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Corona: Was wir von den USA lernen können

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Ines Pohl
28. März 2021

Ärmel hochkrempeln und machen: Unter neuer Führung offenbaren sich in den USA die Vorteile dieser pragmatischen Zupackmentalität beim Management der Corona-Krise - ganz im Gegensatz zu Deutschland, meint Ines Pohl.

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Corona Impfzentren in den USA
Impfen im Rekordtempo: Eine Krankenschwester im US-Bundesstaat Maryland bereitet die nächste Dosis vor Bild: Win McNamee/Getty Images

Neun Monate war ich nicht mehr in Deutschland. Im Frühsommer 2020 hatte ich mich aufgemacht, um für die Deutsche Welle über die US-Wahlen zu berichten. Nicht wenige konnten nicht verstehen, warum ich freiwillig in dieses Land ziehen wollte, in dem ein Präsident demokratisch gewählt worden war, der seine politische Macht aus Lügen und Hass gebaut hatte.

Die Corona-Krise gab es zu diesem Zeitpunkt auch schon. Und während in Amerika ein Wüterich im Weißen Haus die tödliche Gefahr wider jeden Sachverstand leugnete, schien Deutschland in besten Händen. Eine naturwissenschaftliche Kanzlerin, die sich leichtfüßig durch den Zahlendschungel von Inzidenzwerten bewegte, und mit der vermeintlich belegten Kompetenz beim Großteil der Bevölkerung Vertrauen weckte.

Am Rande des Nervenzusammenbruchs

Wie anders sieht die Lage jetzt aus. Aus Visumsgründen auf Heimatbesuch war ich für zwei Wochen Teil einer Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und nein, ich verstehe es nicht, warum in Deutschland erst jetzt damit begonnen wird, Lehrerinnen und Lehrer zu impfen.

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Ines Pohl, DW-Korrespondentin in den USABild: DW/P. Böll

Ich verstehe es auch nicht, dass Schulen auf- und zugemacht werden - und Eltern oft erst abends um 21.23 Uhr durch Emails von total genervten Lehrern und Lehrerinnen erfahren, ob es morgen wieder Unterricht am Küchentisch gibt, oder das Töchterchen für drei Stunden in die Schule darf.

Ich verstehe nicht, warum in Kauf genommen wird, dass Familien zu zerbrechen drohen oder schon zerbrochen sind, weil die Belastung einfach zu groß ist in unserem Land, das doch Familienförderung seit Jahren so groß schreibt in den Regierungsprogrammen.

Ewiges Hin und Her

Ich verstehe es nicht, warum Hausärzte, die bei ihren Patienten einen enormen Vertrauensvorschuss genießen und Krankenakten kennen, nicht einfach impfen dürfen. Und auch hier ein Hin und Her, das vor allem den Verdruss steigert.

Im Moment dieser weltweiten tödlichen Krise zeigt sich, wo die großen Vorteile der pragmatischen Lebenseinstellung der US-amerikanischen Bevölkerung liegen. Seit Joe Biden die Bekämpfung der Pandemie zu seiner Top-Priorität gemacht hat, geht ein Ruck durch dieses Land, von dem Deutschland nur träumen kann.

Sogar in Supermärkten wird geimpft, und wenn Menschen nicht erscheinen oder absagen, kommen die dran, die sich melden. Ohne Bezugsberechtigungsschein.

Ich weiß nicht, ob Sie den Spruch kennen: Sagen Sie, was Sie von den USA halten, und ich sagen Ihnen, wer Sie sind. Gerade für viele Deutsche sind die USA nach wie vor eine Projektionsfläche für entweder blinde Verehrung oder tiefe Verachtung. Diese Extreme werden der Vielfältigkeit dieses Landes nicht gerecht.

In diesen Zeiten lohnt sich ein nüchterner, lernwilliger Blick in die Vereinigten Staaten von Amerika. Viele Menschen handeln dort zurzeit nach der Devise "Ärmel hochkrempeln und machen". Eine Tugend, die den Deutschen lange nachgesagt wurde, die aber in den satten Jahren verloren gegangen zu sein scheint.

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Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl