ganz oben, der Bostoner Kardinal Bernard Francis Law, wusste Bescheid. Der damals knapp 70-Jährige trat zurück und wurde später in Rom mit einem Posten versorgt.

Wer weiß, welche Priester und Bischöfe in Deutschland den Film gesehen haben? Denn "Spotlight" war ein Lehrstück nicht nur über die Kirche und strukturelle Vertuschung. Der Film ist auch eine Hommage an den Journalismus, beharrliche Recherche und Aufklärung, das journalistische Selbstverständnis, Opfern ein Gesicht zu geben und ihre Geschichte zu erzählen. Das ist Pressefreiheit.

War Bischof Bätzing im Kino?

Mitte November 2020 hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, mit Blick auf den Kurs des Erzbistums Köln den Medien gedankt. Sie klärten bisweilen auf, "was wir unter Umständen nicht schaffen aufzuklären". Dabei nannte Bätzing die Aufarbeitung von Taten und die Aufarbeitung von Vertuschung.

Der ein oder andere interpretierte Bätzings Worte als Bankrotterklärung - schließlich hat der Vorsitzende der Bischofskonferenz einen schönen Titel, aber keinerlei Einfluss auf die einzelnen Bischöfe im Land. Aber vielleicht war Bätzing auch nur im Kino. Und weiß deshalb, dass journalistische Arbeit manchmal weiterkommt - trotz eines Beharrungsvermögens im kirchlichen System, das priesterliche Macht und Identität absolut setzt. Immer noch. Spotlight, Köln. Scheinwerfer an!