1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Impf Dich reich!

Marco Müller | Kommentarbild
Marco Müller
22. Januar 2022

Während das Pflegepersonal auf den Corona-Stationen schier Übermenschliches leistet und dafür nur mäßig entlohnt wird, verdienen viele niedergelassene Ärzte mit Impfungen erstaunlich viel, meint Marco Müller.

https://p.dw.com/p/45vpm
Junges Mädchen mit Mundschutz erhält von Händen mit blauen Latexhandschuhen eine Spritze in den Oberarm
Die Corona-Impfung als Geschäftsmodell - in manchen Arztpraxen wird wie am Fließband geimpftBild: MiS/imago images

Die Corona-Pandemie kostet den Staat - und damit alle Bürger - Geld. Sehr viel Geld. Wenn das medizinisch, ökonomisch oder sozial notwendig ist, spricht auch nichts dagegen. Aber wenn einzelnen Berufsgruppen Geschenke auf Kosten der Allgemeinheit gemacht werden, endet jedes Verständnis.

Erst im Spätsommer hatte die Politik die Impfzentren wieder schließen lassen, die ein halbes Jahr zuvor in Windeseile und mit großem Aufwand aufgebaut worden waren - angeblich war ihr Betrieb zu teuer angesichts nur noch weniger Menschen, die zu Impfungen kamen. Doch wenige Wochen später waren plötzlich Booster-Impfungen gegen Corona angesagt. Und fieberhaft wurde überlegt, wie innerhalb kürzester Zeit möglichst viele Spritzen in den Oberarmen der Menschen in Deutschland landen könnten.

Extrem hohe Impfvergütung

Der amtierende christdemokratische Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ging kurz vor Ende seiner Amtszeit den einfachsten Weg: Der Pauschalbetrag für eine Corona-Impfung durch die niedergelassenen Ärzte wurde von 20 Euro auf 28 Euro erhöht. Das waren mit einem Handstreich mal eben 40 Prozent mehr.

Marco Müller | Kommentarbild
DW-Redakteur Marco MüllerBild: Marco Müller/DW

Ein erstaunlicher Wert, wenn man bedenkt, wie heftig und aufreibend das Pflegepersonal auf den Corona- und Intensivstationen für ein wenig mehr Geld angesichts ihres bald zweijährigen Dauereinsatzes kämpfen musste. Zumal die niedergelassenen Ärzte in Deutschland ohnehin schon weit überdurchschnittlich verdienen - nach Abzug aller Praxiskosten rund 200.000 bis 250.000 Euro brutto pro Jahr. Aber je nach Fachrichtung kann das Durchschnittseinkommen auch über 400.000 Euro liegen.

Doch damit nicht genug: Der neue sozialdemokratische Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erhöhte die Impfvergütung für den Zeitraum 24. Dezember 2021 bis 9. Januar 2022 mal eben auf 36 Euro - gleichfalls geräuschlos. Diesen Betrag gab es zuvor nur an Wochenenden und Feiertagen. Damit die Booster-Kampagne zum Jahreswechsel in Fahrt blieb, wurden also mal eben 80 Prozent mehr als noch im November gezahlt.

Kritik von den Krankenkassen

Der Betrag wirkt erst recht dekadent, vergleicht man ihn mit der Vergütung für andere Impfungen: Acht Euro bekommen Ärzte zum Beispiel für eine Grippeschutzimpfung! Normalerweise ist es ja so, dass Güter und Dienstleistungen, die in Serie erbracht werden - wie eben Corona-Impfungen - günstiger werden. Warum ausgerechnet eine Corona-Impfung nun das 3,5- bis 4,5-fache einer durchschnittlichen Impfung kosten muss, erschließt sich daher nicht. Die Ärzte sind um Argumente natürlich nicht verlegen: Viel Papier sei auszufüllen, alles sehr bürokratisch, die Terminplanung schwierig, Diskussionen mit Patienten, hohe Verantwortung. Man könnte auch sagen: Alltag eben.

Warum aber haben die Krankenkassen eine so hohe Impfvergütung abgesegnet? Haben sie gar nicht! Die Corona-Impfung ist nämlich ein Sonderfall, der nicht von den Krankenkassen bezahlt wird, sondern vom Bundesamt für Soziale Sicherung, also vom Staat - oder kurz: vom deutschen Steuerzahler. Der Spitzenverband der Krankenkassen in Deutschland gab zu Protokoll, dass er eine Vergütung von bis zu zehn Euro für sachgerecht halte - also rund ein Drittel von dem, was jetzt gezahlt wird. Beachtung fand diese Stellungnahme in der Öffentlichkeit leider kaum.

Viele Ärzte würden auch für weniger Geld impfen

Kann man Ärzte nur dazu bewegen, etwas zu tun, indem man ihnen viel Geld gibt? Sie haben doch den Eid geschworen, Menschen zu helfen! Und eine pandemische Notlage zur persönlichen Bereicherung zu nutzen, verträgt sich damit nicht. Aber eine pauschale Verurteilung ist nicht angebracht: Es gibt auch niedergelassene Ärzte, die sagen, sie würden auch für eine geringere Vergütung impfen. Und manch ein Arzt, der sich für den Einsatz in einem Impfzentrum angemeldet hatte, tat dies im Glauben, es sei eine unentgeltliche, rein ehrenamtliche, Aufgabe - und wurde dann, je nach Bundesland, mit bis zu 175 Euro pro Einsatzstunde entlohnt. Das wäre allerdings ein klares Versagen der Politik: Ärzten, die weder Geld brauchen noch welches wollen, so viel zu bezahlen.

Mit derart hohen Vergütungen werden allein die Ärzte belohnt, die das Impfen als Geschäft für sich entdeckt haben. Kein faires Geschäft, denn viele Menschen haben durch Corona große Einkommenseinbußen, müssen aber trotzdem mit ihren Steuern die hohe Impfvergütung der Ärzte bezahlen. Das ist weder gerecht noch solidarisch. Wer sich fragt, wieso soziale Ungerechtigkeit und die Spaltung der Gesellschaft immer weiter zunehmen, findet hier ein weiteres Beispiel. Ob die Impfkampagne wirklich zusammenbrechen würde, wenn die Ärzte für den Corona-Piks nur die gleiche Vergütung bekämen wie für jede andere Impfung? Vermutlich nicht. Und wenn doch, wäre auch das eine wertvolle Erkenntnis.